Das Wasser war nur lauwarm, aber ich seufzte erleichtert, als ich mich in die Wanne gleiten ließ. Wir hatten uns in einem kleinen Gasthaus namens „Am funkelnden Tor" am Rand der Stadt ein Zimmer gesucht. Je näher wir auf unserm Weg der Stadt gekommen waren, desto mehr Leute waren uns auf der Hauptstraße begegnet. Trotz der langen Zeit und der Entfernung, hatte ich meine Angst vor einer Entdeckung nicht abgelegt. Sobald uns jemand einen zweiten Blick zugeworfen hatte, verkrampfte ich mich.
Vor den Toren der Stadt kamen dann Händler auf uns zu, die uns ihre Waren anboten. Ich überließ es Gilde, sie abzuwimmeln und verhielt mich so gut ich konnte unauffällig und desinteressiert. Auch hier in der Gaststätte, hatte nur Gilde das Reden übernommen.
Als ich jetzt meinen Kopf in das Wasser tauchte, wünschte ich mir, es könnte mein Gesicht abwaschen und mir ein neues geben, damit ich endlich in Ruhe und Sicherheit leben konnte.
Das Wasser wurde langsam kalt, also beeilte ich mich mit dem Abschrubben. Mit leicht geröteter Haut von der groben Seife, aber endlich wieder sauber, stieg ich aus der Wanne und trocknete mich ab. Ich nahm meine Kleidung, die ich vor dem Bad ordentlich gefaltet auf einen Haufen neben die Wanne gelegt hatte, und legte sie in die Wanne. Dann kramte ich aus einem Beutel einen groben Kamm und fing an meine Haare zu kämmen.
Seit Wochen hatte ich mich nicht getraut, meine Haare länger als nötig zu öffnen. Aber nun gönnte ich mir das Vergnügen, sie jetzt offen um meinen Körper spielen zu lassen. Ich beugte mich wieder über die Wanne und begann die einzelnen Kleidungsstücke durch mehrmaliges Auswringen so gut wie möglich vom Schmutz zu befreien. Mit dem Ergebnis zufrieden, hing ich sie auf eine Leine und hoffte, sie würden bis zum morgigen Tag trocknen.
Nur mit meinem Unterkleid bekleidet, trat ich aus dem Badezimmer. Gilde war noch nicht wieder da. Sie war kurz nach unserer Ankunft hier erneut losgezogen, um ein paar Besorgungen zu machen. Ich sortierte unsere Sachen und bereitete unsere Betten vor. Langsam wurde es dunkel und ich trat zu dem einzigen Fenster des Raumes und blickte nach draußen.
Schon bei unserer Ankunft war uns die seltsame Struktur der Stadt aufgefallen. Die Stadt war auf einem Hügel erbaut worden. Auf der Spitze des Hügels thronte das Schloss. Die Stadt darum wickelte sich wie eine Spirale hoch zu dem Schloss. Wer der Hauptstraße folgte, musste eineinhalb Mal um den Hügel entlang der Spirale herumgehen, um zu dem Schloss zu kommen. Doch Gilde vermutete, dass man durch Seitengassen deutlich schneller nach oben kommen würde. Die Stadt gefiel mir, die Häuser waren in unterschiedlichen Baustilen errichtet, die Anstriche waren in den leuchtendsten Farben und überall mit Blumen oder Efeu geschmückt. Auf dem Weg zu dem Gasthaus waren wir an einem Haus vorbeigekommen, welches komplett mit Efeu überwuchert war. Dieses kleine fast unscheinbare Haus wurde von zwei großen leuchtend gelben Häusern eingerahmt. Das dunkle Grün des Efeus passte so perfekt zu dem Gelb, dass ich einige Minuten davor stehen blieb und die Perfektion dieser, für manche vielleicht unordentlichen, Bebauung bewunderte.
Jetzt im Dunkeln konnte man die schönen Farben der Häuser nicht mehr erkennen, aber in allen Häusern brannte Licht und man spürte die Energie der Stadt. Auch das Schloss schien nicht wie in anderen Städten fehl am Platz zu sein. Es gehörte dazu, mitten in diese kunterbunte Stadt voller Leben.
Es klopfte. Erschrocken trat ich von dem Fenster weg. Eine Magd kam herein um das Bad abzulassen und ein neues für Gilde einzugießen. Ich bedankte mich, als sie wieder ging und drückte ihr eine Kupfermünze in die Hand. Sie lächelte mich warm an und verschwand. Kurz darauf kam Gilde beladen mit eingewickeltem Essen ins Zimmer. Sie war total begeistert und wollte gleich mit dem Erzählen loslegen, doch ich schickte sie erstmal ins Bad, bevor das Wasser zu kalt wurde.
Ebenfalls in ihr Unterkleid gehüllt kam sie mit nassen, statt braun fast schwarz wirkenden Haaren nach einiger Zeit wieder heraus. Wir machten es uns nebeneinander auf einem der Betten bequem. Dann begann Gilde zu erzählen. Erst schwärmte sie von der Freundlichkeit und Offenheit der Stadtbewohner, dann von den Preisen der Lebensmittel, die hier wohl deutlich preiswerter waren, und kramte schließlich ein kleines gemaltes Bild aus ihrem Beutel. „Du kennst die Geschichte von Equitanien?"
Ich hatte die Geschichte des Königreiches Alabae und deren Nachbarn, so wie jede andere Adlige auch, von einem Hauslehrer gelernt. Die Geschichte Equitaniens war nicht weiter bewegend gewesen: Einer Sage nach sollte in der Nacht, in der die Menschen zum hundertsten Mal die Geburt Jesu feierten, in einem kleinen armen Dorf, welches kurz vor dem Verdursten war, eine Quelle entsprungen sein, die trotz der Kälte nicht zufror. Das Ereignis wurde als Wunder bezeichnet und an der Quelle wurde eine Kirche errichtet, in der bis zum heutigen Tag eine Quelle entspringt. Um die Kirche wurde eine Stadt und schließlich ein Königreich errichtet. Viele bezeichneten das Königreich als das „Königreich der Wunder", da es seit dem Tag weder von Krieg noch von Hungersnot oder Armut heimgesucht wurde.
Gilde hielt mir das Bild unter die Nase und ich schreckte aus meinen Erinnerungen an die Geschichtsstunden auf: „Das Bild hier zeigt die jetzige Königsfamilie. Das königliche Paar König Noah David Johannes und seine Gattin Königin Leona Elisabetta. Das ist der Kronprinz Johannes Lukas und das seine drei jüngeren Schwestern: Prinzessin Vivien Lucia, Prinzessin Henriette Katharina und Prinzessin Berenike Maria. Die Jüngste, Prinzessin Berenike ist jetzt sechs Jahre alt und soll ihre eigene Zofe bekommen. Morgen können sich alle Zofen, die Interesse haben, vorstellen und werden getestet."
Mir blieb die Luft weg, ich hatte nicht damit gerechnet, dass Gilde schon bei ihrem ersten Erkundigungsausflug etwas über eine mögliche Arbeit als Zofe finden würde und jetzt kam sie sogar mit einer möglichen Anstellung am Königshof. Doch dann fiel es mir ein: „Was ist dann mit dir, würdest du denn auch Arbeit finden?" Gilde nickte lächelnd: „Ja bestimmt, am Königshof sucht man bestimmt immer nach neuen Mägden."
Könnte es wirklich sein, dass ich so viel Glück haben sollte, die Zofe von Prinzessin Berenike zu werden?
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Unter der Haube goldenes Haar
Historical Fiction„Ich muss weg" Gilde hielt in ihrer Bewegung inne: „Entschuldige Hoheit, wie war das?" „Ich kann nicht mehr im Schloss meines Bruders bleiben. Ich kann mit dieser Angst nicht leben. Ich werde fliehen." Gilde sah mich unendlich traurig an. „Wie könnt...