Kapitel 32

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Es dauerte zwar einige Wochen, jedoch schlugen die Therapiestunden, die ich wöchentlich bei Dr. Harold Stone, dem Psychologen, den mir Lizzy vermittelt hatte, nahm, an.

Anfangs war es schwer gewesen, über das zu sprechen, was mir an jenem Tag widerfahren war, doch mit jeder Sitzung schaffte es Dr. Stone, dass ich mich ihm gegenüber mehr öffnete und mir damit selbst eine gewaltige Last von den Schultern nahm, der ich mir zuvor gar nicht  bewusst gewesen war.

Seine unvoreingenommene Einstellung und die  Geduld, die er mit mir hatte, wirkten wie Balsam für meine aufgewühlte Seele und mit kleinen Schritten schafften wir es, dass ich wieder in mein altes Leben ohne Albträume und Rückblenden zurückfand.

Meine Nächte verliefen mittlerweile ruhiger und entspannter als vorher und es quälten mich keine tausend Gedanken mehr, die mich davon abhielten, meinem Körper den Schlaf zu geben, den er benötigte. Tatsächlich schlief ich sogar seit einigen Tagen wieder durch und nicht mehr mitten in der Nacht durch einen Albtraum auf.

Ich suchte langsam wieder den Kontakt zu anderen Menschen und versuchte, alles hinter mir zu lassen, was passiert war. Man konnte damit sagen, dass ich allmählich aus dem Schneckenhaus, welches ich mir selbst errichtet hatte und in dem ich seither als Gefangene gelebt hatte, entkam und diese Festung des Grauens hinter mir ließ.

Um mich zusätzlich abzulenken, unternahmen Lia  und ich viel miteinander. Mein Training würde wohl noch für einige Zeit ausfallen, da mein Arzt Kickboxen für eine zu brutale und  anstrengende Sportart für meinen frisch verheilten Knöchel und meine wieder intakten Rippen hielt.

In dieser Hinsicht konnte ich ihm nicht wiedersprechen, da sich anhand der zahlreichen Verletzungen der letzten Jahre abzeichnete, dass meine Sportart doch ein höheres Risiko für Knochenbrüche hatte als andere.

Falls Kun eine ungünstige Stelle an meinem Brustkorb traf, hatte ich keine Lust auf ein weiteres Rendezvous mit dem Krankenhausbett und eine neue Runde ›Wie wachsen meine Rippen am besten wieder zusammen? Mit Kasey McMillen und Kun Jeon als ihr Gastmoderator.

Dass ich in der Zwischenzeit wie alle anderen Seniors des Landes für meine Abschlusstests lernen musste, hatte ebenfalls positiv dazu beigetragen, meinen Fokus von den Ereignissen der Vergangenheit auf die der nahen Zukunft zu verlagern.

Es war noch nicht einmal eine Woche her, dass  ich meinen letzten Test abgegeben hatte und nun inständig betete, dass ich mir mit diesen Noten meinen Traum vom College erfüllen konnte.

Dadurch nahm die Schule und das Lernen rapide ab und ließ mir – genau wie allen anderen aus meinem Jahrgang –  nun Zeit, mich auf eines der klischeebehaftetsten und meist verfilmten Events in gesamt Amerika vorzubereiten: Den Abschlussball oder wie er hierzulande genannt wurde: Prom.

Anfang der Woche hatte das Ballkomitee, das bereits seit Monaten an der Planung und Ausarbeitung des Abschlussballs saß, das Motto für dieses Jahr herausgegeben. Ich musste zugeben, dass ich dem diesjährigen Thema weder abgeneigt noch großartig zugeneigt war und ich so oder so akzeptieren musste, dass dieses Jahr ›Unter dem Meer. Tauchgang in einem  Korallenriff.‹ festgelegt  wurde.

Mich beschlich die böse Vermutung, dass daran Laura Wolf Schuld war, die nach der Schule Meeresbiologie studieren wollte und im Sommer praktisch den Strand und ihr geliebtes Meer nie verließ. Sie war Vorsitzende das Ballkomitees und hatte daher überall ihre Finger mit im Spiel.

Wer auch immer  die Verantwortung für dieses Motto trug, hatte es damit offiziell den Startschuss für eine Hormonschlacht überirdischen Ausmaßes abgefeuert.

Es wurde die von mir und Lia benannte ›Jagdsaison‹ eröffnet. Wer fragt wen für den Ball und wer will mit wem auf gar keinen Fall gehen? Wen meidet man die nächsten Wochen und wessen Nähe suchte man? Wer würde am Ende einen Hauptgewinn an Land ziehen und für wen blieb nur der Trostpreis übrig?

RachegöttinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt