Kapitel 23 - Er hat doch nicht..

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Kyles Sicht

Es dauerte eine ganze Weile, bis Tamir am eigenen Leib erfahren musste, was ich mit dem Juckreiz meinte. Als es dann soweit war, fingen seine Glieder an zu zittern und er schrubbte sich so gut es ging über das glatte Holz des Tisches. Ich ignorierte jede Bitte seinerseits, welche beinhaltete, ihn los zu machen oder ihn zu kratzen. Noch immer war er etwas blass um die Nase und könnte durch weiteren Blutverlust sterben.
Mit Umschlägen, welche in kalten Schwarztee getaucht waren, versuchte ich seine Haut ein wenig zu beruhigen. Tamir presste fest seine Zähne zusammen und kniff die Augen zu. "Entspann dich Tamir.. versuche dich mit etwas anderem abzulenken", versuchte ich ihn ein wenig zu beruhigen. Zwar gab er sein bestes um nicht dem Drang des Kratzens zu verfallen, doch es fiel ihm wohl sehr schwer. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was er gerade erlebt. "Erzähl was", presste er angestrengt zwischen seinen Zähnen hervor und stemmte seinen Körper gegen die gepolsterten Lederriemen. "Was möchtest du denn hören?", entgegnete ich und zog mir wieder meinen Hocker an den Tisch. "Amar.. Du sagtest.. ihr kennt euch länger", erinnerte er mich und entlockte mir ein Schmunzeln. Ich hätte mir denken können, dass er etwas über ihn hören wollte.
"Na schön.. da gibt es viel zu erzählen. Ich fange am besten mit ein paar Sachen an die dich wohl am meisten interessieren: Seine vorherigen Beziehungen", eröffnete ich das Thema und beobachtete neugierig sein Gesicht. Tatsächlich schielte er aus dem Augenwinkel zu mir rüber und man konnte förmlich sehen wie er seine Ohren spitzte. "Amar und ich arbeiteten zusammen als Heiler und sprachen viel miteinander. So erzählte er mir auch gelegentlich von seinem Privatleben und seinen Bekanntschaften. Mehr als eine einmalige Sache war es jedoch bei keiner. Er baute keine Beziehung auf und nach dem Sex war sie oder er auch schon wieder vergessen. Manche kamen damit klar.. andere hingegen.. nicht so", fing ich an ein wenig über Amars Zeit in der Zukunft zu sprechen. "Es gab wirklich sehr oft riesige Dramen weil manche einfach nicht einsehen konnte, dass er die Gefühle nicht erwiderte. Zwar versuchte er, jedem das Gefühl zu geben, dass der Sex die vorherige Beziehung nicht stören brauchte, aber einige Weiber machten es ihm wirklich schwer", ich seufze als ich daran zurück dachte wie eine Krankenschwester gewaltige Filme geschoben hat, als sie ihn mit jemand anderen reden sah. Sie hat die halbe Station zusammen gebrüllt und danach fast Stunden geheult. "Doch das lag alles in der Vergangenheit..", oder sollte ich sagen Zukunft? Durften Menschen überhaupt erfahren woher wir kamen? Doch was brachte ihnen dieses Wissen? Es wäre nur umständlich zu erklären und im Endeffekt würden sie uns eh nicht glauben und uns als Verrückte abstempeln. "Ich glaube du bist der erste den Amar so nah bei sich hat. Selbst Cecilia, die oberste Generalin seiner Armee, durfte sich nur einmal in seinem Bett wiederfinden", grübelte ich ein wenig, da ich mir unsicher war ob dies so stimmte, oder ob da doch noch mehr lief. "Cecilia?", röchelte Tamir fragend und verzog sein Gesicht. Ich erhob mich, wechselte die Umschläge und setzte mich dann wieder. Als ich sicher war, dass er seine Konzentration wieder auf mich gerichtet hatte, sprach ich weiter: "Ja. Sie hat weiße lange Haare, gelbe augen, schlank, üppiger Vorbau, jung und gebräunt. Sie ist dazu noch sehr mächtig was ihre Verwandlung angeht. Sie kann zum Beispiel ihren Drachenschweif ausfahren lassen am menschlichen Körper, oder ihre Krallen benutzen. Nicht viele Drachen schaffen es Teile ihrer wahren Form an die menschliche anzupassen. Aber das willst du wahrscheinlich nicht hören. Sie und Amar haben miteinander geschlafen, nach meinen Informationen, doch dabei blieb es auch. Cecilia würde zwar gerne mehr wollen, doch Amar hält sie auf Abstand - vielleicht aus dem Grund, weil er etwas viel besseres gefunden hatte?" Meine Lippen verzogen sich zu einem Schmunzeln, welches noch breiter wurde als ich die Röte auf dem Gesicht des Braunhaarigen bemerkte. "Glaubst du, er würde meine Gefühle erwidern?", fragte Tamir, leise und sehr wahrscheinlich mit viel Überwindungskraft. 

Ich war keine Person, welche ihren Patienten falsche Hoffnungen machen wollte, und da ich ehrlich gesagt nicht genau wusste, wie Amar dachte, konnte ich ihm auch keine gewissenhafte Antwort geben. "Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass du ihm was bedeutest", antwortete ich deshalb. Ich würde es mir wünschen wenn Amar endlich jemanden gefunden hatte, den er neben seinem Schmuck liebte, aber gleichzeitig hoffte ich, dass es nicht Tamir war. Nicht weil Tamir eine schlechte Wahl war, sondern weil es gut möglich war, dass er ihn schon bald verlieren könnte.
Als hätte ich es gedanklich herauf beschworen, fing Tamir an sich zu verkrampfen, zu wimmen und seine Atmung verschnellerte sich. Sofort alarmiert untersuchte ich seinen Oberkörper, seine Beine und Arme. Die Schuppen begannen durch die Haut zu stechen. Mit ihrer schwarzen Farbe sahen sie aus wie Käfer welche sich durch das dünne Fleisch fraßen. "Kyle~", winselte er wie ein verletzte Hund, während sich seine Augen mit Tränen füllten. Doch was sollte ich machen? Ich hatte keine Medikamente hier um ihn zu betäuben oder zu beruhigen. Mehr als daneben stehen und sein Leiden schweigend zu beobachten, konnte ich also schon wieder nicht machen - und das machte mich wütend.  Ich war ein Arzt. Ich wollte Menschen helfen, sie vor sowas bewahren.. Und jetzt waren mir die Hände gebunden weil die Wissenschaft noch nicht so weit war. Ich könnte versuchen ihn mit Alkohol zu betäuben, doch wer weiß wie die Mutation darauf reagierte. Ein schmerzerfüllter Schrei drang in mein Gehörgang, und erreichte mein Knochenmark ohne große Umwege. Schmerzensschreie eines Menschen waren immer mein Kryptonit. Ich habe mich damals schon bei der Eroberung zurückgehalten, weil ich es einfach nicht aushalten konnte. Dieses Geräusch machte mich nervös und ganz hibbelig. Kurzerhand verschwand ich in mein Privatzimmer gleich nebenan und kramte aus einen meiner Schublade eine Flasche mit Schnaps heraus. Den hat man mir mal aus Sha' Butal mitgebracht, und er soll wohl richtig hart ballern. Das soll wohl auch der weiße, aufgemalte Totenkopf auf der Flasche verdeutlichen. Ich hoffte mal, Tamir verträgt Alkohol, und kotzt nicht gleich schon nach dem ersten Glas. Im selben Becher aus dem er gerade schon Tee getrunken hat, kippte ich jetzt einen Teil des Schnapses, vermischte ihn mit Schwarztee und drückte das Ende des Strohhalms gegen die Lippen von Tamir. Er presste sie fest aufeinander, doch nach ein wenig mehr nachdruck, fing er an widerwillig an zu nippen. Er hustete schon beim ersten Schluck stark, doch war eifrig und nahm immer mal wieder kleinere Schlücke. Nachdem er so gut wie den ganzen Inhalt hinunter gewürgt hatte, schien auch sein Körper herunter zu kommen. Sein Herzschlag raste zwar noch immer wie nach einem Marathonlauf, doch die Krämpfe hielten sich in Grenzen und das war doch auch schon mal was. "Was war das?", fragte er mit kratzender Stimme, welche wohl ziemlich unter dem schreien litt. "Schwarztee und Schnaps", antwortete ich wahrheitsgemäß. "A-alkohol?", stotterte Tamir und seine Augen wurden groß. "Ja, scheint ja zu wirken", antwortete ich und stellte den nun leeren Becher wieder bei Seite. "Wann kommt Amar zurück?", nuschelte er dann und schloss seine von den Tränen geröteten Augen. "Hoffentlich bald", antwortete ich nur ebenso nuschelnd.

Doch er ließ sich Zeit. Seit seiner Abreise waren nun schon beinahe 32 Stunden vergangen, und mit jeder verstrichenen ging es Tamir schlechter. Der Alkohol schien seine Schmerzen zu lindern, doch sein Körper arbeitete. Sein schnell schlagendes Herz wollte immer seltener zur Ruhe kommen und mittlerweile brachen Schuppen schon überall verteilt durch seine Haut. An einigen Stellen haben sie schon Flächen gebildet die mehrere Quadratzentimeter in Anspruch nahmen. Dass das Tamir weh tat, war natürlich nachvollziehbar, sogar trotz Trunkenheit. Er weinte bitterlich und bat mich schon mehrmals ihm die Schuppen einfach raus zu schneiden, doch das würde ich ihm nicht antun.
"Isch will nicht mehr!", jammerte Tamir schluchzend und jaulte kurz darauf schmerzvoll. Der Alkohol schien wieder nachzulassen, oder an Wirkung zu verlieren. "Bitte Kyle! Bitte! Isch kann nicht mehr!", lallte er und sah mich aus glasigen Augen an. So schwer es mir auch fiel ihm nicht die Erlösung zu geben, nach der er verlangte, ich musste stark bleiben. Egal wie aufgeschürft seine Gelenke waren und wie tief sich die Lederriemen in seine Haut schnitten ich durfte ihn nicht los machen, denn sonst würde er das gleiche machen wie der erste Junge. Er musste es durchstehen, entweder bis es vorbei war, oder bis Amar zurück kam.
Erneut schien Vater meine Gedanken mit zu hören, denn die Tür wurde fast aus ihren Angeln gerissen, kurz nachdem ich ein stummes Gebet gen Himmel schickte. Sofort drehte ich mich um und auch Tamir verstummte. "Ich..", er keuchte stark, "bin wieder da."

Sein braunes Haar klebte ihm in der Stirn und der Geruch an Blut an seiner Haut. Das weiße Shirt, welches er sich nur schnell drüber geworfen hatte, färbte sich an seiner Schulter rot und auch sein feines Gesicht hatte einige Macken abbekommen. Gott.. er hat doch nicht mit Zephyr gekämpft oder?! Wenn er seine Gaben verloren hatte, dann war es aus für ihn. Seine Geschwister würden ihn schneller vom Thron scheuchen, als das er sich erholen konnte. 

Dragon's DancerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt