Tick Tack

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„Mr. Park, gehen sie nach Hause, schlafen sie sich aus und kommen sie morgen wieder!", sagte der Arzt von dem Jimin nicht mal mehr den Namen wusste. Kein Stück seiner Gedanken hatte dafür Platz. Schlafen, dieses verfluchte Wort alleine brachte ihn schon fast um den Verstand. Mit gesenktem Kopf verließ er den kalten Flurbereich und setzte sich in seinen Wagen, fuhr die Straßen von Seoul entlang, rauschte an den Bäumen entlang die ihre langen Äste im Windhauch hin und her wiegten.

Wo sollte er nur hin? Wo war der Ort an dem man nicht schlafen konnte, an dem das träumen verboten war? Jimin wusste, sobald er seine schweren Lider schließen würde, wäre Yoongi schon da, würde auf ihn warten, in seinem Traum. Dieser Traum würde erneut zum schrecklichsten Albtraum werden den beide je erlebt hatten, jede Nacht brachte einen neuen mit sich. Das erwachen war noch viel schmerzlicher. Yoongi würde leiden, würde Wunden davon tragen, die von seiner Liebe zeugten, von Jimins heimlicher Liebe zu ihm. Selbst wenn sie bei Tageslicht wieder verblassen würden, die tiefgründigen innerlichen Schmerzen über das Wissen der letzten Nacht würden bleiben. Sie hatten sich selber noch nicht dem anderen offenbart. Nur in Jimins Traum kamen sie sich näher, bevor der Nachtfalke sich ihnen annahm und sie unter Qualen auseinander riss. „Verfluchter Hurensohn, warum verfolgst du mich? Warum bist du wieder da?", fauchte Jimin und schlug mit seiner Hand auf das Lenkrad.

Es war bereits 5.00 Uhr morgens und er war daheim, müde und alleine. Er hatte die Nacht beinahe ungeträumt ausgestanden, doch egal ob die Sonne am Himmel stand und um die Erde ihre Bahnen zog, oder ob die Sichel des Mondes auf ihn hinab schien, er durfte nicht schlafen! Die Zeit war gegen ihn, er kämpfte mit sich selbst als er vor dem Spiegel stand und sich darin betrachtete. Er blickte hinein und er sah den, der ihn beschützte, damals. Er sah den Nachtfalken. Er sah ihn, wie er die Albträume von ihm nahm, die ihn als Kind quälten. Danach wurde er verdrängt, aus seinen nächtlichen Erinnerungen verbannt, doch er hatte ein Schlupfloch gefunden. Der Nachtfalke war wieder in ihn eingedrungen, er verlangte Dank, er verlangte bedingungslose Liebe. Der Tänzer hasste sich, er hasste sich dafür, dass er ihn erschaffen hatte um sich selbst zu schützen. Es war zu spät, nichts hätte er mehr tun können um zu verhindern das er Yoongi etwas antat. Denn der Nachtfalke war eins mit dem Jüngeren. Eine erschaffenen Illusion aus Kindheitstagen, die sich nicht aussperren ließ.

Tick Tack, Tick Tack, die Zeiger der Uhr, die sich im selben Raum befand erklangen. Jimin schaute zu ihr hinüber. 5.40 Uhr, Tick Tack, Tick Tack, er schaute wieder in den Spiegel und schrie: „Warum tust du mir das an? Ich hasse dich, verschwinde! Ich brauche dich nicht mehr, VERSCHWINDE!" Die abertausenden Spiegelsplitter fielen auf die kalte Armatur, fielen auf den Boden, nackte Füße, nackte Haut. „Darf nicht schlafen...", sagte er leise vor sich hin und tauchte seine Fußsohlen in die Splitter, die auf dem Boden lagen. Die weißen Fliesen wurden in rot getränkt. Tick Tack, Tick Tack !

Wer wusste schon wie spät es war, wer wollte dies wissen? Jimin hielt seine Uhr an, die in ihm tickte. Nacht, Tag... Tag, Nacht... ganz gleich. Verflucht wurde das Zentrum in ihm, dass nach Ruhe schrie, nach Linderung seiner Schmerzen die immer unerträglicher wurden weil er keine Ruhe finden durfte. 

Laute Musik erklang aus den Boxen, das dröhnen des Basses presste sie fasst aus ihrem schwarzen Gehäuse und der Boden unter seinen geschundenen, zerschnittenen Füßen bebte. „Jimin, was machst du denn?! JIMIN-SSI !", erklang eine Stimme hinter ihm. Doch nichts außer den Klängen war für den Tanzenden zu hören. Ich höre auf den Sound in meinem gebrochenen Herzen, für dich Hyung, dachte er und tanzte, einen Schritt nach vorne einen nach hinten, ringsherum und jetzt durfte er auch seine Augen schließen. In diesem Moment nahm er den Schmerz von seinen Lidern und schloss sie, nicht zum schlafen, nur zum verinnerlichen des Taktes. War es möglich seine Träume zu kontrollieren, war es ihm vielleicht irgendwie möglich das zu träumen was er wollte? Konnte man einen Zugang zu seinem Ich finden, zum Nachtfalken?

Stille. 
Die Musik verstummte und Taehyung stand vor ihm. „Verflucht Jimin, was ist passiert? Du blutest ja!", sagte er, erschrak bei dem Anblick seines Bandkollegen und Freundes. „Wir haben uns Sorgen gemacht, weil ihr nicht im Studio erschienen seid! Was zum Teufel treibt ihr hier? Seid ihr völlig durchgeknallt? Wo ist Yoongi?", fragte er und betrachtete den müden, blutenden Jimin, der immer noch versuchte den Takt der verstummten Musik zu finden. 

„Mach die Musik wieder an, ich darf nicht schlafen, ich muss wach bleiben!", sagte dieser. Völlig wirr lief er wieder zur Stereoanlage und drückte den Knopf, der ihn wach halten sollte. 

Tae stand fassungslos da und wusste gar nicht was hier passierte, was mit Jimin passiert war. „Verdammt macht das Ding aus!", schrie er, schubste ihn bei Seite und zog schlussendlich den Stecker aus der Dose. 

Tick Tack, Tick Tack, die Uhr war wieder zu hören, ein grauenvolles Geräusch das in Jimins Ohren drang. Er hielt sie sich zu. „Nein, nicht, aufhören!", sagte er und schaute auf das Gehäuse des furchteinflössenden Objektes. Er ging auf sie zu und schlug sie mit seiner Hand von dem Kaminsims. Ihre beiden funktionstüchtigen Zeiger aus Metall brachen sofort von dem Ziffernblatt ab und die Zeit stand still, zumindest für ihn.


Tae packte seinen Freund und stellte sich fürsorglich vor ihn. „Ganz ruhig! Meine Güte, was ist nur los, wo ist Yoongi Hyung und wieso darfst du nicht schlafen?", fragte er mit ruhigen Ton. 

Überspannt war sein Blick, geistig umnachtet seine Gedanken, so blickte Jimin in die Augen des Sängers und antwortete: „Ich darf nicht schlafen weil Yoongi jetzt schläft. Er schläft und ich weiß nicht wann er aufwacht, Tae, ich weiß es nicht!" 

Taehyung verstand kein einziges wirres Wort was aus Jimins Kehle entsprangt. „WO IST YOONGI?", sagte er nun forsch und packte fester zu, hielt seinen Freund mehr als vorhin an seinen Schultern fest und rüttelte leicht an ihm. 

„Er ist im Krankenhaus. Er ist gestürzt und er liegt im Koma, er schläft.", sagte Jimin und Tränen verließen seine Augen. Tick Tack, Tick Tack, zu viele Uhren um ihn herum, zu viel Zeit die verging, ungeschlafen, übernächtigt, wanderte er in den Räumen des Hauses in Seouls umher auf der Suche nach der Zeit, während Taehyung aufgeregt Namjoon anrief um ihm die Infos weiter zu geben. 

Jede einzelne Uhr wurde in Trümmer gelegt, auseinander genommen, in ihre Einzelteile zerlegt. Fakt war, so sehr Jimin sich auch bemühte wach zu bleiben, irgendwann würde er so sehr ermüden, dass selbst das zerschmettern der Zeit ihm nicht mehr helfen würde. Doch solange er noch irgendeine Möglichkeit kannte, irgendetwas finden würde was ihn wach halten würde, so lange konnte Yoongi ruhig schlafen, ohne Schmerzen, ohne Qualen, ohne den Nachtfalken.

Sleepwalker ➛ ʏᴏᴏɴᴍɪɴWo Geschichten leben. Entdecke jetzt