Kapitel 30

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Ich wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich konnte nicht noch weitere Wochen meines Lebens damit vergeuden, traumatisiert zuhause zu sitzen und nachts von den Schatten der Vergangenheit eingeholt zu werden, die mich den Schlaf kosteten und in einen Zombie verwandelten.

Ich vereinsamte, schottete mich ab und überließ mich meinen Gedanken, die mich rund um die Uhr quälten wie ein Parasit, der sich tief in mir eingenistet hatte und sich von meinen Kräften ernährte.

Daher, obwohl ich es mir gegenüber nicht eingestand, wusste ich, dass nicht ich diejenige war, die mich retten konnte. Es bestand keine Möglichkeit, von allein aus diesem dunklen Loch zu entkommen, sondern bedurfte jemandem von außen, der mir neue Kraft und Energie spendete.

Wie jede Nacht lag ich in meinem Bett, ohne Schlaf zu finden und schaute stattdessen zum Fenster hinaus. Der Himmel war sternenklar und obwohl die Lichter von Los Angeles oftmals nicht zuließen, dass Sterne ihnen die Show stahlen, ließen sie es heute zu.

Es war ein schöner Anblick, der mich etwas beruhigte und die Tatsache, dass ich diese Nacht wohl kein Auge zubekommen würde, weniger grausam erschienen ließ.

Ich war so in meine Träumerei vertieft, dass mein Herz einen Satz machte, als es an der Tür klingelte. Verwirrt sah ich auf den digitalen Wecker, der auf dem Nachttisch neben meinem Bett stand und fragte mich augenblicklich, wer so verrückt war und um elf Uhr mitten in der Nacht an unserer Haustür klingelte.

Einbrecher würden es vermutlich nicht sein, da es nicht gerade effektiv wäre, sich im Vorhinein anzukündigen und der Postbote würde erst in ein paar Stunden hier auftauchen.

Dennoch stattete ich dem Zimmer meines Bruders noch einen Besuch ab und wagte mich erst mit seinem Baseballschläger die Treppe hinunter. Zum Glück war ich gestern meinen Gips losgeworden und konnte mich wieder bewegen, ohne ein steifes Bein zu haben.

Ich ließ das Licht aus und schlich in Richtung Eingangstür. Mit einem tiefen Atemzug löste ich die Kette, drehte den Schlüssel im Schloss herum und zog mit meiner freien Hand die Tür auf, bevor diese zurück zu dem Griff des Baseballschlägers wanderte, den ich hoch in der Luft hielt – bereit zum Zuschlagen.

Jedoch war es gar nicht nötig, den unbekannten Besucher mit einem Schlag außer Gefecht zu setzen. Vor mir stand Lia, die mit verschränkten Armen und hochgezogenen Augenbrauen den Baseballschläger in meinen Händen betrachtete. Auf ihren Blick hin nahm ich die Waffe nach unten und lehnte sie neben der Tür an die Wand.

»Was machst du denn hier?«, fragte ich. »Weißt du überhaupt, wie spät es ist?«, hing ich an und warf einen Blick auf die Uhr auf dem Schuhschrank, um sicherzustellen, dass ich mich vorhin nicht in der Zeit geirrt hatte.

Aber nein, auch diese Uhr zeigte mir, dass es kurz nach elf Uhr war und da der Himmel draußen dunkel und von Sternen überzogen war, war ich nun restlos überzeugt davon, dass es mitten in der Nacht war.

Lias Miene blieb hart, als sie an mir vorbei in das Hausinnere trat und sich umsah, als wäre sie gerade das erste Mal hier. Ich schloss die Tür hinter ihr und lehnte mich mit dem Rücken gegen das kalte Holz, welches mir für einen Moment eine Gänsehaut bereitete.

»Zieh dir was an. Wir gehen jetzt raus«, befahl sie mir, während sie einen Blick in den Spiegel über der Kommode warf. Ich legte die Stirn in Falten und sah sie verwirrt an.

»Du weißt schon, dass es mitten in der Nacht ist, oder?«, hakte ich nach und zweifelte allmählich an Lias geistiger Verfassung und nicht meiner. Meine beste Freundin ließ ihre Augen von ihrem Spiegelbild zu mir wandern und musterte mich eindringlich. Ihr merkwürdiges Verhalten machte mich ein wenig nervös und ich mied ihren Blick.

RachegöttinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt