Manuels Sicht
Mit vor Müdigkeit noch halb geschlossenen Augen schälte ich mich aus meiner viel zu dünnen Decke, die mir nachts kaum Wärme spendete. Hin und wieder entfloh mir ein leises Gähnen, als ich die kleine Matratze mit einem Fuß zurück in die Ecke schob und mithilfe weniger Schritte an den alten Kühlschrank gelangte. Bevor ich diesen jedoch öffnete, sah ich mich wehmütig in meiner verdreckten Wohnung um. Sie bestand aus einem einzigen Zimmer, in welchem sich nur mein 'Bett' und der billige Kühlschrank, den ich vor wenigen Wochen in einer Mülltonne gefunden hatte, befanden.
Ein Schauer von Traurigkeit überkam mich, wie beinahe jeden Tag. Besonders wenn ich morgens wach wurde, sehnte ich mich nach einem warmen Zuhause, einer liebenden Familie und richtigem Essen. Etwas, was viel zu viele Menschen für selbstverständlich hielten. So wie auch ich, einst. Vor über zwei Jahren. Nun konnte ich mich nur für mein Leben schämen, nie hätte ich gedacht, einmal so tief zu fallen. Aber das Schicksal konnte einem in nur wenigen Sekunden alles nehmen und das musste ich schmerzhaft erfahren.
Aus meinen leicht depressiven Gedanken riss mich ein lautes Poltern, welches ihren Ursprung vor meiner Tür hatte. Seufzend sah ich ein, dass sowieso keinerlei Lebensmittel den Kühlschrank gefüllt hatten, und trottete zu der leicht demolierten Eingangstür, die unter den starken Fäusten einer noch unbekannten Person einzubrechen drohte.
,,Mach die verdammte Tür auf, du Penner!", hörte ich und wusste sofort, wer sich einen Eintritt in meine winzige Wohnung verschaffen wollte. Wieso auch immer diese Person an der Tür klopfte, hatte sie doch selbst auch einen Schlüssel.
Meine eiskalten Hände, die aufgrund der im Zimmer herrschenden Kälte bereits leicht zitterten, griffen zögerlich zu dem rostigen Türgriff.
Kaum hatte ich das alte Metall ein wenig nach unten gedrückt, sprang mir die hölzerne Tür entgegen. Bevor ich reagieren konnte, knallte die harte Kante gegen meine Stirn und beförderte meinen dürren Körper innerhalb weniger Sekunden zu Boden.
Stöhnend fasste ich mir an die pochende Stelle und rappelte mich ein wenig auf, sodass ich meinen Oberkörper gegen die Wand lehnen konnte. Neben mir spürte ich das hölzerne Material meines einzigen wichtigen Besitzes, meiner Gitarre. Kurz sah ich nur schwarz, schnell aber tanzten weiße Punkte vor meiner Sicht und führten mir meine Umgebung wieder vor Augen. Erst dann konnte ich den stämmigen Mann ausmachen, auf dessen faltiges Gesicht eine von Wut verzogene Grimasse lag. Eine seiner speckigen Hände stützte ihn an der Wand ab, ohne die er wahrscheinlich ebenfalls zu Boden gegangen wäre. Sein starkes Schwanken verriet mir bereits einiges, doch der heftige Gestank, der von meinem Vermieter ausging, bestätigte meine Vermutungen endgültig.
,,Willst du nicht endlich mal die scheiß Miete zahlen? Entweder du gibst mir jetzt sofort mein Geld oder wir lösen das verdammte Problem anders", raunte er, ein unüberhörbares Lallen klebte an seiner Stimme und machte es mir schwer, das Gesagte wirklich zu verstehen. Sobald ich seinen letzten Satz realisierte, erstarrte ich. Wie anders?
Laute Schritte erklangen und der betrunkene Mann kam auf mich zu. Hastig zog ich mich an der bröckelnden Wand nach oben und drückte mich verängstigt an diese, als sein nach Alkohol stinkender Atem bereits an meine Wange prallte. Zitternd drehte ich meinen Kopf zur Seite und behielt meine geliebte Gitarre immer im Auge.
,,Hast du das Geld?", fragte der Ältere und fuhr dabei mit seiner riesigen Hand drohend an meinen Hals. Mein Atem stockte und alles was ich schaffte, war, verneinend zu brummen. Herausfordernd legte er seinen Kopf schief und streifte mit seiner rauen Lippe meinen Kiefer. Ein ängstliches Winseln entfloh meiner Kehle und schien meinen Vermieter nur noch mehr bei seinem Tun zu ermutigen. Mit einem widerwärtigen Grinsen auf den Lippen griff er mit seiner anderen Hand an meine Hüfte, woraufhin ein eiskalter Schauer über meinen Rücken lief. Seine Finger umspielten den Saum meines löchrigen Pullovers, bevor der Größere mit dem folgenden Satz verlangend den Stoff meiner dünnen Hose nach unten schob. ,,Dann wirst du deine Schulden anders begleichen müssen."
Panisch riss ich meine Augen auf und eine Gänsehaut, die aus purem Ekel entstand, legte sich über meinen gesamten Körper. Hecktisch atmend überlegte ich mir, wie ich aus dieser Situation entkommen konnte. Dabei fixierte ich meine schwarze Gitarre, die unbemerkt neben mir lag. Plötzlich ging ein kleines Licht in meinem Kopf an und neue Hoffnung keimte in meinem Inneren auf. Doch diese wurde schnell durch Panik ersetzt, als sich trockene Lippen verlangend an meinen Hals pressten.
Ich konnte und wollte nicht länger warten, weshalb ich ohne wirklich über meine Zukunft nachdenkend meinen Plan vollführte.
Mit all meiner Kraft rammte ich mein Knie in einen bestimmten Körperbereich des Mannes vor mir und packte, nachdem seine schmierigen Finger sich von meiner Haut gelöst hatten, den Hals meiner Gitarre und meinen kaputten Rucksack, der gleich neben der Tür ruhte. Mit großen Schritten stürmte ich aus dem Gebäude, bekam noch das laute Fluchen meines Vermieters zu hören, bevor mir die kühle Morgenluft entgegen schlug.
Selbst, als ich mehrere Straßen von meiner ehemaligen Wohnung entfernt war, verlangsamte ich mein Tempo nicht. Zu groß war meine Angst, dass das perverse Schwein mir gefolgt war. Allein bei dem Gedanken an vorhin erschauderte ich und leicht panisch schaute ich mich immer wieder um. Obwohl sich niemand in meiner Nähe befand, fühlte ich mich verfolgt und beobachtet, die dicken Finger meines einstigen Vermieters spürte ich selbst Stunden danach immer noch auf meiner kalten Haut.
Um die Mittagszeit herum saß ich an die Wand eines Einkaufsmarktes gelehnt, inmitten einer großen Stadt, dessen Name ich nicht einmal wusste, wobei es mir eigentlich auch egal war. Seit mehreren Stunden war ich nun schon auf dem Weg, wollte einfach weg aus meinem ehemaligen Heimatort.
Bereits vor einiger Zeit hatte ich den Gedanken gehabt, weiterzuziehen. All das Bekannte hinter mir zu lassen und vielleicht endlich den richtigen Ort zu finden. Bis zum heutigen Tag hatte ich jedoch nie den Mut dazu. Meine Wohnung war zwar schäbig, aber zumindest hatte ich ein Dach über meinen Kopf. Etwas, worauf ich nun wieder lange warten konnte. Das Geld, welches ich durch meine Musik auf der Straße verdiente, reichte mir kaum für eine richtige Mahlzeit, wie sollte ich mir so eine Wohnung finanzieren können. Oft genug hatte ich bereits um einen Job angefragt, aufgrund meines fehlenden Abschluss dachte jedoch jede Firma, ich wäre zu nichts fähig. Niemand wollte mich, nicht einmal meine eigene Familie.
Mit Tränen in den Augen rutschte ich an der Steinwand zu Boden und ließ meine Gitarre aus meiner Hand gleiten. Zitternd vor Kälte schlang ich die Arme um meine Beine und kauerte mich zusammen. Das Schicksal spielte gegen mich und im Moment schien es die besseren Karten zu haben.
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Feedback BITTE in die Kommentare, Kritik ist gerne erwünscht. Sowie eure Meinung zu der FF. Für weitere Anfragen für gemeinsame Projekte bin ich immer zu haben.
[1130 Wörter]
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Wrecked [Kürbistumor]
FanfictionAllein. Allein mit seinem einsamen Schicksal. Manu verdient sein Geld mit der Straßenmusik, aber das reicht gerade so zum Überleben. Er hält sein Leben so einfach nicht aus. Und dann trifft er irgendwann diese eine Entscheidung, die sein Leben grun...