13 - Cat

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„Ich wollt' nur deine Stimme hör'n."
(Söhne Mannheims – Ich wollt' nur deine Stimme hör'n)

„Cat, es gibt Ess-", platzte Phil auf einmal in mein Zimmer, unterbrach sich jedoch selbst, als er bemerkte, in welcher Situation er uns gestört hatte. Jay war nur noch wenige Millimeter von mir entfernt gewesen, doch kaum war mein Bruder hereingekommen, waren wir erschrocken auseinander gefahren.
„Ich glaube, ich störe dann besser nicht weiter." Phil grinste von einem Ohr bis zum anderen, während er die Tür wieder hinter sich schloss.
„Ich sollte dann wohl auch besser gehen.", murmelte Jay und fasste sich leicht verlegen an den Nacken. Uns beiden war die Situation mehr als peinlich, wir trauten uns gar nicht mehr, einander in die Augen zu blicken.
„Kommst du morgen wegen dem Physikprojekt?"
„Das hätte ich beinahe vergessen.", gestand ich. „Wann soll ich bei dir sein?"
„So gegen elf?"
„Ist gut.", nickte ich und wich seinem Blick aus.
„Okay ... Dann bis morgen." Er sah sich kurz unschlüssig im Zimmer um, bevor er sich auf den Weg nach Hause machte.
Erleichtert atmete ich durch, ließ mich auf mein Bett fallen und schloss die Augen, sprang jedoch sofort wieder auf. Die Erinnerung an eben schoss mir durch den Kopf und ich spürte, wie meine Wangen zu glühen begannen. Seine Nähe schien immer noch präsent zu sein und sein Geruch schien mich zu umgeben.
Was wäre passiert, wenn Phil uns nicht unterbrochen hätte? Hätten wir uns geküsst? Was war das für eine Frage. Natürlich wäre es dazu gekommen. Aber ich hatte keine Ahnung, ob ich wütend auf meinen Zwillingsbruder sein sollte, dass er uns in so einer Situation gestört hatte; oder dankbar, dass er mich womöglich vor einer großen Dummheit bewahrt hatte.
Langsam und in meine Gedanken versunken ging ich die Treppe herunter und ließ mich auf den Stuhl am Esstisch gleiten. Phil erwartete mich schon mit wissendem Blick und hob eine Augenbraue neugierig nach oben.
„Was war das eben?"
Da unser Dad völlig in die heutige Tageszeitung vertieft war, konnten wir uns ungestört unterhalten.
„Ich weiß es nicht.", seufzte ich wahrheitsgemäß. „Es gibt Momente, da ist Jay einfach nur unglaublich lieb und fürsorglich, und es gibt andere Momente, da könnte ich ihn einfach an die Wand klatschen."
Phil lachte aufgrund meiner übertriebenen Darstellung und schob sich amüsiert ein Stück einer Kartoffel in den Mund – ein Zeichen, dass ich weiter berichten sollte und er mir aufmerksam zuhören würde.
„Und dann gibt es diese Momente, die ich einfach nicht beschreiben kann. In denen irgendetwas mit uns passiert, was wir nicht so wirklich fassen können. In denen ich einfach nur so nah wie möglich bei ihm sein möchte. Klingt kitschig, was?"
„Ein bisschen, ja." Er grinste. „Willst du meine ehrliche Meinung hören?"
Begierig nickte ich und nutzte die Zeit dazu, um auch endlich etwas zu essen.
„Ich denke ja", begann er, „dass zwischen Jay und dir irgendetwas Besonderes ist. Wenn man euch zusammen sieht, würde man euch sofort für das perfekte Paar halten. Ihr habt zusammen eine Chemie, eine Ausstrahlung, die ich noch nie bei jemandem so extrem wahrgenommen habe. Und obwohl ihr das selbst noch nicht bemerkt habt – oder vielleicht auch gar nicht bemerken wollt – könnt ihr einfach nicht die Finger voneinander lassen. Das ist jedenfalls meine Meinung."
Leise lachend trat ich ihm gegen das Schienbein. „Du bist bescheuert."
„Das sagst du doch nur, weil du weißt, dass ich recht habe."

Unsicher strich ich mir immer wieder die Haare hinter die Ohren, als ich am nächsten Tag vor Jays Haustür wartete. Wie so oft, wusste ich nicht so recht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Von der lockeren Freundschaft war jedenfalls nichts mehr zu spüren.
Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, als die Tür langsam aufging. Zu meinem Glück erschien jedoch nur eine kleine Gestalt vor mir – Sean.
„Na du?", begrüßte ich den Kleinen lächelnd, dessen Augen sofort zu strahlen begannen.
„Cat!", rief er freudig aus. „Soll ich dir mal meine Ritterburg zeigen?"
„Aber klar. Wo ist denn dein großer Bruder?"
„Weiß nicht." Stürmisch zog er mich an der Hand in einen Raum neben dem Wohnzimmer, das so ziemlich nach Seans Spielzimmer ausschaute.
„Wow, die ist ja riesig!"
„Sie ist toll, oder?" Sean platzte fast vor Stolz, was mir ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. Liebevoll wuschelte ich ihm durch seine weichen, hellbraunen Haare.
„Und wie.", gab ich zu.
„Soll ich meinen Bruder holen?"
„Das wäre sehr lieb von dir." Ich musste mir ein Lachen verkneifen. Dieser Junge war absolut niedlich.
„Jay! Komm endlich runter!", schrie der Kleine mit einer beachtlichen Lautstärke durchs Haus.
„Lass mich in Ruhe! Ich will schlafen!", tönte eine genervte Stimme von oben. Jay war also noch gar nicht aufgestanden. Prima. Dann hätte ich an meinem Samstagmorgen auch noch ein Weilchen schlafen können...
„Jaaaaay!" Erbost stampfte Sean mit dem Fuß auf dem Boden auf. „Cat ist hier!"
„Was?!" Plötzlich klang seine Stimme erschrocken und fast schon hektisch. Kurz darauf hörte man die Tritte von nackten Füßen auf der Treppe. „Ist es wirklich schon so spät?"
Es dauerte keine zwei Sekunden, bis ich den Mädchenschwarm zu Gesicht bekam. Und was ich sah, ließ meinen Atem stocken. Jay trug nichts weiter, als eine tiefsitzende, schwarze Jogginghose. Seine dunkelbraunen Haare waren verwuschelt, was ihn nur noch besser aussehen ließ. Fasziniert ließ ich meinen Blick über seine ausgeprägten Bauchmuskeln wandern und bewunderte seinen durchtrainierten, absolut perfekten Oberkörper.
„Hey Catwalk. Na, gefällt dir, was du siehst?" Ertappt schnellte mein Blick nach oben, um Jays breites Grinsen und seine wunderschönen, amüsiert glitzernden Augen zu bemerken. Sofort begann mein Gesicht zu glühen und ich wäre am Liebsten im Erdboden versunken.
„Ich ... ähm ... also ...", stotterte ich peinlich berührt und brachte keinen ordentlichen Satz zustande.
Jay lachte nur leise, wuschelte mir einmal kurz durch die Haare und bahnte sich seinen Weg in die Küche, wo er eine Wasserflasche öffnete und ein Teil davon in ein Glas schüttete.
„Möchtest du auch etwas trinken?" Seine Augen strahlten Gelassenheit aus, während er immer noch über mein Verhalten amüsiert zu sein schien. Anscheinend hatte er das Ereignis von gestern einfach verdrängt.
Ich schüttelte den Kopf, da ich nicht wusste, ob mein Gehirn mittlerweile wieder in der Lage war, einen ordentlichen Satz zusammenzustellen.
„Okay." Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Ich hab' da übrigens noch eine Frage an dich." Seine Augen glänzten geheimnisvoll, während wir auf dem Weg in sein Zimmer waren. Im Flur blieb er allerdings stehen, was mich dazu zwang, mich zu ihm umzudrehen.
„Und was wäre das für eine Frage?"
Plötzlich und ohne Vorwarnung kniete er sich mit einem Bein auf den Boden, wühlte in seiner Tasche und zog eine kleine Schachtel hervor.
Zunächst hatte ich das Ganze irritiert verfolgt, bis ich mit aufgerissenen Augen einige Schritte nach hinten machte. Das war doch gerade nicht sein Ernst, oder? Und da ich meinen Blick natürlich nach vorne gewandt hatte, konnte ich Seans Schulrucksack, der mir genau im Weg stand, logischerweise nicht sehen. Ich spürte nur, wie ich plötzlich das Gleichgewicht verlor.
Jays schallendes Lachen war Zeichen genug dafür, dass er mich gründlich hereingelegt hatte. Dieser Idiot!
„Du glaubst auch echt alles, oder? Ich hätte zwar nicht gedacht, dass du mir das abkaufen würdest, wollte es aber trotzdem mal ausprobieren. Und anscheinend bist du noch leichtgläubiger, als ich gedacht hatte. Pass bloß auf, dass dich nicht irgendein fremder Mann mal in sein Auto lockt, nur weil er dir erzählt, er hätte eine kleine, süße Katze für dich." Er bekam sich gar nicht mehr ein vor Lachen, während ich ihn mit Blicken zu töten versuchte. Ich rappelte mich auf und rieb meine schmerzende Hand. Ich würde ihn verklagen und von ihm Schmerzensgeld verlangen! Das war doch mal ein unglaublich guter Plan.
„Alles okay bei dir?", brachte er schließlich heraus, als sein Lachen abgeklungen war. In seinem Blick lag tatsächlich etwas Besorgtes, was aber die Belustigung trotzdem nicht weichen ließ.
„Aber klar, mir geht's prima! War nie besser.", fauchte ich ironisch und stieg die Treppen hinauf. Was für ein Blödmann!
Ich spürte, wie sich seine Hand sachte an meinen Rücken legte, so, als wollte er mich vor einem weiteren Sturz bewahren, oder um mich im Notfall zu stützen. Das hätte er sich vielleicht mal früher überlegen sollen!
„Nimm deine Hand von meinem Rücken.", brummte ich mies gelaunt und schlug seinen Arm weg.
„Komm schon, Catwalk, das war doch nur Spaß."
„Toller Spaß."
Mit verschränkten Armen ließ ich mich auf das Sofa sinken, während Jay seufzend das Radio anschaltete. Doch was ich dann zu hören bekam, ließ meinen Blick nur noch finsterer werden.

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