05 - Cat

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„Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen."
(Johann Wolfgang von Goethe)

„Cat!", schrie mein Bruder lautstark durch das Haus. „Hemd oder T-Shirt?"
Ich seufzte leise. Warum musste ich ihm bei seiner Kleiderauswahl helfen? Waren sonst nicht immer nur die Mädchen unentschlossen, wenn es um das Thema Anziehsachen ging? Ich hatte selbst Probleme damit, etwas Passendes für Jays Party zu finden, zu der wir in der nächsten halben Stunde aufbrechen wollten. Aufgrund meiner wirren Gedankengänge vergaß ich fast, dass ich ja noch eine Antwort schuldig war, bis Phil auch schon in meiner Tür erschien, nur mit Jeans bekleidet, nassen, verwuschelten Haaren und zwei Oberteilen in der Hand.
„Was soll ich anziehen?" Fragend streckte er mir ein grünes T-Shirt mit schwarzem Aufdruck und ein blau-weiß kariertes Hemd entgegen.

„Das hier.", meinte ich und zupfte leicht an dem Hemd.
„Okay, danke." Er lächelte kurz, bis sein Blick auf meinem Bett hängen blieb. „Oh, du hast Besuch.", murmelte er darauf unsicher und wurde rot. Mein Zwillingsbruder wurde rot – diesen Tag musste ich mir im Kalender anstreichen. Phil war so gut wie nie etwas peinlich und es verschaffte mir eine gewisse Genugtuung, dass auch er mal in eine unangenehme Situation geriet. Sonst war ich immer die, die kein Fettnäpfchen ausließ.


„Hi Jules." Er kratzte sich verlegen am Nacken, bevor er wieder schleunigst aus meinem Zimmer verschwand, während meine neue Freundin nur mit offenem Mund hinter her starrte.
„Dein Bruder ist heiß." Immer noch fasziniert wandte sie ihren Blick mir zu, worauf ich ein Lachen nicht unterdrücken konnte.
„Hör auf zu lachen. Schade, dass die Mädchen nicht zur gleichen Zeit trainieren wie die Jungs.", seufzte sie und spielte damit auf das Schwimmtraining an, bei dem sie ebenfalls teilnahm, allerdings bei den Mädchen.
„Findest du nicht, dass er umwerfend aussieht? Sein Oberkörper ist der Hammer.", schwärmte sie weiter.

„Ähm ... Jules? Phil ist mein Bruder, da werde ich ganz sicher nicht über sein Aussehen urteilen." Ich lachte immer noch. „Und pass auf, dass du nicht sabberst, mein Bett ist frisch bezogen."
Sie warf ein Kissen nach mir. „Haha, sehr witzig.", murmelte sie ironisch, musste jedoch ebenfalls grinsen, während ich mir das leuchtend blaue Top über den Kopf zog.
Draußen war es angenehm warm. Obwohl es schon Oktober war, herrschten seit einigen Tagen fast sommerliche Temperaturen. Aber da es abends sehr schnell frisch wurde, zog ich noch einen schwarzen Cardigan aus meinem Schrank und machte mich mit Jules auf den Weg nach unten, wo wir auf meinen Bruder warteten.

Genervt kämpfte ich mich durch die vielen Leute, die anscheinend alle auf demselben Fleck stehen wollten. Es war so eng, dass man kaum Luft holen konnte. Und selbst wenn man es schaffte, seine Lungen mit Sauerstoff vollzusaugen, war es dennoch nicht angenehm. Denn die Luft stank nach Alkohol und Schweiß. Eine bessere Mischung gab es ja wohl nicht ...
Und da Phil und Jules sofort zur Tanzfläche gestürmt waren, musste ich mich wohl oder übel alleine durch die Menschenmenge schlagen.

Irgendjemand drückte mir einen Pappbecher in die Hand, an dem ich angewidert schnupperte. Irgendein seltsamer Alkoholmix - als ob ich so etwas trinken würde. Wer weiß, wer diesen Becher schon in der Hand gehabt hatte und was sich alles in der trüben Flüssigkeit befand. Bei diesem Gedanken schüttelte es mich innerlich und bei der nächstbesten Gelegenheit sah ich zu, dass ich dieses Gebräu wieder los wurde. Orientierungslos ließ ich meinen Blick umherschweifen, bis mich jemand am Handgelenk packte. Panisch drehte ich mich um, da ich mit angetrunkenen Partygästen rechnete, doch zu meiner Erleichterung grinste mir der Gastgeber höchstpersönlich entgegen.

„Du bist ja doch gekommen!", rief Jay gegen die laute Musik an. „Schön, dass du da bist." Er lächelte und wirkte ehrlich. Trotzdem wusste ich immer noch nicht, was ich von ihm halten sollte.
„Ja, und jetzt weiß ich auch wieder, warum ich nicht gerne auf solche Partys gehe." Ich rümpfte die Nase und verfolgte mit meinen Augen zwei Betrunkene, die an uns vorbei torkelten.
„Tja, der liebe Alkohol.", grinste er.
„Warum bist du eigentlich noch nicht dicht?"
„Ich bleibe lieber nüchtern."
„Was?!", platzte es fassungslos aus mir heraus. Eigentlich hätte ich Jay so eingeschätzt, dass er als Erster nicht mehr klar denken könnte. So war es zumindest bei Drew gewesen ...
„Wenn man zu ist, kann man ja die Nacht nicht genießen." Er grinste anzüglich.
„Wuäh." Angewidert verzog ich das Gesicht. „Erspar mir bitte die Details!"
„He, ich habe nichts in der Richtung erwähnt. Das waren deine Gedanken! Und da sagen alle immer, ich wäre verdorben.", lachte er leise.
„Okay, weißt du was? Du bist mir unheimlich. Und deswegen werde ich mir jetzt jemand anderen zum Plaudern suchen."

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