Wenn der Wind sich dreht

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Es vergingen einige Stunden bis sich die Türe zum gemeinsamen Domizil öffnete.

Yoongi ging leisen Schrittes hinein und suchte nach dem Schalter, der ihm Licht schenkte. Überall war es so dunkel wie vor der Türe, wie in dem alten Leben das er mit der Türe hinter sich aussperrte. Langsam ging er ins Bad, welches mit indischem Schiefer versehen war, öffnete den Apothekenschrank und fing an zu zählen. Blickte auf die Pillen in den kleinen Schachteln auf denen mit kleinen Klebestreifen verziert stand, wie viele Jimin zu sich nehmen musste um den Verstand nicht zu verlieren, um Jimin zu bleiben. Es war alles so wie es sein sollte, vollzählig und doch nicht, denn der Jüngere hatte jede einzelne Pille Tag für Tag geschluckt, so wie er damals die Diagnose schluckte, wie er gezwungen wurde sie hinunterzuwürgen, zusammen mit den Medikamenten. Versammelt in mitten der verrückten Gesellschaft, die in der grünlich gefärbten Psychiatrie ihr Leben beendeten und es gleichfalls erneuerten.

Yoongi ging weiter hinüber zum Spiegel, schaute hinein und kratzte an der Blutkruste, die seine Stirn zierte. Wie hätte er ahnen können das seine Haut einst einmal ein Buch sein würde, erzählen würde, welche Torturen er über sich ergehen lassen musste, nur um seine Sucht zu stillen. Seine Fingernägel pellten das Tote von seiner Haut und er versuchte die Kopfschmerzen die sich in seinem verfluchten Schädel ausbreiteten so gut es ging zu unterdrücken. Er war den ganzen Weg, die ganze dunkle Strecke gelaufen, seine Füße trugen ihn, seine Beine schenkten ihm die benötigte Kraft und seine Gedanken schwebten im Zeitraffer in der Vergangenheit. Seine Kindheit, seine Jugend, Jimin, sein Leben. Mit jedem Schritt, jedes mal wenn er mit seinen Füßen den kalten Asphalt berührte, stach ihn etwas in sein Herz, in seine Seele. Was hatte er falsch gemacht?  Was war mit ihm und Jimin geschehen? Der Tänzer war für ihn das Tor zu einer anderen Welt und er alleine besaß den Schlüssel, konnte es hinter sich schließen, konnte all das was ihn bedrückte aussperren, doch nun schien es als würde Jimin seiner Liebe keinen Einlass gewähren. Bildete er sich das alles nur ein oder war es wirklich so? Entsprach es der Realität das er ihn wegstieß? Yoongi wusste von dem krankhaften Verhalten seines Freundes, dass er ab und zu an den Tag legte. Er versuchte ihm dabei zu helfen. Wenn es ihm nicht gelang, dann schaute er weg, ließ ihn in Ruhe, gab ihm Zeit sich selber wieder zu fangen. Doch heute, vor einiger Zeit unter dem Geräusch des aufbrausenden Motors, da war etwas anders gewesen.
Yoongi öffnete eine weitere Türe, den Eingang in das gemeinsame Zimmer. Jimin lag friedlich schlafend in dem gemeinsamen Bett und hatte nicht auf ihn gewartet, nicht wie die Tage und Monate zuvor. Die Augen geschlossen vor dem was er Yoongi antat. Blind dem folgend, was in ihm schlummerte und seine, durch Pillen aufgebaute und gefestigte, Psyche aufriss, auseinander riss und zerstörte. Leise und sachte hob der Rapper die zarte Decke, die Nacht für Nacht ihre beiden Körper umschlang, sie vor der Kälte schütze. Doch in dieser Stunde der Nacht blieb es unter ihr kalt. Er zitterte, er spürte die Kälte die von dem Jüngereb ausging, die zu ihm hinüber kroch und sich auf ihm ausbreitete. Unter Tränen schlief er ein und unter Tränen wachte er am nächsten Morgen auf, die Nacht totgeschlagen und auf die Morgenröte wartend, sie herbei sehnend.

„Zieh dich an, wir müssen los", sagte Jimin und ließ seine starken Beine in den Jeansstoff gleiten, schloss mit seinen flinken Fingern die vier Knöpfe der Levis und ließ Yoongi alleine zurück, wie am Abend zuvor auf der einsamen Straße irgendwo in Seoul. Hätte er in eine andere Richtung gehen sollen? Hätte er die andere Route nehmen sollen, anstatt den Weg zur seiner eigenen Hölle? Es war zu spät. Denn das was Yoongi liebte wartete bereits in der Hölle auf ihn und seine Sucht ließ es nicht zu, sich dagegen zu sträuben.

Ohne Worte folgte er Jimin hinunter in den Küchenbereich und stellte sich neben ihn, schaute zu wie dieser sich den heißen Kaffee in die rot schimmernde Tasse goss, wie die heiße Flüssigkeit das kalte Porzellan traf und der Dunst der Hitze hinaufstieg. Er roch wie die Luft mit dem Duft des Aromas besiedelt wurde und wagte einige Worte, die die Stille durchbrachen, wie einzelne Sonnenstrahlen den Nebeln, der sich über die Stadt gelegt hatte. „Es tut mir leid, Jiminie", sagte er und senkte wehmütig seinen Kopf. der Jüngere blickte zu ihm hinüber, küsste ihn, zog ihn an sich heran und schaltete Yoongis Verstand aus. 
Jimins Lippen gaben ihn nach scheinbar unendlichen Sekunden wieder frei und er lächelte ihn halbwegs fröhlich an, wunderschön seine Lippen die sich  zu diesem Lächeln verformten, wunderschön seine liebevollen glänzenden Augen, die Yoongi anfunkelten und ihn bestachen, ihn eintauchten in die Hoffnung die sie widerspiegelten. 

Sie tranken den Kaffee, frühstückten, schauten sich eindringlich in ihre verliebten Augen, schenkten sich vereinzelt ein aufheiterndes Lächeln. 

„Hyung?", kam es fragend von Jimin. 

„Ja, was gibt es?", antwortete der Rapper, während er den letzten Schluck aus der Tasse nahm. 

„Woher hast du eigentlich diese Verletzung an deiner Stirn?", fragte Jimin besorgt und trank den letzten Rest Kaffee aus seiner Tasse.

Verdutzt blickte Yoongi ihn an und zögerte mit seiner Antwort, nicht wissen welche Antwort richtig oder falsch war. "Ich hab mich gestoßen.", log er kaum hörbar.

Jimin zog seine Stirn kraus als würde er diese Antwort in Frage stellen, dann lächelte er den Rapper liebevoll an. "Bitte sei demnächst vorsichtiger.", sagte er, stand dann auf und ging Richtung Tür. Er öffnete diese, die Yoongi gestern noch hinter sich geschlossen hatte und bemerkte nicht wie sich die Welt für ihn gedrehte hatte, wie sich der Wind drehte und der Nachtfalke erneut Schwung bekam und auf sie zusteuerte.  

Sleepwalker ➛ ʏᴏᴏɴᴍɪɴWo Geschichten leben. Entdecke jetzt