"Aber wehe du bist vor Anbruch der Dunkelheit nicht zu Hause!" Das kleine Mädchen nickte heftig. "Keine Sorge. Du wirst den schönsten Blumenstrauß bekommen, den ich je gepflückt habe." Das Mädchen umarmte ihre Tante und lief aus der Tür. Im vorbeihüpfen winkte sie den anderen Kindern des Dorfes zu, die Springschnur springend und Ballspielend auf der Straße herum liefen, bevor sie es auf dem steinigen Pfad verlies. Sie lief zu den Feldern, die zu dieser Jahreszeit in sattem Rot leuchteten. Mohn Blumen. Sie waren die schönsten. Auch das Kleid des Mädchens strahlte in ihrer Farbe. Tante Salla hatte Mohn auch am liebsten und so begann sie Blume für Blume einen Strauß. Sie wollte sich nicht weit vom Dorf entfernen, da im Wald, der hinter den Feldern lag, auch wilde Tiere lebten. Tante Salla hätte nicht gewollt, dass sie in den Wald ging, doch je näher sie ihm kam, umso schöner schienen die Blumen.
Und so pflückte sie Blume für Blume, immer weiter.
Erst als sie so viel Mohn hatte, dass sie den Strauß kaum noch tragen konnte und sie schon sehr müde war, fiel ihr auf, dass die Sonne schon langsam sank. Hatte sie so lange gebraucht? Und wo war sie eigentlich? Sie stand auf einer Lichtung, auf der nur noch hier und da eine Blume wuchs, nicht weit weg hörte sie einen Bach plätschern. Wasser ist gut, dachte sie. Doch die Müdigkeit überwältigte sie, bevor sie die Lichtung überqueren konnte. Vielleicht war sie zu lange an der Sonne, vielleicht lag es an dem vielen Mohn, sie sank auf das weiche Gras und schlief ein.
Als sie die Augen öffnete, war die Sonne schon untergegangen. Zahlreiche Sterne sprenkelten den Nachthimmel und der Mond schien hell auf sie herab. Nacht. Die Sonne war weg. Panik ergriff sie. Wie hatte sie nur einschlafen können? Es war viel zu gefährlich hier draußen. Nach Hause. Dorthin musste sie jetzt und zwar dringend. Nicht etwa wegen der wilden Tiere, nein. In der Nacht durfte niemand draußen sein, dass wusste das kleine Mädchen. Jeden Abend hatte Großvater ihr diese Sage erzählt. Die Sage von Tod.
Tod wanderte mit dem Mond um die Welt und wurde mit der Dunkelheit für Menschen Sichtbar. Wenn man Tod weinend sah, so hieß es, dann würden eigene Sorgen weggespült werden. Wenn Tod schrie, sollte einem Glück wieder fahren und wenn Tod sang, dann würde man geheilt werden. Viele Leichtsinnige hatten sich bereits aufgemacht um Glück zu erlangen oder Probleme fortschwemmen zu lassen, doch mittlerweile wusste man es besser. Niemand hielt sich nach Einbruch der Dunkelheit draußen auf. Es war zu gefährlich.
Denn wenn Tod lächelte, dann bedeutete es das Ende eines sterblichen Lebens.
Dem kleinen Mädchen war nicht wohl, allein im Wald, doch sie war noch nie bei Nacht draußen gewesen. Sie hatte nie gesehen, wie magisch der Nachthimmel war, mit seinen Sternen. In dem Moment wurde ihr klar, wie wenig sie doch über diese Welt wusste.
Der Mond schien ihr überhaupt nicht bedrohlich. Wie furchtbar konnte jemand mit einem solchen Begleiter schon sein? Am liebsten hätte sie sich wieder ins Gras der Lichtung gelegt und die ganze Nacht einfach die Sterne gesehen. Doch als sie das unschuldige plätschern des kleinen Bächleins hörte, kam ihr eine andere Idee. Wie wohl das Wasser unter all den Sternen schimmern würde? Sie sammelte ihren Blumenstrauß vom Boden auf und folgte dem leichten Rauschen.
Sie hätte diesen Anblick niemandem beschreiben können. Keiner aus ihrem Dorf hatte so etwas schon erlebt und keiner würde es verstehen. Den Bach sprenkelten viele kleine Schimmer und er verlieh der ganzen Umgebung etwas Wundervolles. Der ganze Wald schien zu singen. Wie hätte sie die Dunkelheit als Bedrohung empfinden können?
Sie betrachtete die verschwommenen Spiegelungen der Sterne und dann entdeckte sie, nur etwas weiter, die des Mondes, zu den Füßen von... das kleine Mädchen schnappte nach Luft. Dort, am anderen Ufer, saß auf einem großen Stein die bezauberndste Gestalt, die das Mädchen je gesehen hatte. Sie trug ein sanftes Kleid. Sie hatte eine dunkle Haut, wie die Nacht, das lange, dunkle Haar schien aus strahlendem Mondlicht zu bestehen. Die Kleine dachte nicht daran Angst zu haben, oder wegzulaufen, so lange es noch ging. Beim Anblick von Tod glitt ihr der Blumenstrauß aus den Händen und landete mit einem Platsch im Bach. Die Gestalt sah auf und ihre Augen waren die Sterne.
Tod lächelte.
Es war ein Lächeln, bei dem das Herz des Mädchens zu schmelzen schien. Diese Gastalt strahlte von einer Ruhe, eines Friedens, beinahe Sicherheit. Wie konnte sie ihr etwas Böses tun?
Tod sah das Mädchen an wie einen Schatz. Doch die Regeln der Natur galten. Auch für dieses unschuldige, verliebte Mädchen.Tod nahm ihr das sterbliche Leben.
Tod gab ihr Flügel.Sie verwandelte sich in eine Nachtigall. Sie würde bis alle Ewigkeit mit Tod und dem Mond reisen.
Als Tante Salla am nächsten Morgen die Tür der Hütte öffnete, fand sie den schönsten Blumenstrauß aus Mohn, den das Mädchen je gepflückt hatte.
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Short Storys³
Truyện NgắnHier drin findet ihr drei Kurzgeschichten, die je eine von uns drei Autorinnen verfasst hat. Wir haben uns klare Anhaltspunkte ausgemacht, welche in jeder Geschichte zu finden sein sollten. Ansonsten haben wir sie unabhängig voneinander geschrieben...