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Obwohl ich Samstags normalerweise wegen der Vorfreude auf das Tanztraining schon um sieben auf den Beinen stand, schlief ich an diesem Morgen gleich vier Stunden länger. Meine Gedanken hatten mich bis in die frühen Morgenstunden die Decke anstarren lassen und es hatte eine Ewigkeit gedauert, bevor mir endlich die Augen zugefallen waren. Doch dann hatte ich geschlafen wie ein Baby und bekanntlich hatten Kissenabdrücke im Gesicht und an den Armen zu bedeuten, dass man eine erholsame Nacht hinter sich hatte. An diesem Morgen war ich nur so von ihnen übersäht.
Als ich durch den Flur kam und ins Esszimmer gelang, roch es ereits stark nach Suppe. Die Suppe und der Tee in meiner roten Tasse dampften sogar noch, obwohl von meinem Vater fehlte jede Spur. Da sein Mantel, wie ich beim Verlassen meines Schlafzimmers gesehen hatte, allerdings auf dem Kleiderständer hing, musste er noch daheim sein.
Hungrig löffelte ich die Flüssigkeit aus der Schüssel und entleerte meine Tasse. Das Gemüse aus der zweiten Schale verdrückte ich nicht ganz. Nachdem ich es also in etwas Klarsichtfolie eingewickelt und zurück in den Kühlschrank gestellt hatte, machte ich mich zum Arbeitszimmer meines Vaters auf. Eigentlich zog ich mich immer zuerst an, bevor ich irgendetwas unternahm oder Konversationen mit jemandem führte, heute blieb es jedoch bei meinem karierten Pyjama und den puscheligen Hausschuhen.
"Darf ich reinkommen?", machte ich nach einem kurzen Klopfen auf mich aufmerksam. Mein Vater sah von den Akten und seinem Laptop auf, um mich hereinzulassen: "Natürlich. Guten Morgen, Schatz." "Morgen, Papa.", entgegnete ich daraufhin. Um die Augen hinter seiner der Brille entstanden Falten, als er mir zulächelte. Es war ungewohnt ihn seit langem mal wieder mit Brille zu sehen, im Gegensatz zu mir schien er demgegenüber bereits seit einigen Stunden wach zu sein. Er pflegte seine Brille nämlich nur dann zu tragen, wenn er lange arbeitete und Unterlagen untersuchen musste.
Während ich mich auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch niederließ, nahm er einen Schluck von seinem duftenden Kaffee. Im Raum war es kühl, auch wenn die durch die Fenster scheinende Mittagssonne mir ein wenig Wärme spendete. Vermutlich war die grüne Kaffekanne schon leer, so wie der Stapel von unterschriebenem Papier und adressierten Briefen in die Höhe ragte. Diese Vermutung bestätigte sich dann auch, als mein Gegenüber das Gefäß ergriff, um sich die Tasse erneut zu füllen, aber nichts herauskam.
"Du hast gut geschlafen?", es war eher eine Feststellung, aber ich nickte trotzdem. "Bleibst du heute hier?", wollte ich als nächstes wissen. Er schüttelte den Kopf und sagte: "Nein. Heute Nachmittag muss ich wieder in die Firma. Bis dahin mache ich Homeoffice. Musst du noch etwas für die Schule erledigen?" Ich schüttelte ebenfalls den Kopf. "Du weißt, dass ich fast nie etwas erledigen muss, außer wenn es eine Präsentation oder Prüfungen gibt. Und wenn es anders wäre, würde ich wie die meisten Schüler nach dem Unterricht einfach selbstständig in der Schule lernen oder Nachhilfe bekommen." Seufzend legte er den nächsten Ordner zur Seite, auf dem Neues Gebäude stand. Da er sich im darauffolgenden Moment jedoch erneut zu Wort meldete, konnte ich keinen weiteren Gedanken mehr an die interessante Aufschrift verschwenden: "Du bist, wie deine Mutter damals war."
Für ein paar Sekunden, in denen wir beide realisierten, was er soeben von sich gegeben hatte, herrschte Stille zwischen uns.
Dann: "Du hast mir doch letztens von den öffentlichen Tanzstunden erzählt und was du von ihnen hälst. Bist du immer noch dieser Meinung? Früher hattest du ja vier Mal in der Woche Training." Verwundert bestätigte ich seine Aussage. Daraufhin fuhr er lächelnd fort: "Wenn du wieder öfter alleine Tanzen möchtest, kannst du dafür auch gerne neben deinen normalen Stunden ins JYP-Gebäude kommen. Aufgrund von GOT7s World Tour, die im Mai beginnt, werden einige Studios freistehen, aber es wäre auch schön schneller für dich erreichbar zu sein. Falls ich mal länger arbeiten sollte, versteht sich. Was denkst du? Hättest du Lust ab und an dort zu trainieren?"
Überlegend wandte ich den Blick ab.
Er hatte schon immer gewusst, wie sehr ich es liebte zu tanzen. Was er jedoch mehr respektierte, war meine Abneigung gegen das Rampenlicht und wahrscheinlich war er deswegen nie auf die Idee gekommen, mich mit Idolen in eine Gruppe zu stecken oder mit in sein Unternehmen zu nehmen. Ob ich selbst davon träumte, Idol zu werden, hatte er mich nur ein einziges Mal gefragt, aber dieses Thema nicht wieder erwähnt, nachdem ich abgelehnt hatte.
Solange ich jedoch wie vor einingen Wochen ein Studio für mich alleine haben würde, hatte ich kein Problem mit seinem Vorschlag. Außerdem war dies eine super Gelegenheit, um Stray Kids in Zukunft näher zu sein.
Entschlossen sah ich zurück in seine Richtung und antwortete: "Klar, ich habe Lust. Könnten wir dieses Mal aber vorher klären, wie ich reinkomme und so? Ich wüsste gerne über alles bescheid, bevor ich dich wieder anrufen muss."
"In Ordnung.", kam es daraufhin von ihm. "Wann passt es dir denn von der Schule her am Besten?" Mit fragendem Gesichtsausdruck nahm er sich die Brille von der Nase.
"Eigentlich sind Montags und Freitags am Besten, weil ich das noch von der alten Tanzschule gewohnt bin. Am Wochenende kann ich allerdings auch. Es kommt immer auf mein Wohlbefinden nach dem Unterricht an."
Er sah nickend auf seinen Laptop hinab, um ein paar Mal auf dessen Tasten und das Touchpad zu drücken und sich anschließend wieder mir zuzuwenden: "Okay. Ich werde dir an diesen Tagen Nachmittags ein Studio reservieren, für das du dir an der Rezeption die Schlüssel abholen kannst. Es wird nicht der Raum sein, indem du das letzte Mal warst, da Stray Kids dort momentan trainiert, allerdings habe ich ein Zimmer auf der selben Etage gefunden, das man dir freihält. So kannst du die Jungs auch mal besuchen gehen. Wenn du aus irgendeinem Grund an einem anderen Tag in der Woche bei JYP tanzen gehst, musst du nach einem freien Studio fragen."
Ich lächelte glücklich. Zu wissen, dass er Stray Kids und meine Freundschaft unterstützten wollte, ließ es nicht anders zu. So wie es schien, gab es wirklich fast nichts mehr, dass die Jungs von mir trennen konnte.
"Bevor ich es vergesse!", riss die Stimme meines Vaters mich plötzlich aus meinen Gedanken. "Du brauchst jetzt einen Ausweis für das JYP-Gebäude, weil wir das Sicherheitspersonal ausgebaut haben und sie nicht von deiner Identität wissen. Es wird also ein Ausweis benötigt, falls dich jemand danach fragen sollte, wer du bist."
Erleichtert darüber, dass mir nun keine traumatisierende Situation mit einem Türsteher bevorstehen würde, da ihm das mit dem Ausweis rechtzeitig eingefallen war, hakte ich nach: "Und wann bekomme ich den?"
"Am Montag. Morgen werde ich mir freinehmen."
Ich lachte bei seinen Worten ironisch auf. Immerhin arbeiteten normale Leute Sonntags sowieso nicht, außer man besaß ein Restaurant. "Na dann. Vielleicht können wir uns ja einen Film anschauen. Nur Vater und Tochter, wie wäre das? Aber zuerst gehe ich mich duschen."
Meine Hände bewegten sich auf dem Holz der Stuhllehne nach vorne. Gerade als ich dabei war aufzustehen, schien meinem Vater noch etwas eingefallen zu sein.
"Ach, und Kairi?", ich ließ mich zurück in die Polster fallen und hob neugierig die Augenbrauen. "Ich mache das hier vor allemn damit du den Jungs näher sein kannst. Außerdem ist es dort sicherer, was unerwünschte Internetartikel angeht. Die Bekanntheit der Neun wächst und es wird schwieriger für euch werden, in der Öffentlichkeit unbemerkt zu bleiben...
Ich bitte dich darum, vorsichtig zu sein. Du darfst ja seit kurzem selbst darüber entscheiden, ob deine Identität bekannt gemacht wird und es wird schwerer es zu kontrollieren, wenn Bilder auftauchen."
Mit jedem Moment sanken meine Mundwinkel etwas weiter in die Tiefe. Zu Anfang hatte ich mich noch darüber gefreut, dass er die Jungs so zu mögen schien, doch mittlerweile wurde mir wieder bewusst, wie viel Wahrheit hinter seinen Worten steckte. Der Klos in meinem Hals wuchs und wuchs, bevor er jedoch zu groß werden konnte, gab ich ein peinlich berührtes lachen von mir.
Immer hatte ich genau diese riskanten Dinge getan: Mehr als drei mal war ich mit allen von ihnen im Donghaes Kape gewesen. Und an die Treffen im Park oder am Hanriver mit Chan erinnerte ich mich ebenfalls zurück.
Letztendlich nickte ich trotzdem.
Dass es in Zukunft nicht so weitergehen würde, war mir nämlich klar. Je bekannter sie wurden, desto mehr Fans konnten sauer werden, wenn Bilder von Stray Kids und mir auftauchen würden. Es war nur unglaublich schwer mir einzugestehen, wie anders bald alles laufen musste.
Sicherlich gab es Möglichkeiten meinen Aufenthalt in der Nähe von Stray Kids irgendwie zu rechtfertigen, doch unsere Freundschaft würde nie wieder so sein, wie sie es anfänglich gewesen war.
"Verstehe. Wir sehen uns später.", seine braunen Augen folgten mir aufmerksam bis zum Ausgang, als ich schließlich umdrehte und den Raum verließ.
Im Bad verbrachte ich viel Zeit damit, über die Jungs nachzudenken. Ich fragte mich, was sie wohl gerade machten. Hauptsächlich bedrückte mich allerdings immer noch Chans ungewohntes Verhalten und die Frage, ob es an mir lag, dass er sich so aufgeführt hatte. Vielleicht hatte Hyunjin aber auch Recht und es gab tatsächlich keinen Grund dafür, weshalb ich mir Sorgen machen musste.
Eine Sache bemerkte ich im Verlaufe des Tages allerdings ebenfalls. Es fehlte mir etwas und wie ich vermutete, war es ein ganz bestimmtes Gefühl. Das Gefühl von Geborgenheit, Offenheit und Freude, welches ich nur in der Gegenwart einer einzigen Person ununterbrochen verspüren konnte. Und ich vermisste es, obwohl nicht einmal ein paar Tag vergangen waren, seitdem ich diese Person das letzte Mal gesehen hatte.

Hidden Face [Stray Kids FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt