Kapitel 5: Wunder gibt es immer wieder

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Eine gefühlte Ewigkeit hatte ich auf die lang ersehnte Exkursion gewartet und endlich war es Freitag. Okay, eigentlich hatte ich nur drei Tage gewartet, aber es kam mir vor wie eine halbe Ewigkeit. Ich war unglaublich gut gelaunt. So gut, dass meine Eltern mich heute morgen schon gefragt hatte, was denn mit mir los sei. Sie staunten nicht schlecht, als ich ihnen ganz begeistert von Frau Winterbergs Exkursion ins Literaturmuseum erzählte. So schnell wie ich in die Küche gegangen war und mir mein Brot geschnappt hatte, war ich auch wieder fort und schon in Richtung Bahn unterwegs. Meine Bahn war in der gesamten Unizeit noch nicht zu spät gekommen, aber natürlich ausgerechnet heute musste der Zug Verspätung haben. Und das auch direkt mal 15 Minuten. "Na toll", dachte ich mir und schaute genervt den Bahnsteig entlang, als ich die Augen von jemandem aufblitzen sah.

Ich staunte nicht schlecht und muss sagen, dass mir ein wenig die Spucke weg blieb. Da stand doch tatsächlich Moritz. Der Typ, den ich immer angehimmelt hatte, der aber niemals was von mir gewollt hatte. Naja und so richtig übel nehmen konnte ich ihm das auch nicht, denn im Gegensatz zu jetzt, war ich früher wirklich nicht gerade attraktiv gewesen  mit meinen Sportklamotten und weiten Pullis...obwohl das ja jetzt auch wieder IN war. Er blickte nur kurz zu mir rüber und schien mich nicht zu erkennen. Interessiert wand ich mich Moritz zu und musterte ihn von kopf bis Fuß. Die braunen Wuschellocken hatte er immer noch, genauso seine wundervollen Augen, in welchen ich mich schon abermals verloren hatte. Lediglich war er nicht mehr so schlaksig wie vor ein paar Jahren sondern sehr trainiert und hatte einen muskulösen Körperbau. Ich ging einige Schritte auf ihn zu, Moritz stand immer noch umgedreht, war nur wenige Meter von ihm entfernt und wollte grade meinen ganzen Mut zusammen nehmen um ihre anzusprechen. Doch ein Ersatzzug riss mich aus den Gedanken. "Scheiße der Ausflug", stieg es mir in den Kopf und ich rannte um die offene Tür zu erwischen. Moritz wartete scheinbar auf eine andere Bahn, denn er bleib am Gleiß stehen und sah meinem Zug nach. Ob er mich gesehen hat?  Glücklicherweise brauchte der Ersatzzug  ich so lang wie erwartet zum Museum und innerhalb von weiteren 15 Minuten befand ich mich vor dem Eingang des Deutschen Museums für Literatur. Ich setzte mich vorsichtig auf die Stufen und wartete auf den Rest des Kurses. In Gedanken war ich noch immer bei Moritz, aber das änderte sich schlagartig. Und zwar genau in dem Moment, als Frau Winterberg um die Straßenecke bog und mit ihrem typischen Lächeln auf den Lippen geradewegs auf mich zu lief. Ihre gut gelaunte Art konnte man schon aus der Ferne ausmachen und es machte mich umgehend froh sie zu sehen. Frau Winterberg winkte mir zu und mich gleichzeitig zu sich herüber, denn sie blieb unten an den Stufen stehen. Somit lief ich schnell die Treppen zu ihr hinunter und tollpatschig wie ich war, stolperte ich natürlich auf den letzten Metern und plumpste stumpf die Stufen hinunter. Wie hätte es auch anders sein sollen, landete mein dummes Ich direkt von Anne Winterbergs Füßen, die mich nur erschrocken ansah. Ich schüttelte mich kurz, stand auf und klopfte meine Jeans ab um die Blätter von mir runter zu bekommen. "Geht es Ihnen gut Claire?". Erschrocken schaute sie  ich an, aber als ich nickte und lächelte entspannten sich ihre Gesichtszüge allmählich. "Wo bleibt denn der Rest?", fragte ich Frau Winterberg und sie antwortete nur "Genau das Selbe wollte ich Sie gerade fragen, ich habe doch eindeutig gesagt, dass die, die sie melden auch bitte kommen sollen. Darum habe ich uns doch extra für die Führung angemeldet". Den letzten Teil sagte sie eine Spur schärfer und blickte mich durchdringend an. Ich zuckte mit den Schultern und entgegnete "Also Emily ist krank, Maria muss leider arbeiten, Lucie wollte kommen und Sarah..."Ach da bist du ja endlich", rief ich als Sarah um die Ecke kam. 

Nach 20 Minuten Warten, waren wir immerhin zu fünft. Obwohl fünf von 30 jetzt nicht die beste Quote war, machten wir uns auf den Weg zur Führung und ließen und einige interessanten Fakten und Geschichten zur deutschen Literatur erzählen. Auch wenn die Exkursion nur knapp zwei Stunden ging, es hatte sich auf jeden Fall gelohnt die Zeit mit Sarah, Frau Winterberg und noch ein paar Anderen aus meinem Kurs verbracht zu haben. Und die Zeit verging leider schneller als gedacht. Obwohl ich wahrscheinlich mehr mit dem Beobachten von Anne Winterberg beschäftigt gewesen war und mich dadurch mehr oder weniger schlecht auf die Führung konzentriert hatte, war ich traurig, als die gemeinsame Zeit schon wieder vorbei war. Wir verließen also gemeinsam das Museum, Sarah machte sich auf den Weg zu ihrer Tante, ich ging mit Frau Winterberg bis zu nächsten Straßenecke und wir unterhielten uns noch ein wenig über die Literatur in Deutschland als sie plötzlich "Wohin müssen Sie eigentlich?" in unser Gespräche einwarf. "Richtung Innenstadt, warum?"...ich sah sei fragend an. "Nunja, ich muss auch dorthin, weil ich jemanden vom Bahnhof abholen muss." "Würden Sie mich eventuell bis zum Bahnhof mitnehmen? Von da aus ist es nur ein Katzensprung bis zu mir nach Hause", sprudelte es jetzt so aus meinem Mund und ich war erschrecke über so viel Mut meinerseits, dass es mir selbst erstmal die Sprache verschlug als Frau Winterberg "Klar gerne", antwortete. 

Da saß ich nun also. Neben meiner Dozentin. Zusammen mit Frau Winterberg im Auto. Und gab es irgendetwas schöneres in diesem Moment? Nein unter Garantie nicht. Ich war einfach vollkommen glücklich und schwieg etwas unbeholfen vor mich hin, bis Frau Winterberg mich in die Realität zurück holte. "Haben Sie eigentlich Geschwister"?", wollte sie wissen und ich beantwortete ihr die Frage natürlich, sagte ich dass ich Einzelkind bin und so begann ein reges Gespräch mit ihr. Ein Gespräch von dem ich bis dato nur hätte träumen können. Ich war nicht gut mit Autoritätspersonen zu reden, schon gar nicht, wenn ich alleine mit ihnen war. Aber irgendetwas an Frau Winterbergs Art faszinierte mich so sehr, dass ich mich gar nicht so unwohl fühlte wie sonst immer bei so etwas. Nicht dass ich jeden Tag bei meine Dozenten im Auto mitfahren würde, das meine ich nicht... Aber jedes Mal, wenn das Gespräch drohte aufzuhören, weil ich eine zu knappe Antwort gab oder einfach nicht weiter wusste, eben weil ich so schüchtern war, kam sie einfach mit einer Neune Frage auf mich zu. Sie gab mir das Gefühl der Sicherheit, dass ich mit ihr über alles Reden konnte. Für eine kurzen Moment vergaß ich sogar, dass es meine Dozentin war mit der ich gerade so angeregte Gespräche führte und alles mögliche erzählte. Das merkte ich aber erst wieder, als wir auf das Thema Uni zu sprechen kamen und wunderte mich über mich selbst. 

"Da wären wir schon", sagte Frau Winterberg und lächelte mich vom Fahrersitz aus an. Diese Fahrt war die schönsteAutofahrt in meinem bisherigen Leben gewesen und wow, mir fehlten die Worte. Wir stiegen gemeinsam aus und liefen in die Bahnhofsvorhalle. Frau Winterberg drehte sich zu mir "Claire ich muss jetzt hier lang, ich wünsche Ihnen noch eins schönes Wochenende". "Das wünsche ich Ihnen ebenfalls...und viele Dank, dass Sie mich mitgenommen haben", entgegnete ich und da meine Neugierde nicht nachließ fügte ich noch schnell "Wen holen Sie eigentlich ab?" hinzu. Frau Winterberg sah mich an und grinste "Gern geschehen Claire...und ich hole meinen Mann hier ab, er kommt gerade von einem Meeting zurück", ertönte es in meinen Ohren. 

Mir stockte der Atem und meine Kehle schnürte sich augenblicklich zu. Ich wusste nichtmal warum...diese wunderbare Frau hatte bestimmt einen tollen Mann und ich benahm mich so seltsam und reagierte komplett idiotisch beziehungsweise mein Körper tat dies. Krampfhaft versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen und lächelte schief, bis ich mich winkend von ihr  verabschiedete. Mir kam das ganze Gespräch von grade nochmal hoch, wie vertraut wir geredet hatten, wie wohl ich mich bei ihr gefühlt hatte. Und mit einem Mal fühlte ich mich wieder so wie die eine Nacht in meinem Bett, als ich darüber nachdenken musste was mit mir los war. Tja, die Antwort hatte ich bis heute noch nicht und ehrlich gesagt brachte mich das heute auch nicht im Geringsten weiter. "Mein Mann...", wiederholte ich ihre Worte und spürte wie ich eifersüchtig wurde...eifersüchtig auf ihren Mann? Wegen Anne Winterberg? Weil er hatte was ich niemals haben würde? Ich verstand die Welt nicht mehr und hoffte, wenigstens mal ansatzweise nachvollziehen zu können, was mit mir nicht stimmte. Vielleicht fand ich das auch noch raus, aber es braucht einfach etwas Zeit... Wunder gibt es schließlich immer wieder.

Aber ich liebe sie...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt