Liebesrausch

103 10 5
                                    

Der Nachtwandler konnte sich an nichts mehr erinnern, außer an die hellen, leuchtenden Strahlen des Mondes, die die Oberfläche des Wassers aufleuchten ließen. Es blendete ihn, er stand am Rand der Sintflut und wurde nur von jemandem gehalten. Von nur einem Menschen vor dem Untergehen bewahrt, von Yoongi. 

Jimin öffnete seine Augen und betrachtete die nahe und doch so ferne Gestalt seines Freundes, seiner Liebe, des Menschen, dem er so sehr vertraute, den er so sehr verletzte.

Der Falke klopfte nicht an, er bat nicht um Einlass, er kam und war einfach da, wieder fest in Jimins Kopf. Er selbst hatte ihn gerufen, wollte einfach nur wissen ob er ihm verzieh. Jahre lang war es der Falke gewesen, der ihn unaufhörlich, unbeschreiblich und unerbittlich liebte, doch mit der Zeit entfernte sich der Junge von ihm und Yoongi trat in sein Leben und in seinen verfluchten Schädel. Zwiespalt der Gefühle. Verdrängt hatte er den Nachtfalken, der ihm in jungen Jahren immer zur Seite gestanden hatte. Und nun hatte Jimin ihn wieder zu sich gerufen, in dem er immer öfter an ihn zurückdachte. Zweifel machten sich in dem jungen Koreaner breit. Keine die seine Liebe zu Yoongi hinterfragten, eher welche die fragten: betrüge ich dich, verleugne ich dich, lache ich dich aus? Er stellte sie an sich und gleichzeitig an den Nachtfalken. Die Antwort konnte er auf seines Hyungs Haut ablesen, klar und deutlich stand dort geschrieben, ‚Ja'. Wenn der Nachtfalke über ihm schwebte, wie in der vergangenen Nacht, trat Jimin einen Schritt zurück. Seine Schreie verstummten und verwandelten sich in bitterböse, durchdringende, hasserfüllte Worte, die Yoongi hörte. Es war nicht Jimin, der dort sprach, es war der Falke. Er konnte nur hoffen, dass Yoongi den Worten keine Beachtung schenkte. Aber wie sollte er dies nicht? Wie hätte er diese Worte übertünchen können?

Jimin wurde wieder zurückgeworfen, aus Liebe, aus seiner Krankheit heraus, die er selber nicht sah. Diese Liebe stimmte ihn dumm, machte aus ihm eine leere Hülle ohne Herz, ohne Verstand, ohne Gefühl, ohne JIMIN. Der Nachtfalke dominierte, redete ihm ein das nur er ihn bedingungslos lieben würde, kein Yoongi, kein Taehyung, kein Jungkook, Hoseok, Namjoon oder Jin, niemand von ihnen. Mit dem Flügelschlag öffnete der Nachtfalke das goldene Tor zu seinem Herzen. 

Würde Yoongi mit gehen? Würde er das Risiko eingehen vor Liebe gemeinsam krank zu werden? Folie á deux, die Krankheit die man gemeinsam beschritt, die Krankheit, die man damals noch stoppte. Noch stoppen konnte. Warum kam sie jetzt zum Zuge? Warum gerade jetzt, wodurch, durch wen? Viele verschwommene und doch geradlinige Fragen, die man durch ein Wort im Keim ersticken konnte; LIEBE!

Drei Parteien, Yoongi, der aus Liebe alles wissen wollte, Jimin, der durch den Zwiespalt seiner Gefühle gefesselt war, der sich Tag und Nacht damit quälte ob es richtig war den Falken zu verleugnen oder ob es richtig war Yoongi zu lieben, und der Dritte war der Nachtfalke, derjenige, der die beiden schlussendlich so vereinen würde, wie sie es sich nie hätten träumen lassen. Eine Krankheit, die von vielen nicht richtig gesehen wurde, die sich nach außen hin darstellte wie eine Art Hassliebe. Jimin der Yoongi vergötterte, so sehr, dass er ihn mit seiner Liebe erschlug und Yoongi, der nicht wusste worauf er sich einließ, weil er nicht aufhören wollte alles von dem Tänzer wissen zu wollen.

‚Sieh nur, sieh hin, öffne deine Augen Jimin', hörte der Tänzer die Stimme des Falken in jener Nacht als er nackt vor Yoongi stand, der ihm die Unterhose von den Hüften streifte. ‚Er geht zu weit, er liebt dich nicht, er benutzt dich, im Mondlicht ist alles einfacher, für ihn bist du dann ein leichtes Ziel, die Beute die er sich schnappt, heimtückisch, hinterhältig', flüsterte der Falke ihm entgegen. Jimin sah vor sich was der Falke ihm zuflüsterte und sagte, „Was machst du da, wo bin ich?", ging den besagten Schritt zurück, spürte den Wäschekorb hinter sich, der ihm den Weg versperrte und schien zu fallen. Yoongi hielt ihn, griff nach ihm, doch er stieß in fort. Weiterhin besessen vom Falken, jetzt und hier. ‚Frag ihn, frag ihn was er hier mit dir macht, warum er dich nicht gefragt hat ob er dich ficken darf, frag ihn warum er dich wäscht, frag ihn warum er dich liebt', erklang aufs Neue die mit schwingenden Flügeln erhobene Stimme des Falken in seinem Kopf. Alles schien sich unaufhörlich zu drehen, nichts war mehr richtig, nichts mehr falsch und er sagte: „Du Schwein, was hast du gemacht? Wieso bin ich hier, wieso bin ich nackt? Du verfluchter Mistkerl!" Er sah die Tränen in den sinnlichen Augen, in die er sich einst verliebt hatte. Keine Antwort, keine Zeit. Die Krankheit war ihm wieder voraus „Ist schon gut. Es tut mir leid, Hyung!", sagte er und ein gewisser Teil in ihm schrie auf, als er die Faust zum Schlag hob und sie Yoongis Gesicht traf. Ein leises, fast stummes Nein, entkam seiner Kehle, doch der Ältere vernahm dieses kleine Wort nicht. Bevor eine einzige Träne seine Augen verlassene konnte verfiel er wieder dem Klang des Falken. 'Lass ihn schmecken wie es ist unter Kontrolle gestellt zu werden, wie es sich anfühlt wenn man einsam ist, wie es ist wenn man sich abgegrenzt fühlt. Gib ihm deine tägliche Dosis Schlaf, die sich mit dem Traum der Nacht vermischt und dich eiskalt werden lässt'. Jimin drehte sich um, öffnete den kleinen Medizinschrank und nahm die schönen bunten Pillen in seine Hand, nahm den Deckel ab und schritt auf seinen Hyung zu, bewaffnet mit seiner ganz privaten Art von Liebe.

„Was ist, Hyung, willst du nicht mal kosten?", fragte der Falke mit der Stimme von Park Jimin und sah zu wie die kleinen bunten Pillen in Yoongis Kehle kullerten, wie er versuchte unter würgendem Geräusch sie heraus zuspucken. Seine Lippe voller Blut, seine Kehle voller Speichel, der sich mit der Substanz aus Chemie vereinte und sie bereits versuchte zu zersetzen. Yoongis Kopf in Jimins Händen, er sah sie so klar, so deutlich die Tränen, die über seine Haut liefen und er selber konnte auch keine zurückhalten. Was tat der Falke mit ihm? Er ließ sofort von dem Älteren ab und entfernte sich von ihm.

Berauscht von der Traurigkeit, die Yoongis Augen zum Ausdruck brachten, funkelten sie ihm entgegen, unter dem Glanz der Tränen. Jimin hörte das würgen, hörte wie der Rapper den Kampf gegen die Pillen antrat und er selbst spürte den Schmerz in seinem Schädel, das dröhnen des Flügelschlags, Widerhall der Luft, die den Falken fort trug, bis zum nächsten Mal wenn er betrügerisch in ihn einkehrte und ihm zuflüsterte: ‚Du hast mich betrogen'

Das Tageslicht, es schien heller als der Mond am Himmelszelt, der die Nacht aufhellte und das dunkel verzerrte. Das was war, was letzte Nacht geschehen war, war fort. Verschwommen konnte Jimin sich daran erinnern wie Yoongi ihn behütet zu Bett brachte und ihn liebevoll auf die Stirn küsste. Ein Kuss der sagte: träum süß. Wie sehr er ihn liebte war ihm bis zu jenem Tag nie bewusst gewesen, er spürte seinen Pulsschlag überall, süßer Schweiß, der Himmel über ihnen und Jimin versank in seinem Liebesrausch, den nur Yoongi mit ihm ausschlafen konnte.

Sleepwalker ➛ ʏᴏᴏɴᴍɪɴWo Geschichten leben. Entdecke jetzt