Chapter Two

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Patricks Sicht

Ich will ja nicht sagen, das ich brutal wäre oder so, aber der Wecker hatte es echt verdient, gegen die Wand geworfen zu werden. Dummerweise war der Wecker aber mein Handy und deshalb kratzte ich jetzt auch die Reste vom Boden. Toll, wirklich. Ich hatte es doch erst zwei Wochen. Ach man, dann halt heute keine Diskussion mit meinem Vater. Dabei hätte das bestimmt Spaß gemacht. Obwohl, nach dem Scheiß gestern wohl doch eher nicht.

Etwa zwei Stunden später überreichte ich dem Typen im Elektronik-Fachgeschäft die Reste meines verstorbenen Weckers. Der grinste nur schief, weil ich meine Kapuze wie immer tief ins Gesicht gezogen hatte. "Promis. Das Ding kriege ich aber nicht mehr heile, so nebenbei. Wird wohl ein neues herhalten müssen." Ich zuckte einfach nur mit den Schultern. "Nicht mein Problem." So musste ich mir also ein neues besorgen und stolperte gut eine Stunde später auf die Straße. Dieses Mal hatte es mich Richtung südliche Fußgängerzone verschlagen. Es war noch Vormittag und kaum was los. Die ganzen Kinder hatten Schule und andere Menschen mussten um so eine Uhrzeit arbeiten. Nur wenige Menschen waren deshalb unterwegs. Auf dem Tarkhum-Platz herrschte gähnende Leere. Nur eine einzige Person saß vor den Wasserfontänen am Boden. Ein junger Mann mit schulterlangen braunen Haaren. In seinen Händen hielt er eine schwarze Gitarre mit goldenen Akzenten. Irgendwie kam mir dieses Instrument bekannt vor... Er... Ein Schmerz zog sich durch meinen gesamten Schädel und ich musste mich an einer Wand abstützen, um nicht umzukippen. 

Grün... 

Ich musste mich schütteln. Eine unglaublich bekannte Melodie holte mich zurück in die Wirklichkeit. Der braunhaarige hatte angefangen, einige Töne zu spielen. Er schien sich unsicher, doch dann wurden seine Bewegungen schneller und die Melodie erklang in der richtigen Geschwindigkeit. Und augenblicklich stieg Wut in mir auf. Das ist mein Song. Und als dann plötzlich die Stimme des anderen erklang, auf eine irgendwie gebrochene und doch starke Art, die ich noch nie gehört hatte, verwandelte sich meine Wut schnell in Frust. Scheiße, der singt besser. Viel besser...

Aus dem Frust wurde dann doch wieder Wut und auch Verachtung. Ich konnte von hier aus sehen, wie dreckig die Klamotten des braunhaarigen waren und seine fettigen Haare sprachen auch für meine Vermutung. Das war nur ein weiterer dreckiger Obdachloser, der diese Stadt verschandelte. Die rostige Blechdose sprach ebenfalls dafür. Aber dieser hier bettelte nicht nur, nein. Er benutzte die Werke anderer, um Geld zu verdienen. Ekel kam in mir hoch. Egal, wie gut der Typ singt, er hatte es doch nur geklaut. Und dann auch noch eines meiner Lieder. Ich verlor die Beherrschung und stapfte auf den Jungen zu. Immernoch war kein anderer Mensch zu sehen. 

Als der Braunhaarige mich entdeckte, schien er erst hoffnungsvoll. Doch meine ziemlich aggressiven Schritte schienen ihm ziemlich schnell bewusst zu machen, dass ich nicht sonderlich an seinem Gesang interessiert war. Augenblicklich fiel ihm die Gitarre aus der Hand, er verstummte und kauerte sich zusammen. Als ich nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war, konnte ich in seine Augen sehen. Grün. In ihnen lag Angst. Wundert mich nicht. Ich könnte ihm problemlos alle Knochen brechen. Genervt zog ich mir die Kapuze vom Kopf und sah ihn böse an. "Was soll das, du dreckiger Wurm?" Scheinbar erkannte er mich erst nicht, doch nach einigen Sekunden wurde er blass. "I-Ich... Tut mir Leid!" brachte er hervor und ich verzog das Gesicht. "Ich hasse solche Würmer wie dich. Was fällt dir eigentlich ein, mit der Arbeit anderer Geld verdienen zu wollen?" Der Braunhaarige zuckte zusammen, als ich gegen Ende hin ziemlich laut wurde. "Ich..." Doch ich ließ ihn gar nicht zu Wort kommen. "Dreck. Einfach Dreck! Weißt du eigentlich, wie viel Arbeit es ist, Musik zu machen? Du machst es dir ja einfach! Singst nach, was im Radio läuft und fertig ist die Sache. Hast du überhaupt eine Vorstellung von dem, was du tust?" Ich war so in Fahrt, weil die Wut in mir einfach zusammen mit dem Hass zu stark war, um sie nicht heraus zu lassen. Der Braunhaarige sah mich ängstlich an, während eine einzelne Träne über seine Wange rollte. Dann schüttelte er den Kopf. "Nein." Meine Wut wandelte sich zu Überlegenheit. "Aha, also nein. Dachte ich es mir." Ich überwand die letzten zwei Schritte und zog ihn an den Haaren zu mir hoch. Er war wirklich nicht sonderlich schwer. Ich sah ihm an, dass ich ihm weh tat, aber das war mir gerade echt egal. Ein leises wimmern verließ seinen Mund, den Schrei hatte er sich verkniffen. Besser so. Als er also ziemlich zittrig vor mir stand und mich einfach nur aus ängstlichen grünen Augen musterte, hätte ich ihm eigentlich eine reingehauen. Aber diese Augen...

-"Wo ist denn deine Mama?" fragte der Junge leise. Seine unschuldigen Augen musterten mich, während sich meine Hände verkrampften. Was sage ich ihm denn? Der kleine fünfjährige sah mich weiterhin geduldig an und ich schluckte. Nie werde ich diesen Augenblich vergessen, in dem ich ihn angelogen hatte...-

Seine Augen musterten mich mit so einer Angst... Er sah IHM so ähnlich... Ich konnte ihn nicht schlagen, nein... Genervt schnaubend schubste ich ihn von mir. Vollkommen verstört und verwirrt musterte er mich. Er war einfach auf seinen Füßen zurückgestolpert. "Na los, verpiss dich schon." murrte ich aber nur und konnte bis zehn zählen, da war er weg. Angepisst trat ich den Heimweg an. Blöde Mistkröte. Zuhause ließ ich mich wie den Tag zuvor auf das Sofa fallen, blieb dort aber nicht lange. Ich trat zum Kaminsims und nahm eines der Bilder in die Hand. Es stand ganz hinten und war verstaubt. Mit meinem Hemd rieb ich den Staub von dem Bild und sah es mir an. 

Zwei kleine Jungs Arm in Arm auf einer Terrasse. Hinter ihnen die Hochhäuser Flowlins. Der Himmel war bedeckt von Sternen und der Vollmond schien riesig und rot. Die Lichter der Stadt strahlten ebenso hell wie die Augen des kleinen braunhaarigen, dessen Wangen einen zarten rosa Farbton angenommen hatten. Daneben stand ich, einige Zentimeter größer als er. Seine Augen waren so wunderschön gewesen. Vielleicht hatten uns Schichten getrennt. Vielleicht hatten seine Eltern weniger Geld verdient als meine. Vielleicht war ich auch schon damals ein Nachwuchstalent und vielleicht hatten seine Eltern ein Privatkonzert gewonnen. Vielleicht hatte ich ihn damals mit zu meinem großen Bruder gezogen. Wir hatten zu dritt gesungen und ich war nie so glücklich gewesen. Einige Minuten später hatte sich mein Bruder das Hochhaus hinunter gestürzt. 

Ich weiß, dass mein Verhalten vorhin falsch war. Ich war nicht sauer. Ich war neidisch.

Neidisch auf diesen Jungen, der IHM so ähnlich sah und seine Stimme besaß. 

Ich muss ihm noch einmal sehen. 

Noch einmal seine wunderschöne Stimme hören.

-We keep this Love in a photograph...-

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Kapitel by StrawberryPikaChan

[1122 Wörter]

Wrecked  [Kürbistumor]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt