Kapitel 10: Kneif mich mal

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Der Rest der Stunde schien unendlich zu dauern und ich wollte einfach nur noch, dass diese Qualen endlich ein Ende hatten! Wie gebannt starrte ich an die Tafel, zurück auf meine Mitschriften und wieder auf die Uhr. Endlich war es so weit...die Vorlesung war vorbei und noch bevor Sarah mich aus der Reihe ziehen konnte, bedeutete ich ihr, dass ich noch mit Anne sprechen würde. Sie verstand sofort. Keine 5 Minuten später war der Hörsaal menschenleer und die Einzigen, die sind hier befanden waren Anne und ich. Alleine, ganz alleine.

„Was gibt es denn?", fragte ich vorsichtig nach, während Anne mich anblinzelte. Immerhin hatte sie mich ja zu dem Gespräch aufgefordert und nicht anders herum. Sie schien die Situation nicht so ganz unter Kontrolle zu haben, wie sie es wahrscheinlich gewollt hätte. „Ehm ja also...Sie sind in letzter Zeit sehr abwesend und machen im Unterricht nicht wirklich mit. Ihr Potential ist doch da, das kenne ich bereits, aber Sie haben enorm nachgelassen!", flüsterte sie beinahe. Mit traurigem Blick sah ich Anne in die Augen...ich könnte ihr ja nicht einfach sagen: „Hey also ich stehe auf Sie, aber Sie sind verheiratet und das wird eh nie was." Somit hielt ich es schlicht und einfach bei: „Liebeskummer. Nicht mehr und nicht weniger!" und wirkte dabei etwas kalt. Dies entging auch Anne nicht und sie sah mich merkwürdig an. Traurig, aber irgendwie auch hoffnungsvoll. Keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte. „Erinnern Sie sich an unser Gespräch im Auto? Da waren Sie so lebendig, lustig, wach und fröhlich. Jetzt hingehend sind Sie traurig und kühl. Als wären ihre Gefühle komplett verloren gegangen und wer auch immer Ihnen weh getan hat, er hat sie nicht verdient!"
Eine Spur zu glücklich sagte ich: „Ja es ist alles gut, Sie haben mir sehr geholfen und das weiß ich zu schätzen!". Obwohl ich da grade totalen Nonsense Mist erzählt hatte, wirkte Anne irgendwie beruhigt. Sie machte ihren Mund auf und wollte grade etwas sagen, da hörten wir die Tür des Hörsaals aufgehen. „Oh sorry, falscher Raum", brüllte ein junger Mann und wir lachten. Wieder versuchte Anne etwas zu sagen, aber es kamen keine Worte aus ihrem Mund. Mit einem „Was ist noch? Sagen Sie's einfach!" ermutigte ich sie und letztendlich fasste sie sich ein Herz und sprach. Das was aus ihrem Mund kam verstand ich mehr oder weniger gut, denn ab Satz zwei machte mein Gehirn Umdrehungen um die eigene Achse. „Claire, Sie sind eine meiner besten Studentinnen bisher. Daher wollte ich Sie fragen, ob Sie Lust hätten sich mit mir ganz ungezwungen auf Kaffee und Kuchen zu treffen. Dann könnten wir mal etwas freier über all die Literatur sprechen und vielleicht auch etwas mehr über einander erfahren, denn das Gespräch in Auto hat mich neugierig auf Sie gemacht. Doch zuallererst, nennen Sie mich doch bitte Anne, wenn wir unter uns sind. Ich mag meinen Nachnamen nicht wirklich und wir sind ja auch keine Fremden."
Ich war baff. Hat sie das wirklich gesagt? Mein Gehirn drehte sich noch immer und mein Herz machte Luftsprünge. „Wann haben Sie...ähh hast Du denn Zeit Anne?", es war so wunderbar ihren Namen endlich vor ihr aussprechen zu dürfen! Sie holte schnell ihren Kalender raus und warf einen Blick drauf. „Übermorgen ginge es bei mir...wie sieht es bei dir aus Claire?". „Da kann ich auch!", sprudelte es einen Ticken zu schnell aus mir heraus und ich lächelte sie an.

Auch Anne lächelte und sah in meine Augen. Immer tiefer und es schien als würde sie gar nicht mehr wegsehen. Plötzlich wanderte ihr Blick nach unten und sie griff meine Hand. Mein Atem stockte und ich schnappte kurz einmal nach Luft. Anne bemerkte das und lächelte als ich sie ansah. Ein Gefühl von Unsicherheit machte sich in mir breit und ich wusste nicht, was ich denken sollte. Ihre linke Hand wanderte hoch an meine Wange, während ihre Rechte noch um meine Hand lag. Was hatte Anne vor? Ich schloss meine Augen und zwickte mich mit meiner freien Hand. „Ah fuck...", das tat weh, es war also Realität. „Keine Angst Claire, du träumst nicht...", hörte ich ihre liebliche Stimme sagen und war wie gegangen in ihrem Blick. Ein paar Zentimeter waren noch zwischen uns, die Anne jetzt auch noch überbrückte und mich näher an sich zog. Da standen wir also, ich in ihren Armen im Hörsaal. Jetzt sofort hätte ich sie am liebsten geküsst, aber ich traute mich nicht. Anne bemerkte meine Unsicherheit und nahm mein Gesicht in ihre Hände. Langsam neigte sich ihr Kopf zu mir hinüber und sie drückte mir einen langen, weichen Kuss auf die Wange. „Mehr nicht...nicht hier", antwortete sie mir, als sie sich von mir weg bewegte und ich sie verlangend ansah. Sie packte ihre Tasche und ging in Richtung Ausgang. Was fiel ihr eigentlich ein mich hier so stehen zu lassen? Ich wusste gar nicht wie mir geschah.
„Bis übermorgen Claire, träum schön!" flüsterte sie in mein Ohr, als sie sich den Weg an mir vorbei bahnte und ich konnte nichts anderes machen als ihr hinterherzugehen und wie angewurzelt zu stehen.
„Wow", dachte ich, dass konnte ja doch noch was werden.

Ich beschloss mit den Mädels shoppen zu gehen und Sarah einzuweihen um ihr von dem echten Kuss mit Anne zu erzählen. Überwältigt und glücklich machte ich mich auf den Weg in die Stadt und verbrachte dort Stunden, denn die Zeit ging (zum Glück) wie im Flug um.

Aber ich liebe sie...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt