16 - Jay

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„Ich werde verzeihen. Aber ich werde nie vergessen."
(Nelson Mandela)

Mittlerweile waren seit dem Fest schon wieder 11 Tage vergangen. Cat und ich waren wirklich gute Freunde geworden, doch eigentlich fühlte ich etwas, was ganz sicher keine freundschaftlichen Gefühle mehr waren. Allerdings wollte ich noch warten, ehe ich ihr das gestehen würde, immerhin war mir ja bewusst, was sie eigentlich über Typen wie mich dachte. Ich würde einfach noch abwarten, auch wenn schon eine geraume Zeit vergangen war. Thanksgiving stand vor der Tür. Es läutete gerade zum Schulschluss, was für uns ein langes Wochenende bedeutete.
„Schreibst du mir eine SMS, wenn du gut gelandet bist?", wollte ich von Cat wissen, als wir gemeinsam das Schulgebäude verließen.
„Warum?" Verwirrt strich sie sich ihre zerzausten Haare nach hinten.
„Darf ich mir keine Sorgen um dich machen?"
Einen Moment lang bedachte sie mich mit einem verdutzten Blick, bevor sie sich auf die Zehenspitzen stellte und mich sanft auf die Wange küsste. „Du bist süß.", lächelte sie. „Aber eigentlich mache ich keine Weltreise, sondern verbringe Thanksgiving nur bei meiner Grandma."
„Trotzdem musst du dafür nach Wilmington fliegen. Es kann alles Mögliche passieren.", beharrte ich. „Ich will eben wissen, dass es dir gut geht."
Ihr Lächeln wurde breiter. „Du könntest auch einfach mitkommen und mich vor meinen Horror-Cousinen beschützen."
„Nichts lieber als das, Catwalk." Grinsend brachte ich ihre sowieso schon zerzausten Haare noch mehr durcheinander. „Aber ich denke, mein Dad wäre darüber nicht so sehr erfreut."
Sie seufzte leise, lachte dann jedoch. „Wir benehmen uns wie ein frisch verliebtes Pärchen, dem drei lange Tage Trennung bevorstehen."
Wenn sie wüsste, wie ihre Aussage in diesem Moment auf mich zutraf. Ich wollte sie nicht gehen lassen, auch wenn das jetzt vollkommen albern klingt.
„Du hast recht.", grinste ich dann ebenfalls, obwohl mir nicht danach zumute war. „Was sind schon drei oder vier Tage? Ich wünsche dir jedenfalls ein schönes Thanksgiving bei deiner Grandma und lass dich von deiner Cousine nicht unterkriegen, verstanden?" Ich zog sie in meine Arme und drückte sie kurz.
„Verstanden, Chef." Sie lachte leise. „Ich wünsche dir auch ein schönes Fest mit deiner Familie. Kannst dich ja mal melden."
Ein letztes Mal zwinkerte sie mir zu, bevor wir in unterschiedliche Richtungen davon gingen. Ich widerstand dem Drang, ihr hinter herzusehen, auch wenn ich sie stundenlang betrachten und bewundern könnte. Ich konnte sie aus meinem Leben nicht mehr wegdenken und irgendwie verwirrte mich das. Denn Cat war das, was ich nicht gesucht und trotzdem gefunden hatte.

„Jay!", rief mein Onkel enthusiastisch aus, als er mit seiner Familie das Haus betrat. Kräftig schlug er mir gegen den Oberarm, worauf ich das Gesicht verzog. Ich mochte meine Familie ja, aber ich wusste genau, dass ich spätestens am Abend von ihnen genervt sein würde.
„Hey.", begrüßte ich den Bruder meines Vaters und dessen Frau mit einem halbherzigen Lächeln und wartete darauf, dass meine zwei Cousinen ebenfalls das Haus betreten würden.
„Jay!" Die Zehnjährige schlang sofort ihre Arme um meinen Bauch.
„Hallo Haylie." Lächelnd fuhr ich ihr durch die Haare, während ich ihrer Schwester, der 13-jährigen Anne, ebenfalls ein Lächeln zuwarf, die sich jedoch gelangweilt an mir vorbei schob.
Meine Grandma war auch schon anwesend, nur Celines Bruder und seine Familie, würden erst zum Abendessen kommen.
„Wie geht's dir denn so, Jay? Wie läuft's in der Schule? Freundin? Basketball?", ging auch sogleich die Fragerunde an mich los, als wir uns gesetzt hatten und Kuchen aßen.
Nur mit Mühe konnte ich ein Augenverdrehen verhindern.
„Es geht mir gut, in der Schule ist's wie immer, keine Freundin und Basketball läuft prima.", zählte ich bemüht freundlich auf, was mir aber anscheinend nicht gelungen war, denn sofort wurde ich von meinem Dad mit einem warnenden Blick bedacht.
„Sei doch nicht so einsilbig!", lachten meine Verwandten jedoch nur. „Was ist mit dem Mädchen, mit dem du letztes Jahr so viel unternommen hast? Wie hieß sie noch gleich? Alice?"
„Alicia.", verbesserte ich automatisch.
„Richtig, Alicia. Seid ihr nicht mehr zusammen?"
„Grandma, wir waren nie zusammen." Warum interessierte sich meine ganze Familie immer nur für meine Beziehungen? So spannend war das schließlich nicht. Gut, vielleicht war es doch ein bisschen ausgeprägter als bei anderen Jungen in meinem Alter, aber das gab ihnen trotzdem nicht das Recht, sich wie die Aasgeier auf dieses Thema zu stürzen.
„Und zwischendurch hattest du doch noch eine andere. Das war ein unhöfliches Ding. Ich hoffe, du hast nichts mehr mit ihr zu tun?", bohrte meine Oma weiter nach.
Ich stöhnte leise auf. „Nein, habe ich nicht." Warum rettete mich niemand aus dieser Situation? Könnte mein Dad das Gesprächsthema nicht auf ein anderes Gebiet lenken?
„Hast du immer noch deinen Fanclub an der Schule? Ich wette einige Mädchen würden alles für dich tun, wenn du nur mit dem Finger schnippst.", grinste nun auch mein Onkel. „Mit wie vielen Mädchen hast du denn gerade gleichzeitig was am Laufen?"
Fassungslos starrte ich ihn an. Das Vibrieren meines Handys bewahrte mich zum Glück vor einer Antwort, da diese bestimmt nicht mehr freundlich ausgefallen wäre. Ich dankte dem Menschen, der mir in diesem Moment eine SMS geschickt hatte.

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