Manus Sicht
Mit großen Augen folgte ich jeden noch so kleinen Schritt von Patrick. In gewisser Weise anmutig stolzierte er durch den Raum, griff mit einem sanften Lächeln den Teller vor mir, welcher nur noch von vereinzelten Essensresten geziert war, und verstaute diesen leichtfertig in der kleinen Spülmaschine.
Ein beschwerendes Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus und zum ersten Mal seit einer viel zu langen Zeit wurde mir wieder klar, wie sich ein voller Magen anfühlte.
Keuchend legte ich eine Hand auf meinen prall gefüllten Bauch, der nichts desto trotz kaum vorhanden war, und warf meinen Kopf in den Nacken. Mit müden Augen betrachtete ich die dezent verzierte Decke, dankte Gott innerlich für alles, was mir an diesem Tag widerfahren war. Wieso auch immer ich das tat, schließlich stand er mir in all den Jahren, die ich auf der eiskalten Straße verbringen musste, nie zur Seite. Ich war auf mich alleine gestellt, für so lange. Wieso ging denn jetzt auf einmal alles bergauf? Was hatte ich getan, um so etwas zu verdienen?
Wahrscheinlich hatte Gott sowieso nie seine Finger im Spiel, dachte ich mir. Das alles hatte ich Patrick zu verdanken. Einzig und alleine ihm. Denn nur er hatte mir Essen gegeben. Nur er erlaubte mir, mich in seinem Bad von all dem Dreck zu befreien. Und nur er hatte mir mit einem aufrichtigen Lächeln eine Unterkunft angeboten und erwartete nichts im Gegenzug.
Bevor ich bemerkte, wohin mein Körper mich führte, stand ich auch schon vor dem Musiker. Ein fragender Ausdruck belagerte sein Gesicht, doch dahinter konnte ich ein Gefühl entdecken, welches mir in den letzten Jahren fremd geworden war. Dieses Funkeln in seinen Augen, dahinter steckte eine Emotion, die nicht mir gelten konnte. Nein, so etwas wäre nie möglich. Das konnte niemand für mich empfinden. Ich war ein Straßenjunge, dazu verdammt von anderen nichts als missbillige Blicke zu bekommen. Nur das und keine.. Liebe.
Um all diese wirren Gedanken vorerst in den Hintergrund schieben zu können, schloss ich meine Arme um den größeren Körper Patricks, vergrub mein Gesicht im dicken Stoff seines Pullovers und sog langsam die Luft ein.
,,Danke", hauchte ich noch im selben Atemzug, wobei ich ebenfalls ein entschlossenes Nicken von mir gab.
,,Ich tu's."
Nach kurzer Zeit entfernte ich mich von dem Älteren und hob grinsend meinen Blick. Auch wenn mir gerade nicht zum Grinsen zumute war, so musste ich doch an einen weisen Satz denken, den ich einst irgendwo gehört hatte. Allein das Heben der Mundwinkel, auch wenn es nicht aus Gefühlen heraus passiert, kann einen glücklich machen. Vielleicht sollte ich einfach nur so tun, als wäre ich glücklich, um es irgendwann auch wirklich zu sein. Bis dahin musste ich meine Fassade aufrecht erhalten. Irgendetwas sagte mir, dass es nicht mehr so lange nötig sein würde. Denn die Quelle zu meinem wahren Glück stand direkt vor mir, nur wusste ich es noch nicht.
,,Du singst?", freute sich Patrick, sein Grinsen, welches sich bis zu seinen Ohren erstreckte, wirkte mehr als echt. Wenn ich ihn mit solchen Kleinigkeiten glücklich machen konnte, dann würde ich nie damit aufhören.
Aber bei der Tatsache, dass ich bald vor einem bekannten Sänger ein Liedchen trällern musste, wurde mir mulmig zumute. Seine Stimme war doch so wundervoll, neben ihm musste ich doch schrecklich klingen. Wieso wollte er hören, wie ich sang? Um sich über mich lustig zu machen und sich danach noch besser zu fühlen.
Erschrocken über mich selbst schüttelte ich meinen Kopf wild hin und her, wobei meine Haare wirr durch die Luft wirbelten. So war Patrick nicht. Aber woher sollte ich das wissen, ich kannte ihn nicht einmal einen Tag. Dennoch vertraute ich in das Gute der Menschen.
,,Was? Du willst doch nicht singen?", riss mich eine verletzt wirkende Stimme aus meinen verrückten Gedanken. Sofort erkannte ich, wem sie gehörte und suchte schnell nach den warmen braunen Augen, in die ich mich, wenn ich in sie blickte, jedes Mal auf ein neues verlor. Enttäuschung glänzte gerade in diesen. Bevor die vernichtenden Vorwürfe in mir hochkrochen, nahm ich das markante Gesicht des Älteren zwischen meine Hände und strich unbewusst mit meinen Daumen über seine präsenten Wangenknochen.
DU LIEST GERADE
Wrecked [Kürbistumor]
FanfictionAllein. Allein mit seinem einsamen Schicksal. Manu verdient sein Geld mit der Straßenmusik, aber das reicht gerade so zum Überleben. Er hält sein Leben so einfach nicht aus. Und dann trifft er irgendwann diese eine Entscheidung, die sein Leben grun...