06 - Jay

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Was für eine Nacht! Gesungen, getanzt und gelacht, die Nacht zum Tag gemacht."
(Wise Guys – Was für eine Nacht)

Auffordernd streckte ich Cat meine Hand entgegen. Sie schien nicht bemerkt zu haben, dass ich aufgestanden war, denn sie verweilte immer noch auf dem Rand des Brunnens und sah geistesabwesend in die Luft. Erst jetzt gelangte sie wieder in das Hier und Jetzt. Zögernd und mit fragendem Blick legte sie ihre zierliche Hand in meine.
„Ich glaube, es wäre besser, wenn wir zu den anderen zurück gehen. Immerhin bin ich der Gastgeber und außerdem wollen wir ja nicht, dass irgendwelche Gerüchte entstehen, oder?", antwortete ich auf ihre unausgesprochene Frage. Bei dem Wort Gerücht zuckte sie kaum merklich zusammen. Obwohl ich zu gerne wissen würde, was sich an ihrer alten Schule ereignet hatte, blieb ich still. Es war nicht der richtige Moment, doch ich war mir sicher, dass dieser in nicht allzu langer Zeit eintreffen würde.
„Du hast Recht.", murmelte sie unsicher. „Wir sollten uns wieder bei den anderen blicken lassen." Sie streifte belanglos ihre Hand aus meiner und begann, meine Jacke auszuziehen.
„Was tust du da?", wollte ich von ihr wissen.
„Na was wohl? Ich gebe dir deine Jacke zurück."
„Lass sie an, sonst erkältest du dich noch."
Doch sie ging nicht auf mich ein, sondern schüttelte nur vehement den Kopf. Und als ich ihr die Jacke erneut um die Schultern legte, funkelten ihre Augen wütend und angriffslustig.
„Lass das!", zischte sie.
„Woah, ist doch gut, Catwalk." Abwehrend hob ich meine Hände in die Luft, konnte mir ein Schmunzeln jedoch nicht verkneifen. „Ich wollte doch nur nett sein."
„Entschuldige, Jay." Beschämt fixierte sie einen Punkt auf dem Boden, bis ich mit zwei Fingern vorsichtig ihr Kinn anhob, um ihr ins Gesicht schauen zu können.
„Was ist los, Cat?"
„Ich hab' dir doch eben schon alles erzählt! Also warum fragst du dann noch so dumm? Geh doch einfach zu den anderen und erzähle alles über mich. Dann könnt ihr noch ein paar Spekulierungen hinzufügen!" Schon wieder reagierte sie aufgebracht, aber immerhin hatte ich jetzt den Grund erfahren. Sie bereute es, ihr Herz bei mir ausgeschüttet zu haben, da sie befürchtete, ich würde mich mit anderen darüber lustig machen.
Ich sagte nichts, sondern trat einen Schritt auf sie zu und begann, sanft durch ihre Haare zu fahren, während ich sie mit dem anderen Arm ganz leicht umarmte. Ich war noch nie mit einem Mädchen so umgegangen, aber irgendwann ist immer das erste Mal. Und jetzt musste es eben sein, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Schließlich behielt ich gerne Recht und ich hatte keine Lust darauf, dass Andy, Noah und die anderen mich ein Leben lang damit aufziehen würden, dass sie von Anfang an von meinem Scheitern überzeugt gewesen waren.
Mit einer plötzlichen, schnellen Bewegung stieß Cat mich von ihr weg, sodass ich verwirrt nach hinten taumelte. Dieses Mädchen war schon ein bisschen seltsam, oder? Mal schien sie meine Gegenwart zu genießen, dann wieder nicht. Mal schien sie mir zu vertrauen, im nächsten Moment jedoch wieder nicht. Ich wusste selbst noch nicht genau, was ich von ihr halten sollte, denn es hatte sich noch nie ein Mädchen so sehr gegen meinen Charme gewehrt, wie sie. Obwohl es mich frustrierte, dass ich anscheinend irgendetwas falsch gemacht hatte und ihr anfängliches Vertrauen mir gegenüber wieder verschwunden war, blieb ich ruhig.
„Catwalk, warum traust du mir so wenig?"
„Du wirst mir weh tun.", stellte sie tonlos fest. „Du wirst mir genauso weh tun wie Drew."
„Wer ist Drew?!"
„Das geht dich nichts an." Ihre Stimme war immer noch nur ein Flüstern, das von der Geräuschkulisse der anderen Gäste davon getragen wurde, da wir mittlerweile den Pool wieder erreicht hatten. Sprachlos starrte ich ihr hinter her, als sie sich durchs Getümmel bahnte.
Ein bitteres Gefühl breitete sich in mir aus. Sie hatte Recht. Ich würde ihr weh tun. Vielleicht sogar mehr, als dieser Drew es jemals getan hatte.

„Es tut mir leid, Cat! Ich wollte dir wirklich nicht zu nahe kommen.", brüllte ich gegen die laute Musik an, als sie sich gerade zum Gehen wandte. Es war mittlerweile ein oder zwei Uhr, einige waren schon gegangen, doch trotzdem bewegten sich immer noch viel zu viele im Rhythmus der Musik hin und her. Ich wusste nicht genau warum, aber irgendwie wollte ich jetzt nur meine Ruhe haben. Cat hatte ich die letzten Stunden nicht mehr gesehen, weshalb ich froh war, jetzt noch kurz ein paar Worte mit ihr wechseln zu können und mich bei ihr zu entschuldigen.
„Ist schon okay.", lächelte sie schwach. Sie schien tatsächlich mit sich zu kämpfen, ob sie mir vertrauen sollte, oder nicht. „Bis dann, Jay."
„Schlaf schön.", murmelte ich noch leise, während ich beobachtete, wie sich die Haustür schloss.
Von einer plötzlichen Welle von Frustration überrollt, griff ich nach der Wodkaflasche, die ich auf der Kommode im Flur entdecken konnte. Ich hatte keine Ahnung, wie sie dort hingelangt war, aber das war mir zu diesem Zeitpunkt auch egal. Auch, dass ich solche Aktionen so gut wie nie durchzog und dass ich mich nur selten betrank, interessierte mich gerade herzlich wenig. Ich hatte das Gefühl, ich war die ganze Sache von der völlig falschen Seite angegangen und wollte die nervigen Gedanken an Cat endlich verdrängen. Gierig setzte ich die Flasche an meinen Mund und trank einen großen Schluck. Es schmeckte nicht wirklich, trotzdem genoss ich das Gefühl, als die klare Flüssigkeit meinen Hals hinunterfloss. Erneut nahm ich einen Schluck, stellte die Flasche beiseite und kämpfte mich in die Küche, in der ein heilloses Durcheinander veranstaltet worden war. Ohne das ganze Chaos näher zu betrachten schnappte ich mir ein Bier und unterhielt mich mit ein paar Leuten.
Ich weiß nicht, wie viele Stunden vergangen waren, bis eine blonde Schönheit sich an meinen Arm hängte. Ich hatte auch keine Ahnung, wie sie hieß; ich glaubte mich jedoch dunkel daran zu erinnern, dass sie den Cheerleadern beigehörte. Sie schien nicht mehr ganz nüchtern zu sein, was man von mir allerdings auch nicht behaupten konnte. Wir waren beide nicht betrunken, aber doch ein wenig angeheitert.
„Hallo Jay.", flüsterte sie mit dunkler Stimme und zog mich bestimmt zu sich herunter, um ihre Lippen auf meine zu legen. Es dauerte nicht lange, da hatte sich unser Kuss vertieft und ihre rechte Hand war unter mein T-Shirt gewandert, um mit den Fingern meine Bauchmuskeln zu berühren. Langsam und ohne mich von ihr zu lösen zog ich sie hinter mir her, die Treppe hinauf, auf mein Zimmer zu. Bereitwillig zog sie sich ihr hautenges Top über den Kopf, bevor sie die Zimmertür schloss und den Schlüssel umdrehte.

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