Das erste was ich hören konnte, als das Gefühl in meine Arme und Beine zurückkehrt, waren rauschendes Stimmengewirr und ein regelmäßiges Piepsen aus kurzer Entfernung. Dann öffnete ich meine Augen und im selben Moment wurden auch die Geräusche in meiner Umgebung klarer.
Weil es nicht besonders hell war an dem Ort, an welchem ich mich nun befand, viel es mir nicht allzu schwer meine Sicht auf den neuen Standort einzustellen. Ich lag in einem weißen Bett. Um das Bettgestell hing ein großer ebenfalls weißer Vorhang von der Decke hinab. Es machte den Eindruck, als sei der Vorhang die Wand eines kleinen Raumes, doch es waren viel zu viele Stimmen zu vernehmen, als dass ich mich hier hätte alleine fühlen können. Während ich mich aufsetzte, wurde mir dann jedoch bewusst, wo ich mich befand. Das Piepsen schien zwar von außerhalb des Vorhangs zu kommen, aber die Muster auf den Bettlaken und die Nadel in meiner Armbeuge, deren Ende über einen Schlauch mit einer Salzlösung verbunden war, verrieten das Krankenhaus sofort.
Ich versuchte mich daran zu erinnern, auf welche Art und Weise ich hergekommen war. Ich wusste, dass ich in ihr Auto gestiegen war und aus irgendeinem Grund keine Luft mehr bekommen hatte. Was allerdings danach passiert war, konnte ich nicht sagen. Alle Erinnerungen waren ein einziger schwarzer Traum mit umherwirbelnden Lichtern auf der Innenseite meiner Augenlieder und dem Gefühl, als hätte man mich unter den Armen ergriffen und über unebenes Gelände fortbewegt. Doch ich war mir nicht sicher, weshalb ich noch immer starke Unterarme in meiner Kniebeuge und an meinem Rücken spürte, so als hätte man mich vor nicht allzu langer von irgendwo in dieses Bett getragen.
Zumindest war die Übelkeit verschwunden. Falls das denn neben den Kopfschmerzen überhaupt ein gutes Zeichen sein konnte. Genauso wie die Übelkeit verschwunden war, waren jedoch auch die Jungs und ihr Manager verschwunden und kurz fühlte ich mich einsam und unsicher. Hatte man mich hier alleine zurückgelassen?
Meine Füße fanden ihren Weg aus der dicken Bettdecke heraus und ich wollte gerade aufstehen, da merkte ich auf einmal, dass das Gefühl wohl doch nicht richtig in meine Beine zurückgekehrt war. Denn noch in der selben Sekunde, in welcher ich mich beinahe vollständig aufgerichtet hatte, gaben sie unter mir nach und ich plumste zu Boden. Da ich mich jedoch nicht ganz so sachte hatte fallen lassen und den Ständer mit der Salzlösung mit mir gerissen hatte, hörte ich im nächsten Moment bereits Schritte heraneilen. Jisung schob den Vorhang zur Seite, bevor er sich seufzend zu mir herunter beugte. "Du hättest erstmal eine Krankenschwester rufen sollen, statt einfach abzuhauen, Kairi.", ermahnte er mich mit einem Ton in seiner Stimme, den ich kaum erkannte. Sein ernster Blick traf mich, während er mir erst wieder auf das Bett half und dann den Infusionsständer zurück in seine ursprünglich Position stellte. Ich begriff nicht, wie ich eine Krankschwester hätte rufen sollen, bis er mit seinem Zeigefinger auf einen Knopf am Bettgestell deutete. Doch als er sich neben mir aufs Bett niederließ, fiel mir nichts besseres ein, als zu fragen: "Aber wieso bin ich hier?"
Er zog kurz die Augenbrauen zusammen und schien in meinem Augen nach einem Anzeichen dafür zusuchen, dass diese Frage nicht ernst gemeint gewesen war. Nach ein paar Sekunden entgegnete er dann allerdings: "Du bist ohnmächtig geworden, nachdem wir die Hälfte des Wegs zum Studio hinter uns gebracht haben."
Das erklärte die fehlenden Erinnerung an unseren Weg hierher. Sie waren also mit mir zum Krankenhaus gefahren, nachdem ich das Bewusstsein verloren hatte.
"Wie geht es dir?", erkundigte er sich nach einer kurzen Pause. Ich zuckte nur mit den Schultern. "Vorhin war mir übel, aber jetzt nicht mehr. Nur mein Kopf... ich habe Kopfschmerzen.", vorsichtig betastete ich die Stelle, an welcher ich mich an eine Wunde erinnerte und realisierte, dass man sie neu verbunden hatte. Jisung stellte sich auf und wollte gehen, doch ich griff schnell nach seiner Hand, woraufhin er halt machte. "Wo gehst du hin?" Er blickte auf meine Hand herab, die seinen Zeige- und Mittelfinger umschlungen hielt, woraufhin ich zögerlich losließ. "Ich hole eine Krankenschwester, damit sie dich untersucht.", kam es dann von ihm. Ich wollte einerseits, Nein, tu es nicht sagen und zusammen mit ihm diesen Ort verlassen - wie auch immer ich mir dies auf wackeligen Beinen vorstellen wollte. Andererseits wusste ich jedoch, dass er recht hatte und ich diese Untersuchung nötig hatte.
"Okay.", bestätigte ich ihm also. Ein zweites Mal wurde ich alleine gelassen, aber dieses Mal kam Mann schneller zu mir zurück. Statt mich groß zu untersuchen, hörte die Krankenschwester erstmal nur meinen Puls ab und verkündete dann, dass ein Arzt auf dem Weg sei, um weiteres zu erläutern.
Es waren keine drei Minuten vergangen, seitdem ich mein Bewusstsein wiedererlangt hatte und wieder schwirrte mir eine neue Frage durch den Kopf: Wo war Chan?
Jisung schien zu erkennen, was mir durch den Kopf ging, während ich meinen Blick wieder ihm zuwandte, denn er erklärte mir: "Sie sind am Eingang und warten auf deinen Vater."
"Ihr habt meinen Vater informiert?!", geschockt sah ich in Richtung Eingangsbereich, doch es war niemand zu erkennen, der mir hätte bekannt vorgekommen können. "Das bedeutet Ärger." So wie ich meinen Vater kannte, war er bestimmt total besorgt und sauer, dass ich mich in eine solche Situation gebracht hatte. Aber wusste er überhaupt, was die Situation war? Weshalb ich hier war? Ich hoffte, sie hatten ihm nicht von Shiwon erzählt. Ihm nicht von dem mittgeteilt, was ich ihnen auf den Mädchentoiletten am Telefon erklärt hatte: Dass mich jemand fertig machen würde. Jemand der mit dem Jungen von jenem Abend befreundet war.
"Ihr habt wirklich meinen Vater informiert.", wiederholte ich, um sicher zu gehen, dass ich mich nicht verhört hatte. Jisung nickte jedoch nur.
"Tut mir leid.", sie hatten das richtige getan und eigentlich hätte ich ihnen dafür dankbar sein sollen. "Warum entschuldigst du dich?" "Weil ich euch nur wieder in etwas mit hineinziehe, mit dem ihr nichts zutun haben sollt. Ich habe das Gefühl, als würde ich euch nur immer wieder Sorgen bereiten und euch eher zur Last fallen, als irgendetwas gutes zu unserer Freundschaft beizutragen.", meine Stimme wurde leiser, als ich mir dieser Worte noch einmal bewusst wurde. Gerade in dem Moment, in welchem ich seufzend weg schauen wollte und von Selbstzweifeln geplagt wurde, ergriff Jisung schnell das Wort.
"Kairi, dafür brauchst du dich nicht zu entschuldigen. Du magst uns zwar, Sorgen gemacht haben, aber du fällst uns noch lange nicht zur Last. Dafür haben wir dich alle viel zu gerne. Du bist eine der besten Freunde, die wir neun haben, also Kopf hoch."
Er reichte mir Chans Pullover vom Bettgestell am Fußende des Bettes und gleichzeitig bemerkte ich, dass es schon wieder viel zu kühl für meine Verhältnisse war. Dankend nahm ich das Kleidungsstück entgegen, selbst wenn ich es mir aufgrund der Infusion lediglich über die Schultern legen und die Ärmel vor meinem Hals zu einem Knoten binden konnte.
Für eine Weile herrschte Stille zwischen uns, doch es war kein unangenehmes Schweigen. Es erinnerte mich an den Morgen von Woojins Geburtstag, an dem wir zusammen auf dem Sofa der Jungs gesessen, Käsekuchen gegessen und einfach die letzten Sekunde vor dem Einschlafen mit Reden verbracht hatten. Jener vergangene Tag hatte mir das Gefühl verliehen, einen lange vermissten Teil von mir wiedergefunden zu haben. Als hätte ich für diesen kurzen Zeitraum einen Bruder gehabt. Eine Familie. Und für die Dauer unserer Gespräche damals hatte ich vergessen können, dass ich doch eigentlich ein Einzelkind war und aufgrund der fehlenden Mutter und dem Job meines Vaters nie hatte erleben können, wie es sich anfühlte, normal zu sein. Jisung war einer der wenigen Menschen, die mich ein wenig mehr als nur Freundschaft verspüren ließen, auch wenn meine Gefühle für ihn nicht ansatzweise dem glichen, was ich für Chan empfand. Ich konnte mir nicht erklären, weshalb ich gerade daran denken musste, dass es nur drei Personen unter den Jungs, die mich manchmal an einer einfachen Freundschaften hatten zweifeln lassen: Hyunjin, Jisung und Chan.
Ich erinnerte mich an meinen ersten Tag im JYP-Gebäude, an welchem er mir mit meiner Choreo geholfen hatte, obwohl wir uns kaum gekannt hatten. Und daran dass ich Hyunjin einmal weinend in seinem Zimmer vorgefunden und getröstet hatte. Er war mir durch kurze aber bedeutende Gespräche näher gekommen, sein äußeres Erscheinungsbild hatte mir mehrere Male den Atem geraubt und die Tatsache, dass er ebenfalls noch zur High School ging, stärkte das Vertrauen in ihn. Mit Jisung teilte ich genauso viele bedeutsamen Momente, wie an jenen Morgen von Woojins Geburtstag, als wir an einem anderen Tag im Tanzstudio über das Schlafverhalten der Jungs geredet hatten und nun da er mir zur Seite stand.
Und obwohl die Beiden und auch die anderen Jungs einen wichtigen Teil in meinem Herz teilten, war es doch ein anderer Teil der größer war. Er war mir vom Anfang an nicht aus dem Kopf gegangen, wenn ich nun darüber nachdachte. Seit dem ersten Tag im Unternehmen meines Vaters, vor ihrer Studiotür, als seine Haare noch blau gefärbt und das Lächeln auf seinem Gesicht mir noch unbekannt gewesen war. Wir hatten gute und schlechte Zeiten gemeinsam verbracht. Ich hatte viel von ihm gelernt, ihn lieb gewonnen und die meiste Zeit von allen mit ihm Verbracht.
Ich konnte nicht sicher sagen, ob es an seinem Charakter, seiner warmen Stimme, dem strahlenden Lächeln, seinen wilden Locken oder den breiten Schultern lag. Oder wann meine Gedanken angefangen hatten bei seinem Anblick verrückt zu spielen.
Waren es die unzähligen Male im Donghae's Kape, der Spaziergang am Han-River oder doch der damalige Abend, an welchem er mich aus der Gasse geholt hatte? Ich wusste es nicht. Doch es gab so viele Dinge, die ihn von den anderen unterschied - Sachen, die ihn so einzigartig machten, dass es mir schwer fiel in seiner Nähe meine Gedanken und Gefühle zu kontrollieren. Denn jedes Mal wenn er mir einen besorgten Blick zuwarf, fühlte ich mich schuldig und wollte ihn bitten, sich keine Sorgen zu machen und jedes Mal sobald er seine langen Arme um mich schlang, konnte ich mein Glück nicht fassen. Denn die Nähe zu ihm erfüllte mich mit Wärme und der Gewissheit, dass mir in seiner Gegenwart nie etwas passieren würde.
DU LIEST GERADE
Hidden Face [Stray Kids FF]
FanficKairi Parks wahre Identität wurde ihr Leben lang vor den Medien verheimlicht, um ihr eine normale Jugend zu ermöglichen. Dies nur weil ihr Vater, Park Jin-young, der Eigentümer des berühmten Unternehmens "JYP" und somit erfolgreicher CEO ist. Länger...