Ally Petters

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Nach seinem Wutausbruch herrschte Stille und Ally war vor Überraschung beinahe das Herz stehen geblieben, als er so heftig reagiert hatte. Der Safe war leer, auch wenn sie ihn zur Sicherheit abklopfte und nach einem versteckten zweiten Fach suchte. Nichts. Gerade als sie etwas sagen sollte, vorschlagen wollte, dass es immer noch einige Räume gab, welche durchsucht werden könnten, hob er die Hand. Ally erstarrte, den Mund bereits geöffnet und sah, wie er den Kopf leicht neigte, scheinbar lauschend.

Gehört hatte sie nichts, sah aber seinen alarmierten Blick und hielt die Luft an. Da war nichts, sie konnte nichts hören. Turner bewegte sich, warf ihr einen warnenden Blick zu und winkte sie entschieden zur Tür, während er das Licht löschte. Strauchelnd folgte sie durch die Dunkelheit, versuchte etwas zu erahnen, zu hören, was er gehört hatte. Er bewegte sich mit einer solch unnatürlichen Geschmeidigkeit durch die Finsternis, das hatte sie zuvor schon festgestellt und bekam in seiner Anwesenheit immer öfter dieses ungute Gefühl. Dass er zuvor unter diesen Umständen hatte lesen können, war mehr als nur abnormal. Es entzog sich ihrem Verständnis. Vielleicht war er auch einfach nur verrückt, was sein eigentümliches Verhalten erklären würde. Sie wollte es sich nicht eingestehen, aber manchmal hatte sie regelrecht Angst vor ihm. Etwas war falsch mit Turner. Ally hatte schon immer ein ungutes Gefühl gehabt, wenn sie mit seiner Behörde zu tun hatte. Wie eigentümlich war es, dass jeder dort aussah, als wäre er einem Katalog entstiegen oder hätte den Charisma-Preis gewonnen. Außerdem traf man die meisten nur nachts an, was ihr gegenüber gerechtfertigt wurde, dass tagsüber nur selten Meetings abgehalten wurden. Es war alles viel zu geheim, als dass man weiter fragen konnte. War es aber nicht komisch, dass sämtliche Treffen vor Sonnenaufgang oder eben nach Sonnenuntergang stattfanden? Die Vampirabteilung, so wurden sie von den meisten genannt und wäre es nicht so zutreffend gewesen, hätte sie mit den anderen darüber lachen können. Absoluter Schwachsinn, nur leider waren sie alle irgendwie anders, perfekt, kalt, gleichgültig, selbst Turner, auch wenn er ihr noch am humansten erschien und sie ihm gegenüber niemals sein überdurchschnittliches Aussehen eingeräumt hätte. Aber unter all dem Schmutz, den filzigen Haaren, dreckigen Bartstoppeln, blutunterlaufenen Augen und hinter der Alkoholfahne, befand sich ein Traummann. Mit schlechtem Charakter, scheiß Manieren und widerlichem Auftreten.

So plötzlich wie Turner sie an der Hand packte und aus dem Raum die Treppen hinab schleifte, hart an ihrem Arm riss und sie doch, ohne gegen irgendetwas zu stoßen, durch die Dunkelheit führte, konnte sie sich gar nicht wehren. Das alleine machte ihr schon wieder Angst und jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken.

Seine Hand war so eisig wie zuvor und die Kälte schien sich in ihre Haut zu brennen, in ihr Fleisch, bis hinab zum Knochen. Petters schlug das Herz zum Hals, als sie am unteren Teil der Treppe ankamen, diese umrundeten und sie sich völlig auf ihn und seine viel zu guten Augen verlassen musste.

„Da ist nichts", knurrte sie und nutzte seine Überraschung aus, um sich loszureißen. Sie hatte gelauscht, den eigenen, viel zu lauten Herzschlag ignoriert, ihr lautes Trampeln ausgeblendet und ihren keuchenden Atem verwunschen.

Aber gehört hatte sie nichts. Und auch als sie in dem großen Eingangsbereich stand, welcher spärlich vom Licht des Mondes beleuchtet wurde und sie versuchte Turner in das von Dunkelheit versteckte Gesicht zu blicken, war da nichts. Kein Geräusch, keine Schritte, kein Klirren oder Rascheln oder sonst etwas, das irgendwie hätte darauf schließen lassen können, dass da jemand kam. Er musste paranoid sein, völlig verrückt, vielleicht sogar gefährlich.

Es war wirklich nichts, das an ihre Ohren drang, bis auf die Geräusche welche sie selbst erzeugte. Und Ally riss in der Dunkelheit die Augen auf, drehte sich, wandte ihr Gesicht der Vordertür zu, mehr, weil sie der plötzlichen Angst verfallen war, dass er ihre Mimik ganz genau sehen konnte. Egal wie absurd das war. Ihr wurde schlecht und sie lauschte sogar noch angestrengter.

Da waren wirklich keine Geräusche, bis auf jene, welche sie selbst verursachte. Auch keine von Turner. Sie schauderte, spürte seine kalten Finger, die sie eher an die einer Leiche erinnerten und Ally hatte schon Tote gesehen und angefasst.

Sie musste verrückt werden.

Er versuchte sie weiterzuziehen. Sie entzog sich, er griff erneut zu, zielstrebig und so schnell, dass es ihr vorkam, als hätte er ihre Bewegung vorausgesehen.

Nein. Das war unmöglich. Und sie hatte einfach zu wenig Schlaf, zu viele Medikamente und ein Trauma. Das alles zusammen brachte sie in die Klapse. Anders konnte es nicht sein.

„Petters", knurrte er angespannt und zog sie hart mit sich. Ally fühlte sich nicht danach, mit ihm zu gehen. Sie fühlte sich eher, als würde sie jeden Moment panisch anfangen zu schreien und dann einfach zusammen klappen. Aber sie biss die Zähne zusammen, ignorierte die Kälte, welche von ihm ausging. Diese war vergessen, kaum dass sie das Klirren eines Schlüsselbundes an der Tür hörte.

„Oh Scheiße", brachte sie lautlos hervor, Turners Gesicht war ihrem so nahe, dass sie in dem wenigen Licht seine Augen erkennen konnte. Das Blau stach ihr dunkel entgegen, sein Mund war eine harte Linie und in diesem Licht schien kein junger Kerl vor ihr zu stehen, sondern ein älterer Mann.

Sie waren so plötzlich um die Treppe herum, dass sie sich nicht erklären konnte wie. Rechts von dieser gab es einen kleinen Durchgang und dort befand sich noch eine Hintertür, die ihnen mit Mondlicht als Fluchtweg entgegen strahlte.

Es kratzte am Schloss, während jemand den Schlüssel hinein schob. Allys Brust schien explodieren zu wollen, so sehr schlug ihr das Herz.

Sie wusste selbst nicht warum. Schlimmstenfalls verlor sie ihre Marke endgültig und würde ein Gerichtsverfahren haben – das sagte ihr ihr logischer Verstand. Aber ihr kam es eher vor, als würde sie um ihr Leben laufen. Gerade als Turner die Hand nach der Klinke ausstreckte, hielt er plötzlich inne. Ally keuchte verwirrt, als sie mit einem Ruck zum Stehen kam. Es war ihr egal, wie sie hier gelandet waren, dass das alles viel zu schnell für sie passiert war und wie unmöglich ihr das alles erschien. Sie wollte einfach nur, dass er sie raus brachte. Entschlossen griff sie an ihm vorbei und wollte die Türe selbst öffnen, da wurde sie von ihm aufgehalten. Er hatte nur sanft seine Hand auf die ihre gelegt und im Mondlicht bewegte er den Kopf und schien in eine Richtung zu nicken.

Sie drehte sich, sah nach rechts und bemerkte eine Tür, welche direkt in die Wand der Treppe gebaut war. Ein Wandschrank oder etwas dergleichen, aber wer sperrte seinen Wandschrank ab? Es erweckte Allys Neugierde, auch wenn sie nur Sekunden hatten, bis – wer auch immer – die Tür öffnete und das Haus betrat. Sie hatten keine Zeit, nur leider schien das Turner nicht so zu sehen und stand bereits an der Tür. Innerhalb eines Augenzwinkerns war das passiert, als er schneller als sie es für möglich hielt mit einem leisen Klicken die Tür entriegelte.

Er hielt etwas hoch, das silbern im Licht glänzte und sie mehr erriet, als tatsächlich sah, dass es sich um den von ihm zuvor gefundenen Schlüssel handelte. Er hatte indes die Tür geöffnet, zog sie entschlossen zu sich heran und Ally folgte, nicht darüber nachdenkend, dass er sie in der Besenkammer verrotten lassen könnte.

Aber es war keine Besenkammer, das Mondlicht erhellte den Boden nur spärlich, aber sie konnte die ersten Stufen erkennen.

„Ein Keller?", fragte sie, bewegte ihre Lippen und erzeugte doch kein Geräusch. Turner sah sie an und nickte. Zeitgleich mit dem Klicken der Haustür zog er die ihre hinter ihnen zu.

Australier hatten keine Keller.

States of BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt