Ich stieß die Luft aus, die ich, ohne es zu merken, angehalten hatte. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich keine Schuhe mehr an den Füßen hatte und sie vor Kälte ganz taub waren. Ich stand langsam auf und stützte mich auf einem Stuhl ab, bis ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Die Anspannung war vorbei und meine Beine fühlten sich ganz zitterig an. Als ich sicher sein konnte, dass ich nicht hinfallen würde, ging ich zu dem goldumrandeten Spiegel an der Wand. Meine schöne Frisur war vollkommen zerstört, meine Wangen glühten kränklich und meine Augen wurden von den dunklen Rändern meiner verschmierten Schminke umrandet.
Ein verhaltendes Räuspern machte mich wieder auf den Diener aufmerksam, der mit gesenktem Blick an der Tür stand. Ich ging wieder zurück zu dem Stuhl, ließ mich ohne Anstand zu wahren darauf fallen und blickte erneut zu dem Diener: „Bitte such eine Wache, sie soll mich in meine Gemächer geleiten." Der Diener verbeugte sich und huschte aus dem Raum.
Mein Kopf fiel gegen die hohe Lehne des Stuhls und ich schloss die Augen. Sofort riss ich sie wieder auf. Ich war noch immer in den Gemächern meines Bruders und nun ganz alleine. Wenn er jetzt zurückkam, würde mir keiner mehr helfen können. Ich stand wieder auf und überlegte, was ich jetzt tun könnte.
Der Diener würde eine Wache hierherbringen, daher musste ich hierbleiben. Um nicht tatenlos herumzustehen, ging ich erneut zu dem Spiegel. Mit den Fingern fuhr ich mir durch die zerstörte Frisur und löste sie nun vollends auf. Dann kämmte ich mein zerzaustes Haar so lange, bis ich mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden war. Dann setzte ich mir meine Krone wieder auf, die ich mit viel Mühe gerade aus meinem Haar gelöst hatte, und betrachtete mich wieder im Spiegel. Meine Haare fielen mir in leicht wirren Locken über meine Schultern und die Krone glitzerte inmitten dieser Locken. Dann machte ich mich an die verschmierte Schminke. Mit den Fingern strich ich mir unterhalb der Augen entlang. Leider verschmierte ich mir die Schminke dadurch noch mehr. Außerdem waren meine Finger nun ganz schwarz. Ich schnaubte. So wurde das nichts. Ich musste wohl warten bis Gilde sich darum mit warmem Wasser kümmern konnte. Es war jetzt nicht zu ändern.
Ich blickte auf meine nackten Füße herab. Sie waren vom Laufen und der Kälte gerötet, sie würden höllisch schmerzen, wenn sie wieder warm wurden. Dann fiel mir mein Kleid ein, ich versuchte mich so weit zu drehen, dass ich sehen konnte wie es in meinem Rücken aussah. Ich sah viele lose Teile und fühlte, wie kalte Luft an meinen unteren Rücken kam. Vermutlich hatte sich dort das Oberteil von dem Rock gelöst. Da war nichts mehr zu retten.
Erneut schaute ich in den Spiegel. Meine zerzausten Haare, die verschmierte Schminke, das zerstörte Kleid und die nackten Füße, dies alles hatte nichts mit dem Aussehen einer Prinzessin zu tun. Doch als ich die Schultern straffte und den Kopf hob, sah mir immer noch eine Prinzessin entgegen. Ich verfluchte es.
An der Eingangstür klopfte es, dann hörte ich Schritte näherkommen. Der Diener kam ins Zimmer, dicht gefolgt von einem Wachmann in ordentlicher blauer Uniform. Beide verbeugten sich vor mir. „Darf ich Euch zu Euren Gemächern geleiten?" fragte der Wachmann während er mir meine Schuhe hinhielt. Überglücklich nahm ich sie ihm ab und streifte sie mir über. „Vielen Dank" sagte ich zu der Wache, er hielt mir seinen rechten Arm hin und ich hakte mich bei ihm unter. Mit mir am Arm trat er durch die offenen Türen, dann hatten wir die Gemächer des Königs verlassen. Der Diener blieb hinter uns im Zimmer. Ich blickte nicht mehr zurück.
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Unter der Haube goldenes Haar
Historical Fiction„Ich muss weg" Gilde hielt in ihrer Bewegung inne: „Entschuldige Hoheit, wie war das?" „Ich kann nicht mehr im Schloss meines Bruders bleiben. Ich kann mit dieser Angst nicht leben. Ich werde fliehen." Gilde sah mich unendlich traurig an. „Wie könnt...