Kapitel 7 - Backstory

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Amars Sicht

Ich genoss es richtig so verwöhnt zu werden, selbst wenn ich eigentlich nicht so der Typ für so etwas war, da ich es übertrieben fand, doch ich wollte Tarim nicht gleich wieder überfallen. Und so schlecht schien er es wohl auch nicht zu finden, denn dass ein paar Trauben den Weg auch in seinen Mund fanden entging mir nicht. Ich öffnete meine Augen und erwischte ihn gerade dann, als er sich eine Traube in den Mund schieben wollte. Ich grinste amüsiert.
Erwischt.
Ertappt verharrte er und sah mich abwartend an. Seine Lippen umschlossen bereits die Frucht. "Gib sie mir.", forderte ich und als er seine Hand hob um sie aus seinem Mund zu nehmen, schüttelte ich den Kopf. Ich drückte seine Hand sacht wieder runter und öffnete auffordernd meine Lippen. Seine grünen Augen blitzen wissend auf und er lehnte sich zu mir runter. Erst berührte die Traube meine Lippen, doch kaum verschwand diese in meinem Mund, spürte ich die seinigen. Weich und von dem Fruchtsaft der Trauben, welche er sich stibitzt hatte, süßlich. Eine Hand legte sich von mir auf seinen Hinterkopf, machte einen Rückzieher unmöglich und drängte ihn dazu sich dem Kuss tiefer hinzugeben. Unsere Lippen bewegten sich im Einklang, pressten sich leicht gegeneinander und verlangten schnell nach mehr. Wie ausgehungerte Tiere versuchten wir so viel des anderen zu schmecken. Wir verloren uns so sehr im Kuss, dass ich den Wechsel des Palmenwedlers vor Moment nicht mitbekam, doch der leichte Blutgeruch holte mich in die Wirklichkeit zurück und ich zog meine Hand von Tarims Hinterkopf zurück. Langsam lösten wir uns und ich richtete meinen Blick auf den blonden Jungen welcher den Posten des Mädchens eingenommen hatte und das Blatt sacht auf und ab bewegte. Tarim schien kurz überrascht über seine Anwesenheit, doch sagte nichts. Meine Blicke fuhren Prüfend über seinen Körper. "Verzeiht, mein Prinz.. ich bin gestürzt. Nur eine kleine Schürfwunde.", erklärte mir Sinan und hob kurz seinen Ellbogen, welcher tatsächlich aufgeschürft war. Doch die Schürfwunde war nicht das, was die meiste Aufmerksamkeit auf mich zog, sondern die feinen Narben welche sich über seinen Unterarm erstreckten. Er hat sich geritzt? Nach den Narben zu urteilen ist dies aber schon Jahre her.
Nicht weiter drum kümmernd schloss ich wieder meine Augen und überließ Tarim die restlichen Trauben und Früchte. Es dauerte nur Minuten des Schweigens, da wurde ich leicht angestupst. Zu Faul um meine Augen zu öffnen oder zu reagieren, blieb ich still. "Scheint wohl zu schlafen.", nahm Tarim an, wobei ich ihn leicht kichern hörte. "Mein Name ist Tarim, und wie ist deiner?", wendete er sich nun meinem privaten Diener zu, wohl die Stille nicht aushaltend. "Sinan, ich bin Prinz Amars persönlicher Diener.", kam es nun von dem etwas jünger klingenden Blonden. Er schien wohl sehr versessen darauf sich gut zu benehmen, wenn er meinen Titel selbst noch in meiner indirekten Abwesenheit verwendete. "Klingt interessant. Normalerweise bin ich Tänzer.", kam es erneut von Tarim, wobei sich zwischen seinen Worten Kaugeräusche verbargen. Man spricht nicht mit vollem Mund, doch damals waren die Gepflogenheiten wohl noch etwas anders. Naja, mit der Zeit wird sich noch einiges ändern hier. Wir lassen die Menschen erst gar nicht auf manche Gedanken kommen. Ihre Religion soll sich nicht wirklich verbreiten und ihr Leben beherrschen. Leute wegen einem anderen Glauben abschlachten? Gleichgeschlechtliche Ehe verbieten? Frauen unterdrücken?
"Woher stammen die Narben an deinem Arm, Sinan?", holte mich die Frage von Tarim zurück ins Gespräch. Ich habe wohl etwas verpasst, doch sehr wahrscheinlich nichts Wichtiges, denn dazu kamen wir gerade. "Oh, damals, als ich anfing zu lernen die Schmerzen zu lieben, habe ich mich geschnitten um mich daran zu gewöhnen.", antwortete Sinan mit einer leichten Stimme, fast so, als würde er Tarim gerade erzählen was er zum Frühstück hatte. Unglaublich dieser Junge..
Tarim reagierte ähnlich wie ich, denn ihm entkam nur ein etwas überfordertes Auflachen. "Du lässt es so klingen, als würde es dich nicht belasten.", merkte er etwas unsicher an. "Weil es das nicht tut. Am Anfang war schwer, doch die Mühe zahlte sich aus.", entgegnete Sinan wieder, wobei ich sein Lächeln heraus hörte. "Wie meinst du das?", - "Naja, ich kann nicht mehr wirklich bestraft werden. Jede Bestrafung ist wie eine Wohltat für meinen Körper.", - "Wurdest du schon oft bestraft?", - "Oh ja.. mein ganzer Rücken ist voll.", dabei klang er sogar stolz. "Darf ich mal sehen?", fragte Tarim vorsichtig und erhob sich. Kurz herrschte Stille bis ich hörte wie jemand scharf die Luft einzog. Würde ich die Augen öffnen, würde ich sehr wahrscheinlich einen schockierten Tarim sehen, welcher den Rücken von Sinan betrachtete. Für einen Nicht-Arzt war es wahrscheinlich nochmal um einiges erschreckender. Im Verlauf ihres Gespräches erzählte Sinan die Hintergrundgeschichten seiner größten Narben. Viele wurden von Wachen verursacht, welche hier im Schloss noch unter dem Kommando des alten Königs arbeiteten - also von Menschen. Sie missbrauchten ihn Jahre lang als Boxsack und ließen ihre Frust an ihm aus. Von seiner Mutter wurde er gegen ihre Freiheit eingetauscht und von ein paar Sklavinnen erzogen die auch nicht unbedingt alt wurden. Eine grausame Kindheit.. Dass er keine offensichtlichen Schäden davon trug war alles, doch bisher kratzten wir nur die Oberfläche seines Charakters. Die nähste Zeit werden sich seine wahren Farben zeigen, dessen war ich mir schon fast sicher. "Dies war meine erste Narbe.. Ich war damals 5 oder 4 Jahre alt und hatte in der Nacht einen schrecklichen Alptraum weswegen ich mir ins Bett machte. Die Wachen haben dies natürlich mitbekommen und mich nicht nur mit meinem Gesicht in meinen Urin gedrückt, sondern auch mir einen so harten Schlag mit der Peitsche gegeben, dass diese Narbe wohl nie verheilen wird.", erzählte Sinan gedankenverloren. "Das ist wirklich schrecklich.. Bist du nicht traurig?", mitfühlend erfragte Tarim das, was mir auch schon durch den Kopf schoss. "Anfangs doch ich passte mich schnell an und jetzt habe ich mich an das Leben eines Sklaven gewöhnt. Es geht einem viel besser wenn man sich nicht mehr vor Strafen fürchtet sondern sie willkommen heißt.", erneut klang die Stimme des etwas Jüngeren federleicht und positiv. Wenn es ihm wirklich damit besser ging, dann ließ sich wohl nichts machen. Masochismus kann man zwar mit einer langen Therapie heilen, doch wenn sich der Patient gegen diese sträubte, konnte selbst der beste Therapeut einpacken.
"Was ist mit dir Tarim? Wurdest du geschlagen?", war es nun mein Diener welcher den Tänzer fragte. Lange musste dieser auch nicht überlegen. "Nein, also nie, dass Narben blieben. Wir Tänzer müssen anschaulich bleiben.", antwortete er darauf. "Und wie werdet ihr dann bestraft?", hackte Sinan etwas irritiert nach. "Mit extra Training, manchmal die ganze Nacht, oder Übungen wo du eine bestimmte Position halten musst. Ich sag dir, da wünscht man sich manchmal lieber ein paar Peitschenhiebe.", er lachte zum Schluss einmal scherzend auf, worauf Sinan mit ein stimmte. "Soll ich dir neues Obst bringen? Dir scheint es ja geschmeckt zu haben.", folgte es nach kurzer Stille. "Oh, wäre das möglich?", na da klang aber einer begeistert. "Natürlich. Bekommst du in deiner Schule kein Obst?", fragte Sinan. "Nein.. wir haben eine strenge Diät. Das ist das erste Süße, was ich seit Wochen esse.", jammerte Tarim und stellte die leere Schüssel auf den Tisch. "In Ordnung, ich schaue mal schnell in der Küche vorbei... über nimmst du mal kurz?", entschied Sinan und kurz setzte die sanfte Brise aus, ehe sie erneut wieder kam. Ich spürte den Windzug den Sinan hinterließ, als er an mir eilig vorbei ging und die Schüssel mit sich nahm. Weiterhin nicht für nötig haltend meine Augen zu öffnen blieb ich entspannt liegen. Ich fühlte mich beobachtet, doch da ich wusste welches smaragdfarbene Augenpaar auf mir lag, fand ich es gar nicht mal so schlimm. Ein paar Minuten verstrichen und die Luft welche er mir zufächerte wurde immer schwerer zu spüren, derweil erhöhte sich seine Atmung. War er etwa schon erschöpft? Er hatte wohl mehr Muskeln im Hirn als in den Armen, doch das war auch besser so. Zwar sagt man 'Dumm fickt gut', doch nach der Logik wäre Tarim selbst zu dumm zum Atmen. Zwischen seinen Schlägen ließ er immer mehr Pause und keuchte leise. Ich will gar nicht wissen wie erleichtert er aussah, als Sinan wieder zurückkam - hörbar an seinen Schritten. Er übernahm wieder das Fächern und Tarim seufze erleichtert.
Es war verdächtig still zwischen den Beiden. Mein Stichwort. Bevor sie ein weiteres Gespräch anfingen, entschied ich mich, dass ich genug geschauspielert hatte. Ich öffnete meine Augen und setzte mich auf. Tarim gab irgendwas unverständliches von sich, was wohl an den gefühlt 15 Trauben in seinen Mund lag, welche er sich wie ein Hamster in die Backen gestopft hat. Als mein Blick zu Sinan glitt, sah ich, dass auch er sich den Mund mit Trauben voll gehauen hat. Ich gluckste auf, denn der Anblick war einfach nur urkomisch. Ich wendete meinen Blick ab um meine Maske wieder aufsetzten zu können. Ich atmete mehrmals tief durch und blickte mit neutraler Miene zu den beiden Quatschköpfen. Tarim Lippen, welche sich schon gar nicht mehr richtig schlossen, verzogen sich zu einem Grinsen. In dem Moment fiel eine Traube aus seinem Mund und es war ihm sichtlich peinlich. Er fing an zu lachen, steckte Sinan damit an und als die beiden krampfhaft versuchten ihre Trauben im Mund zu behalten ohne daran zu ersticken, entkam auch mir ein erheitertes Lachen. "Gut.. Ich ziehe mich bis zum Mittagessen in meine Gemächer zurück. Vertilgt weiter die Trauben, verschluckt euch aber nicht daran.", schmunzelte ich gutherzig und erhob mich. "Du hast dich wirklich gut angestellt Tarim, als Fütterer und sogar als Palmenwedler. Du und deine Freunde können es sich gleich am Becken bequem machen.", ließ ich es ihn noch wissen. Tarim reckte den Daumen nach oben und blitzte mich fröhlich an. Ich wendete mich dem Palast zu und betrat die kühlen Gemäuer.
Wie kommt man auf solche Ideen?

Dragon's DancerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt