Patricks Sicht
Nachdem ich einiges an Zeit hatte, um mich von dem Streit mit meinem Vater zu erholen, musste ich mich heute wohl mal wieder bei ihm melden. Schließlich hatte er mich auf meiner alten Handynummer nicht mehr erreichen können. Also tippte ich seine Nummer ein und wurde nach nur zwei Sekunden durchgestellt.
"WO WARST DU?" Fragte mein Vater ziemlich laut und sichtlich aggressiv. Ich seufzte nur. "Hab mein Handy geschrottet und brauchte ne Pause. Und nein, ich arbeite nicht mit Josh zusammen. Ich hab zu tun, wir hören uns." Damit legte ich auf.
Mein Vater konnte machen was er wollte, im Endeffekt war ich eine seiner Geldquellen und deshalb zu wichtig, um mich zu verlieren.
Ja, es war schwer, zu wissen, das mein Vater so über mich dachte. Aber ich hatte mich daran gewöhnt. Seit ich ausgezogen war, hatte mein Vater nicht mehr wirklich jemanden, dem er sich anvertrauen konnte und darum war er etwas seltsam geworden. Aber ich hatte es nicht mehr bei ihm ausgehalten. Ich brauchte Ruhe, wenn ich Zuhause war. Außerdem hatte mein Vater mir schon den einen oder anderen One Night Stand versaut und das war einer der wichtigsten Gründe, weshalb ich ausgezogen war.
Relativ unsicher ging ich durch meine Dachgeschosswohnung. Von hier hatte man einen unglaublich guten Blick auf Southside. Aber heute fehlte mir Inspiration und irgendwie auch Motivation, um irgendwas zu spielen. Also entschied ich mich, den braunhaarigen zu suchen, den ich vor zwei Tagen getroffen hatte.
Mit Schlüssel und Handy bewaffnet ging ich aus dem Haus und erst einmal über den Brunnenplatz in der nördlichen Fußgängerzone. Allerdings fand ich den Jungen nicht, egal wie lange ich hier nach ihm suchte. Also zog ich weiter durch Menschenmengen Richtung südliche Fußgängerzone. Heute war Samstag und damit war das Gedränge größer als sonst irgendwo.
Was mache ich eigentlich, wenn ich ihn wiederfinde?
Ich wollte mich auf jeden Fall bei ihm entschuldigen. Schließlich hatte ich ihm weh getan und darum quälten mich jetzt Schuldgefühle. Ob Worte überhaupt genügen? Ich wollte eigentlich viel mehr wissen. Zum Beispiel, warum er mit so einer unglaublichen Stimme noch auf der Straße lebte.
Am Tarkhum-Platz herrschte Massenauflauf um ein Geschäft und ich musste in Richtung einer Seitenstraße ausweichen. Also ging ich einfach in diese Richtung weiter und hoffte, ihn wiederzufinden. Ich wollte seinen Namen wissen. Ihn noch einmal singen hören. Man, wenn ich nicht wüsste, dass es Quatsch war würde ich sagen, ich wäre verliebt. Aber nein. Er erinnerte mich einfach nur an IHN und naja... Ach keine Ahnung!
Plötzlich sah ich in einer Gasse jemanden sitzen. Ich erkannte ihn sofort und trat auf ihn zu. Als ich in der Gasse war und niemand von außen mehr was sehen konnte, zog ich mir die Kapuze vom Kopf und sah ihn unsicher an. Der Braunhaarige musterte mich nur böse.
"Was willst du? Ich hab nichts gemacht. Hab auf dich gehört. Bin zwar kurz vorm Hungertod, aber ich hab nichts gemacht."
Aber in seiner Stimme lag ein Unterton, der mir einen Schauer über den Rücken jagte. Hinter ihm lag etwas am Boden. Seine Gitarre. Aber kaputt. In mir zog sich etwas zusammen, und es war ein ziemlich schmerzhaftes Gefühl, als ich das kaputte Instrument sah. Ich kann das nicht glauben. Was ist nur passiert?
"Ich..." Scheiße, jetzt hat's mir auch noch die Sprache verschlagen. Mein Blick huschte von der Gitarre zu dem Braunhaarigen und wieder zurück, so schnell, das ich den erwartungsvollen Blick des kleineren erst ziemlich spät bemerkte. Und dann wusste ich genau eine Sache:
Ich muss auf jeden Fall an meinem Ego arbeiten.
"Es... Es tut mir Leid, okay?"
Der Braunhaarige zuckte zusammen, schien für einen Moment zu überlegen, bevor er einmal seufzte und dann schwach lächelte.
"Ist schon okay. Es hat sich schon lange niemand mehr bei mir entschuldigt... Ich sehe dir an, das du's ernst meinst. Aber eigentlich ist es sowieso nicht wichtig. Schließlich ist sie kaputt, nicht? Manchmal muss man sein Schicksal akzeptieren."
Mir wurde schon bei dem Gedanken schlecht. Nein... Ich muss doch irgendwas tun können! Sonst würde ich mir seinen Tod zuschreiben müssen und naja, ich glaube, das überlebe ich nicht. Also fasste ich einen Entschluss. Es konnte doch kein Zufall sein, das ich gerade jetzt an IHN denken musste. Das ich gerade jetzt dazu genötigt wurde, mit nem Typen zu singen. Und es konnte doch verdammt noch Mal kein Zufall sein, das ich ihm begegnet bin! Ich glaube das nicht. Und ich wollte ihm helfen.
Vielleicht...
Vielleicht hatte er ja keine Schuld daran, das er auf der Straße lebte...
Und auch seine Worte über den Hungertod, das wurde mir gerade bewusst, waren vollkommen ernst gemeint. Er hatte gar keine Chance, anders Geld zu verdienen. Wenn alle so dachten wie mein Vater. Und wie... Und wie ich.
"Nein. Nein, das kann und werde ich nicht akzeptieren. Du kommst jetzt mit."
Erschrocken sah er mich an.
"W-wie jetzt?"
Ich schenkte ihm ein Lächeln. Und es fühlte sich einfach nur unglaublich richtig an.
"Du hast bestimmt seit Tagen nichts gegessen. Und duschen solltest du auch. Komm mit, du kannst erstmal zu mir. Und... Das mit der Gitarre tut mir Leid."
Er starrte mich einfach nur perplex an, während ich die Reste seiner Gitarre aufhob und als er sich immernoch nicht bewegte, schnappte ich mir auch den Rucksack.
"Na los, ich hab auch nicht ewig Zeit!" Meinte ich in seine Richtung immernoch lächelnd. Er schluckte und stand dann doch auf und folgte mir. Auf der Straße zog ich mir wieder die Kapuze über den Kopf, achtete aber darauf, das er nicht verschwand.
Ich musste ihn schon fast in meine Wohnung ziehen, so fasziniert war er. Als ich dann doch endlich die Tür schließen konnte, sah er sich mit großen Augen um.
Den Rucksack und den Überrest der Gitarre brachte ich in ein Gästezimmer und ging dann zu ihm zurück.
Für einige Sekunden herrschte Stille. Ich wusste auch irgendwie nicht, wie ich diese brechen sollte.
Und dann musste ich Lachen.
"Kannst mich nebenbei Patrick nennen, wenn du willst."
Der Braunhaarige lächelte schwach. Und scheiße, war dieses Lächeln schön...
"Manuel. Kannst auch Manu sagen, ist mir eigentlich egal."
Wieder herrschte Stille. Aber nur kurz.
"Patrick?"
"Ja?"
"Warum bist du plötzlich so nett zu mir?"
"Ganz ehrlich? Keine Ahnung. Aber irgendwie find ich das gut."
---
Kapitel von StrawberryPikaChan
[1050 Wörter]
DU LIEST GERADE
Wrecked [Kürbistumor]
FanfictionAllein. Allein mit seinem einsamen Schicksal. Manu verdient sein Geld mit der Straßenmusik, aber das reicht gerade so zum Überleben. Er hält sein Leben so einfach nicht aus. Und dann trifft er irgendwann diese eine Entscheidung, die sein Leben grun...