Als die Glocke von Sofia ertönte, war ich bereits wach. Wieder hatte mich mein Alptraum gequält. Ich stand auf, zog mich an, flocht meine Haare und versteckte sie unter der Haube. Dann trat ich nach draußen.
Eiskalter Wind drang durch die Fenster des Ganges. Schnell ging ich wieder in mein Zimmer und kramte ein Tuch hervor. Es wurde Herbst. Beim Hinausgehen stellte ich überrascht fest, dass mein Geburtstag in zwei Wochen sein würde. Während in meinem alten Leben vermutlich eine rauschende Feier anlässlich dieses Ereignisses stattgefunden hätte, würde es hier ein Tag wie jeder andere sein, vor allem, da nur Gilde von meinem Geburtstag wusste.
Zusammen mit den anderen Zofen ging ich zum Frühstück. Fröhlich plauderten wir über den neusten Klatsch und Tratsch. Gestärkt versammelten wir uns danach auf dem Flur.
„Heute ist Mittwoch der 17. Oktober. Der König ist erkrankt. Er ist bettlägerig und braucht vollkommene Ruhe. Bis auf den Kronprinzen, der während der Krankheit die Aufgaben des Königs übernehmen wird, wissen die Königskinder noch nichts über den Zustand ihres Vaters. Bitte informiert sie schonend. Laut dem Arzt wird der König für mehrere Tage unpässlich sein."
Die fröhliche Stimmung war wie weggewischt. Die Krankheit klang besorgniserregend. Auf dem Weg zu den Gemächern der Prinzessin überlegte ich, wie ich es ihr schonend erklären konnte. Berenike war klug und sie würde die Wahrheit spätestens beim Zusammentreffen mit ihren Schwestern erfahren. Also würde ich nichts verharmlosen oder verschweigen, sondern die ganze, bittere Wahrheit erzählen.
Die Erwähnung des Prinzen vorhin hatte unwillkürlich dazu geführt, dass meine Gedanken, wie so oft in letzter Zeit, fast nur noch um ihn kreisten. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, ab und zu die Gemächer der Prinzessin aufzusuchen. Wenn Berenike da war, spielten wir mit ihr und sie genoss sichtlich die Aufmerksamkeit des Bruders.
Wenn Berenike jedoch nicht da war und ich mich alleine in den Gemächern befand, so nutzten wir die Zeit zum Reden, um uns kennenzulernen und natürlich um uns zu küssen und uns körperlich nahe zu sein.
Mit einem warmen Gefühl erinnerte ich mich an ein Treffen vor zwei Tagen: Berenike war beim Unterricht und wir hatten es uns auf dem Sofa vor dem Kamin bequem gemacht. Ich lehnte gegen seinen Oberkörper und spürte das Pochen seines Herzens in meinem Rücken, während er meine Haube abgenommen hatte und durch mein Haar strich.
„Bist du glücklich?" fragte er. „Wie meint ihr das, Hoheit?" Er versteifte sich. „Nenn mich nicht Hoheit, bitte nenn mich Johannes." Ich drehte mich so weit um, dass ich ihm ins Gesicht sehen konnte. „Ich werde Euren Stand nicht vergessen."
„Es schafft eine Distanz zwischen uns." „Es ist eine Distanz zwischen uns. Ich stehe fünf Stände unter Euch." „Aber jetzt, hier ist doch keine Distanz zwischen uns."
Er zog mich an seine Schulter. Mein Ohr lag nun direkt auf seinem Herzen und ich hörte das schnelle Klopfen. Ich blickte zu ihm hoch: „Nein hier ist keine Distanz zwischen uns und ja, ich bin glücklich, Johannes." Ganz sanft sprach ich seinen Namen aus. Dann streckte ich mich und suchte mit meinen Lippen die seinen.
Ich war vor Berenikes Gemächern angekommen und riss mich gewaltsam aus meinen Gedanken. Nun musste ich für Berenike da sein und da hatte nichts Anderes etwas in meinen Gedanken zu suchen. Schnell ging ich durch die Zimmer und suchte eilig ihre Sachen für den heutigen Unterricht zusammen.
Dann trat ich ins Schlafzimmer der Prinzessin. Zusammengerollt lag sie unter der Decke. Ich kletterte auf das riesige Bett, bis ich bei ihr angekommen war.
„Prinzessin, aufwachen" Im Gegensatz zu meiner Gewohnheit, blieb ich bei ihr auf dem Bett und sah zu wie sie langsam aufwachte. Als sie einigermaßen aus dem Reich der Träume erwacht war, sah sie mich verwirrt an.
„Ist irgendwas passiert?" Sie war viel zu schlau. Das lag eindeutig in der Familie. Ich half ihr, sich aufzusetzen. „Es geht um Euren Vater. Er ist erkrankt. Er ist bettlägerig und wird für mehrere Tage ausfallen." Berenike sah mich ernst an.
„Ist es schlimm?" „Das kann ich Euch leider nicht sagen, diese Information wurde nicht an uns weitergegeben. Vielleicht wissen Eure Schwestern mehr." Langsam nickte Berenike: „Wird Johannes die Aufgaben von Vater übernehmen?" „Ja, also rechnet damit, dass er die nächsten Tage keine Zeit für Euch haben wird."
Eine einzelne Träne lief ihr die Wange hinunter. Ich strich sie weg und nahm sie dann in den Arm. „Es wird alles wieder gut!" flüsterte ich während ich ihr langsam über den Rücken strich. Sie löste sich wieder von mir.
„Ich muss zum Unterricht, oder?" „Ja Prinzessin, ich habe Eure Tasche bereits gepackt. Welches Kleid wollt ihr anziehen, es ist kühl und sehr windig." Beim Thema Kleider wurde sie wieder etwas munterer. Mit schief gelegtem Kopf überlegte sie kurz: „Das Grüne mit dem hohen Kragen." „Alles klar, Eure Hoheit, ich lege es Euch raus, dann könnt Ihr zum Frühstück."
Ich kletterte vom Bett und zog die Vorhänge auf. Dann ging ich vom Ankleidezimmer aus zum Kleiderschrank und suchte das grüne Kleid raus. Gerade als ich es samt passender Schuhe und Schmuck bereitgelegt hatte, tapste die Prinzessin aus dem Bad ins Ankleidezimmer.
Ich half ihr in das Kleid und die Schuhe. Anschließend band ich ihre Haare zu einem einfachen Zopf zusammen und legte ihr den Schmuck an. Genau in dem Moment in dem wir die Gemächer der Prinzessin verließen, kamen auch Prinzessin Henriette und Zofe Mara aus ihrem Gemach.
Sofort rannte Berenike zu ihrer Schwester. Mit gedämpftem Ton unterhielten sie sich. An den ernsten Mienen konnte man sehen, dass sie sich über ihren Vater unterhielten. Mit Abstand und den Taschen für den Unterricht in der Hand folgten Mara und ich den Beiden zum kleinen Speisesaal.
Hi, ich bin seit dem 07.07.2019 auf #2 in Märchen und ich möchte euch allen dafür danken, dass ihr durch eure Votes dies möglich gemach habt. Vielen Dank :)))
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Unter der Haube goldenes Haar
Fiction Historique„Ich muss weg" Gilde hielt in ihrer Bewegung inne: „Entschuldige Hoheit, wie war das?" „Ich kann nicht mehr im Schloss meines Bruders bleiben. Ich kann mit dieser Angst nicht leben. Ich werde fliehen." Gilde sah mich unendlich traurig an. „Wie könnt...