Kapitel 2

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Meine Laune hatte mittlerweile ihren Höchststand erreicht: Mr. Johnson, der neben seiner Funktion als Physiklehrer auch als der Vater von David Johnson bekannt war, hatte seinen Sohn vor allen anderen Schülern des Kurses zusammengefalten, als er erfuhr, dass sein Sohn das Auto der Direktorin besprüht hatte. Dieses Schauspiel war nicht nur göttlich, sondern nahm so viel Zeit in Anspruch, dass kaum mehr als zehn Minuten für den normalen Unterricht blieben.

Zum Zeitpunkt dieses Ereignisses, das Potenzial hatte, in die Schulgeschichte einzugehen, saß ich in der hintersten Reihe und täuschte einen gelangweilten Gesichtsausdruck vor, während ich mir innerlich ins Fäustchen lachte und mich in dem Gefühl eines weiteren Triumphs suhlte.

Genauso lobte Mr. Johnson meine Arbeit über die newtonschen Gesetze und gab mir ohne weiteres ein A dafür, was ich echt gut gebrauchen könnte, da meine Noten in ausnahmslos allen Naturwissenschaften zu wünschen übrig ließen. Johnson Junior war noch immer sauer, dass ihm niemand außer seinen Freunden Glauben schenkte, und erinnerte mich dabei stark an meinen Bruder, als er noch kleiner war und die beleidigt schmollte, weil er nicht das bekam, was er wollte.

Nachdem es endlich geklingelt hatte, schlenderte ich zu meinem Spind, um meine Bücher abzuladen und meinen Sportbeutel und das Skateboard meines Bruders zu holen. Die Aussicht, endlich wieder trainieren zu gehen, ließ Schmetterlinge in meinem Bauch tanzen, die nicht einmal der Gedanke an Banks und sein dämliches Grinsen vertreiben konnte.

Ich war ein sehr aktiver Mensch und brauchte Bewegung und körperliche Ertüchtigung, um glücklich zu sein und nicht irgendwann durchzudrehen. Vermutlich war mein Mangel an dieser sportlichen Betätigung auch der Grund, warum ich so übermäßig sensibel auf Banks und alles, was er von sich gab, reagiere.

Als ich meinen Spind öffnete, empfing mich - wie sonst auch immer - das übliche Chaos der Kasey McMillen. Gegenüber meiner übermäßig ordentlichen Mutter hatte sich das Ordnungsgen bei mir nicht durchgesetzt und stattdessen dem Chaos seinen Platz überlassen. Egal wie sehr ich es versuchte, ich schaffte es nicht, weder meinen Spind in der Schule, noch den im Boxstudio, geschweige denn mein Zimmer in Ordnung zu halten.

Ausladend zog ich das Brett aus dem schmalen Kasten, wobei ich den Berg aus Büchern darüber mit einer Hand stützen musste, damit diese nicht auf mich hinabstürzten, und schwang den Beutel über meine Schulter, bevor ich die Schule verließ und in Richtung Stadtzentrum fuhr.

Mit meinen Kopfhörern im Ohr, aus denen laut meine Gute-Laune-Playlist lief, rollte ich durch die Straßen von Los Angeles und beobachtete die Menschen, die eilig von A nach B hetzten, in kleinen Cafés saßen und den sonnigen Nachmittag genossen oder lachend in Läden verschwanden.

Los Angeles war eine Stadt, die nie schlief und in der man an jeder Ecke etwas Neues entdecken konnte. Ob Positives oder Negatives war mal dahingestellt. Vermutlich würde ich auf dem Rückweg bei Lias Eltern anhalten und mir etwas zum Abendessen mitnehmen, da ich wirklich Lust auf erstklassiges, asiatisches Essen hatte.

Mit dem Skateboard unter meinen Füßen erreichte ich ziemlich schnell mein Ziel und stieß die schwere Glastür auf. Ich staunte, wie sehr sich dieser Ort innerhalb von drei Wochen verändern konnte: Alles war heller, moderner und effizienter eingerichtet, das Inventar erweitert und die Löcher in den Wänden verschlossen worden. Trotz aller dieser Veränderungen war es für mich noch das gleiche Boxstudio wie früher - nur eben schöner eingerichtet.

»Kasey«, begrüßte mich Jong-In fröhlich. Ihm gehörte das Studio und er war für mich ein wenig wie ein zweiter Vater, so viel Zeit wie wir miteinander verbracht hatten. Er nahm mich in den Arm und drückte mich so fast, dass ich beinahe das Gefühl hatte, dass alles Luft aus meinen Lungen entwich und meine Rippen zerquetscht wurden. »Wie geht es dir?«, fragte er lächelnd.

RachegöttinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt