Kapitel 15

12.9K 570 230
                                    

Seufzend lauschte ich Lias Stimme, die von der anderen Seite des Hörers erklang. »Wie kannst du es nur wagen, ohne mich da hinzugehen?! Das wird sicher die krasseste Party des Jahres und ich bin nicht mal in der Stadt«, warf sie mir vor, woraufhin ich die Augen verdrehte.

»Um genau zu sein, bist du nicht einmal im Land«, merkte ich an, fing mir dadurch aber nur ein entnervtes Schnauben seitens meiner besten Freundin ein.

»Versprichst du mir, ganz viele Fotos zu machen und sie mir zu schicken?«, fragte Lia und ich hörte dabei, wie im Hintergrund etwas klapperte und sie vermutlich aus ihrer Kaffeetasse trank.

»Natürlich werde ich das tun«, versprach ich ihr, obwohl ich schon von vornherein wusste, dass ich dieses Versprechen genauso vergessen würde wie sie. Während draußen vor meinem Fenster finsterste Nacht herrschte, war es in Südkorea bereits früher Nachmittag.

Lia und ich telefonierten schon seit einer Stunde und die Koreanerin musste mittlerweile schon ihre dritte oder vierte Tasse Kaffee intus haben. Dass sie dabei noch ruhig auf einem Stuhl in irgendeinem Café sitzen konnte und nicht in übermenschlicher Geschwindigkeit auf mich einredete, war mir ein unfassbares Rätsel. Aber in ihrer Familie waren beinahe alle von diesem koffeinhaltigen Getränk abhängig, weshalb die Toleranzgrenze diesbezüglich in schwindelerregender Höhe anzusiedeln war.

»Gehst du mit Jonah hin?«, wollte sie wissen und klang dabei - für meinen Geschmack - einen Ticken zu neugierig.

»Höchstwahrscheinlich«, antwortete ich. »Zumindest hat er mich danach gefragt, als wir uns vor zwei Tagen getroffen haben«, erklärte ich und erinnerte mich kurz an meine unspektakuläre Verabredung mit Jonah, bei der wir am Strand spazieren gegangen waren.

»Ach so. Sag das doch gleich«, erwiderte sie und kicherte dabei besorgniserregend.

»Du solltest heute kein Koffein mehr zu dir nehmen«, riet ich ihr schmunzelnd.

»Heute Nacht gibt es ordentlich Soju, da ist das Koffein vergessen«, erklärte sie mir freudig.

»Wenn ich du wäre, hätte ich Angst, dass mein Magen dieser Reizüberflutung nicht gewachsen ist«, kommentierte ich Lias Vorhaben. Gleichzeitig wusste ich jedoch auch, dass die Nervenenden in ihrem Verdauungstrakt durch das scharfe, asiatische Essen und den übermäßigen Kaffeekonsum frühzeitig abgestorben waren und dieses hochkomplexe System rein gar nichts aus der Bahn werfen konnte.

»Aber lass dich nicht zu voll laufen. Sonst endest du noch irgendwo in Seoul im Bett eines vollkommen Fremden, hast HIV und bist schwanger«, hing ich an und konnte mir vorstellen, wie Lia die Augen verdrehte.

»Erstens, ich bin gar nicht mehr in Seoul, sondern in Heongsong bei meiner Tante. Und wie oft soll ich dir noch sagen, dass wir hier Neujahr im großen Stil erst später feiern. Wir sind einzig und allein hier, weil gerade Ferien sind und wir somit die Chance haben, die Familie wieder zu sehen.« Ich lachte, aber mein Lachen verwandelte sich sogleich in ein Gähnen.

»Und warum trinkt ihr dann heute?«, fragte ich sie und drehte mich auf den Rücken. Das Deckenlicht blendete mich einen Augenblick lang und ich kniff die Augen zusammen.

»Braucht man einen Grund zum Trinken?«, erhielt ich als Antwort, die mich zum Grinsen brachte. »Ich bin zwar Koreanerin, aber auch Amerikanerin. Also feiere ich einfach zweimal Neujahr.«

»Auch gut«, gähnte ich. »Hör zu, ich werde jetzt erstmal Schluss machen. Es ist schon spät und morgen wird ziemlich anstrengend werden«, sagte ich und spürte, wie eine weitere Welle der Müdigkeit über mich hereinbrach und mir ein Gähnen entlockte.

»Ok, richte deinen Eltern schöne Grüße von mir aus. Ich schreibe dir, wenn das neue Jahr in meiner Zeitzone angefangen hat«, verabschiedete sie sich kichernd.

RachegöttinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt