Chapter Ten

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Patricks Sicht

Grinsend beobachtete ich Manuel, wie er genüsslich und mit geschlossenen Augen auf einem Pfannkuchen kaute. Er war so unfassbar niedlich, auch wenn er scheinbar genauso wie ich unter dem Leben hatte leiden müssen. Aber wen wunderte das schon, schließlich lebte er schon länger auf der Straße. Er tat mir so Leid...

Dennoch machte es mich glücklich, zu sehen, wie er das Frühstück genoss, obwohl ich nicht einmal sonderlich gut kochen konnte. Ich zumindest war schon satt.

Als er auch fertig war, stand ich auf und begann, den Tisch abzuräumen. Doch Manu unterbrach mich und lächelte schüchtern, als ich gerade mit dem Abwasch anfangen wollte.

"Lass mich das machen. Ich fühle mich nicht gut damit, deine Freundlichkeit so auszunutzen."

Da ich nicht mit ihm diskutieren wollte, nickte ich seufzend.

"Na gut, wie du willst. Aber sag mir Bescheid, falls ich dir helfen kann."

Der Braunhaarige nickte lachend und schob mich zur Tür raus, bevor er sie vor meiner Nase zu schlug. Ich konnte ihn durchaus verstehen. Niemand war in der letzten Zeit so freundlich zu ihm wie ich und jetzt versuchte er sich irgendwie zu revanchieren. Gedankenverloren stapfte ich in mein Wohnzimmer und setzte mich auf mein Sofa, sah erst nach draußen, wo es in Strömen regnete und dann zum Kaminsims. Der Kamin war aus roten Ziegeln gemauert worden und wurde meistens nur im Winter benutzt, wenn es draußen richtig kalt war. Ich war kein Mensch für Melancholie und fand, dass meine Heizung einfach effizienter war als der Kamin. Aber vielleicht wird er demnächst dennoch laufen. Denn Manuel erschien mir wie ein Mensch, der solche Dinge wie Kaminfeuer und fallende Blätter im Herbst wunderbar fand. Früher hatte ich die ja auch ganz toll gefunden aber inzwischen war ich mehr so auf dem praktischen Tripp. Kommt wohl von meinem Vater, der nach dem Tod meines Bruders unglaublich viel arbeitete, um den Verlust durch meinen fehlenden Bruder so gering wie möglich zu halten. Praktisch veranlagt nannte man das. Warte, hatte ich das nicht gerade schon gedacht? Ich hatte momentan einfach viel zu wenig zu tun, dadurch, das mein Vater und ich nicht so gut momentan miteinander aus kamen. Durch diesen Gedanken erinnerte ich mich auch automatisch wieder an den Termin nachher. Ich würde Manuel hier alleine lassen müssen. Eigentlich sollte ich mir deswegen wohl Sorgen machen, aber ich vertraute ihm und hoffe mal, das er mich erstens überhaupt gehen lässt und zweitens nicht das Haus abbrennt. Ich meine, vielleicht will er ja gar nicht alleine in dieser fremden Wohnung bleiben und vielleicht wartet er nur darauf, dass ich ihn für fünf Minuten alleine lasse und er alles zu Kleinholz verarbeiten kann. Naja, wie dem auch sei, ich will ihm vertrauen und wenn er dann irgendwann mal aus der Küche kommt, werde ich ihn auf jeden Fall fragen, ob es okay ist, wenn ich ihn hier für eine Stunde oder so allein lasse.

Gedankenverloren war ich aufgestanden und fand mich nun vor dem Kamin wieder. Ohne darauf zu achten hatte ich hinter die Bilder gegriffen und hielt nun eines von ihnen in der Hand.

Ein leichter Staubfilm lag an den Rändern des Glases, wo ein Shirt nicht drankommen würde. Der Rahmen war schwarz und schlicht, aber das Bild war nicht so einfach.

Zwei Jungen, Arm in Arm.

Seufzend strich ich mit dem Finger über das Glas.

Warum sah Manuel dem kleinen nur so ähnlich?

Eine Erinnerung zuckte durch meinen Kopf.

Er sah mich an. Grüne Augen in der Dunkelheit.

"Wie heißt du eigentlich? Ich bin Manu." Er lächelte mich an, ich hörte es an seiner Stimme, sah es quasi vor mir, obwohl es stockdunkel war. Wie konnte das nur sein?

"Patrick..." Hauchte ich leise und schluckte schwer. Es war so... Dunkel...

Manu. Manuel.

Nein.

Das klirren des Glases ließ mich aufschrecken. Der Rahmen des Bildes lag auf dem Boden, Scherben hatten sich darum verteilt, nur das Bild war noch vollkommen heil.

"Das darf nicht sein..."

Aber es würde so viel Sinn ergeben. Die selben Augen, die selbe Stimme, der selbe Name... War er wirklich der kleine Junge von damals? Der zusehen musste, wie mein Bruder sich vom Balkon stürzte?

Ich spürte es tief in mir. Ein Kribbeln.

Er hatte mir Hoffnung gegeben. Damals. Heute. Wie konnte ich nur so dumm sein?

Wie konnte ich nicht erkennen, wer er war? Oder, war es er?

Mein Kopf qualmte. Schnell hob ich das Bild auf und drückte es an meine Brust. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich sollte mir keine Hoffnungen machen. Selbst wenn er es ist, er würde sich niemals daran erinnern. Glaube ich. Hoffe ich?

Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Wieder einmal.

"Patrick? Geht es dir nicht gut?"

Seine Stimme klang heiser vor Angst.

"Doch. Mir geht es gut. Ich muss nochmal weg, hoffentlich ist es okay für dich, wenn ich dich hier erstmal alleine lasse?"

Ich wusste selbst, dass sich meine Stimme keineswegs anhörte, als ginge es mir gut, und ich sah, als ich mich umdrehte, dass er ebenfalls wusste, dass ich log. Aber es war mir gerade sowasvon egal. Denn er musste nicht wissen, was in mir vorging. Niemand musste das.

Vorsichtig nickte Manu, wodurch ihm braune Strähnen ins Gesicht fielen. In seinen grünen Augen schimmerte Sorge. Normalerweise war meine Empathie wirklich fürchterlich, aber Sorge konnte ich auf mehrere Meter Entfernung sehen. Zu oft hatte ich es bei anderen Menschen gesehen, wenn ich sagte, mir ginge es gut.

Ohne noch ein Wort zu sagen, löste ich mich aus seinem Griff und ging an ihm vorbei. Ich musste ihn bald mal ins Tonstudio bringen. Schließlich wollte ich irgendwann wieder Zeit für mich haben.

In meinem Zimmer sah ich kurz aus dem Fenster.

In Filmen würde nun draußen ein Unwetter toben, so, wie sich mein Inneres anfühlte. Doch es schien wieder die Sonne, wie immer in dieser beschissenen Stadt. Ich muss weg. Jetzt.

Schnell stopfte ich die Reste der Gitarre in die Sporttasche, die neben meinem Kleiderschrank lag und schulterte sie. Das Bild legte ich auf mein Bett. Als mein Blick auf mein Handy fiel, dass am Ladekabel hing und auf dem Nachttisch lag, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich zu spät kommen würde, wenn ich mich jetzt nicht beeilte. Also sprintete ich aus dem Zimmer, achtete nicht darauf, ob die Tür zu war und rannte mit dem Haustürschlüssel nach draußen.

Jetzt aber schnell.

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Kapitel von StrawberryPikaChan

[1058 Wörter]

Wrecked  [Kürbistumor]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt