Kapitel 12

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Ich blickte unbeteiligt in die Menge, während die Zeit verstrich. Als ich merkte, dass ich immer weiter in den Stuhl rutschte, richtete ich mich auf und nahm wieder eine aufrechte Haltung an, das fast volle Glas immer noch in der Hand. Mein Bruder hatte meine Bewegung bemerkt und blickte nun zu mir rüber. Er lächelte mich an, während er langsam aufstand und zu mir kam. „Langweilt Ihr Euch, geliebte Schwester?" Er blickte auf mich herunter, ich erschauderte. Dann reichte er mir seine Hand. „Wer so schön aussieht, sollte nicht gelangweilt hier oben sitzen. Ich werde Euch zum Tanz geleiten." Er streckte seine Hand noch weiter in meine Richtung. Gezwungenermaßen musste ich nach seiner Hand greifen und mir aufhelfen lassen. Mein Bruder hakte meinen Arm bei sich unter und ging mit mir zum Rand des Podestes. Wieder verstummte die Musik und alle blickten uns an. „Spielt weiter. Ich werde mit meiner Schwester einen Tanz wagen." Die Musikanten fingen wieder an zu spielen, doch die Tänzer nahmen ihren Tanz nicht wieder auf. Mein Bruder führte mich zur Mitte des Raumes. Die Leute um uns herum wichen tuschelnd zur Seite und bildeten nach und nach einen großen Kreis um uns. Der König ließ mich los, trat einen Schritt an mir vorbei und drehte sich um, sodass er mir nun genau gegenüber stand. Dann verbeugte er sich und ich machte einen Knicks. Er legte einen Arm um meine Taille und fasste mit der anderen meine Hand. So begann er mich in den Tanz zu führen und ich folgte. Über die Tanzschritte musste ich mir keine Gedanken mehr machen, ich hatte das tanzen gelernt sobald ich laufen gelernt hatte.

Ich blickte in das Gesicht meines Bruders. Er lächelte mich wieder so schief und anzüglich an, dass ich meinen Blick sofort abwendete. Stattdessen blickte ich über seine Schulter auf die Menge, die an uns vorbei wirbelte. Alle sahen zu, wie der König und die Prinzessin tanzten. Ich sah unendlich viele Gesichter an mir vorbeiziehen. Die meisten schauten unbeteiligt, sogar fast gelangweilt, einige schauten ehrfürchtig und bei einigen Damen sah ich auch Eifersucht. Diese Damen würden alles dafür geben, jetzt an meiner Stelle zu sein und ich würde alles dafür geben, wenn sie es wären.

Die Musik spielte und spielte und meine Füße bewegten sich auf dem Parkett. Plötzlich hatte ich eine Idee. Zum ersten Mal seit der Tanz begonnen hatte, konzentrierte ich mich auf meine Füße. Ich zwang meine Füße aus dem Rhythmus des Tanzes auszubrechen. Absichtlich machte ich einen Schritt zur Seite. Da mein Bruder mich jedoch zur anderen Seite führte, kam ich ins Stolpern. „Ah!" ich schrie leise auf. Sofort stoppte mein Bruder. „Was ist mit Euch, habt Ihr Euch wehgetan?" Ich verlagerte das Gewicht auf meinen linken Fuß und hob den rechten ein kleines Stück vom Boden. Halt suchend packte ich die Schulter meines Bruders. „Mein Fuß" erwiderte ich, während ich mich mit noch mehr Gewicht gegen ihn lehnte. Um uns herum war es totenstill. „Ich bin in diesen Schuhen umgeknickt. Verzeiht mir mein König, ich werde wohl Eurem Fest nicht weiter beiwohnen können." Ich sah meinen Bruder mit einem halb entschuldigenden, halb traurigen Blick an. Dann winkte ich einer der Wachen zu, die herbeigeeilt waren, als ich den Tanz unterbrochen hatte. Der Wachmann trat an meine andere Seite. „Bitte geleite mich auf mein Zimmer und schicke nach dem Arzt." Ich ließ meinen Bruder los und lehnte mich gegen die Wache, die stützend ihren Arm um mich legte. Mit einem entschuldigenden Lächeln in die Menge ließ ich mich von dem Wachmann aus dem Saal führen, wobei ich darauf achtete, meinen rechten Fuß auf keinen Fall zu belasten.

Unter der Haube goldenes HaarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt