Kapitel 39

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Elisabeth

Seit dem Disput zwischen Alissa und mir, versuchten wir beide an unseren Schwächen zu arbeiten.

Meine Aufgabe war es daher, Alissa in die politischen Geschehnisse mit  einzuweihen und mich ihr gegenüber offener über meine Probleme und Befürchtungen zu äußern. Währenddessen versuchte Alissa, ihre Neugierde zu regulieren und mir mehr Vertrauen zu schenken.

Meinem persönlichen Eindruck nach hatten wir beide bereits große Fortschritte gemacht, denn als ich vor kurzem einen Brief von Murray, Marias Stiefbruder und Anführer der protestantischen, schottischen Lords, 
erhalten hatte, hatte sich Alissa nicht direkt nach dessen Inhalt erkundigt, sondern hatte geduldig gewartet bis ich ihr aus eigenem freien Willen davon berichtet hatte, was ich auch an noch jenen Abend getan hatte.

In Murrays Brief war die Rede gewesen von Beweisen für Marias Mithilfe an dem Mord ihres Gatten, des schottischen Königs. Murray nannte diese Beweise die "Kassettenbriefe", die anscheinend Liebesbriefe von Maria an Bothwell, den Königsmörder, darstellten. In diesen Liebesbriefen sollen Bothwell und Maria einen Komplott gegen  Darnley, den verstorbenen schottischen Königin, geschmiedet haben.

All dies klang wahrlich zuerst sehr verlockend, doch selbstverständlich war ich mir bewusst, dass diese Briefe höchst wahrscheinlich, falls sie denn überhaupt existierten, nicht tatsächlich von Maria angefertigt wurden, sondern von ihren politischen Gegnern in Schottland, allen voran von ihrem Stiefbruder James Stuart, dem Earl of Moray.

Doch trotzdem wären diese Briefe ein guter Beweis, welcher vor Gericht gegen Maria verwendet werden könnte, daher schloss ich die Authentizität dieser Briefe in der Öffentlichkeit natürlich nie ganz aus und zweifelte sie lediglich an, denn ich wollte schließlich nicht, dass Maria Stuart für schuldig oder unschuldig befunden wird.

Als ich Allissa davon berichtet hatte, wollte sie mir zunächst die Leviten lesen, da ich dann wissentlich ein Gerichtsurteil manipulieren würde, doch letztendlich hatte sie erkennen müssen, dass es so tatsächlich die bessere Entscheidung für alle Betroffene war.

Gestern war der Beschluss gefallen. In der Konferenz von Westminster wurde kundgetan, dass Maria Stuart weder für unschuldig noch für eine Königsmörderin befunden werden kann. Als Resultat wird sie weiterhin in England unter Hausarrest stehen.

Die frohe Kunde dieses Gerichtsbeschlusses hatte meinen Morgen versüßt und obwohl Alissas abwertender Blick mir wieder vor Augen führte, dass ich weitaus mehr Schamgefühle besitzen sollte, war ich trotzdem nicht im Stande, das Gefühl zu verdrängen etwas Gutes erreicht zu haben. War es denn schließlich nicht tatsächlich so?

Ich hatte Maria Stuart vor einem Todesurteil bewahrt und sie zugleich in meinem Land festgehalten. So, zumindest ging ich von der Annahme aus, würde sie mir keine Probleme mehr bereiten und ich würde wohlmöglich die Gunst der Bevölkerung zurückgewinnen.

Doch so sollte es nicht sein, denn gerade als ich mich mit Sir Cecil in einer Partie Schach maß, betrat ein Bote den Garten.

"Eure Hoheit! Bitte verzeiht die unangemessene Störung, doch ich wurde damit beauftragt, Euch von Unruhen in England und Spanien zu berichten. Es scheint als wäre auch der Papst involviert. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind die Spanier, der Papst und die Katholiken in England nicht mit dem Beschluss der Konferenz von Westminster einverstanden."

"Ich verstehe, danke für die schnelle Mitteilung, lassen Sie sich von einem meiner Minister für Ihre Dienste entlohnen. Ich muss mich nun wieder dieser äußerst fesselnden Partie Schach widmen, denn wie Sie sehen befindet sich meine Dame in einer äußerst prekären Situation."

"S-Selbstverständlich, Eure Hoheit. Ich danke Euch!"

Er eilte hinfort und ich seufzte, als ich Sir Cecil erblickte, der mit einer ähnlich betroffen Miene auf das Schachbrett starrte.

Er räusperte sich, machte einen Spielzug und sprach mit einer leisen Stimme: "Was gedenkt Ihr nun zu tun, Eure Majestät?"

Ich betrachtete die vor mir aufgebaute Partie Schach. Die Lage schien hoffnungslos für mich, denn mein König konnte sich nicht mehr auf viele Felder bewegen und meine Dame wurde von Sir Cecils Dame bedroht. Plötzlich sah ich einen kleinen Bauern fast am gegnerischen Ende des Spielfeldes. Ich zog ihn ein Feld weiter, sodass er in der gegnerischen Grundreihe angekommen war und sozusagen die feindliche Grenzen durchbrochen hatte. Der Bauer wurde nun zu einem Turm, und bedrohte die gegnerische Dame, welche wiederum meine Dame bedrohte.*

Sir Cecil war für einen Augenblick überrascht, doch schien dann schnell wieder zur Ruhe zu kommen.
"Eine Bauernumwandlung? Ich muss gestehen Eure Majestät, ich hatte den Bauern wohl aus den Augen verloren. Das war ein guter Zug."

"Eine Bauernumwandlung... auf gegnerischem Gebiet... könnte es denn wahrlich so einfach sein?"

"Mit Verlaub, Eure Worte sind ohne Sinn, Hoheit. Was versucht Ihr anzudeuten?"

"Nun, wie es der Zufall will, hat mich Thomas Howard, Duke (Herzog) von Norfolk, vor wenigen Tagen aufgesucht und um eine Audienz gebeten. Ich habe sie ihm gewährt und er hat sein Anliegen vorgebracht. Er wollte Maria Stuart heiraten und mit ihr zusammen erneut den schottischen Thron besteigen. Selbstverständlich habe ich sein Anliegen abgelehnt, doch unter den momentanen Umstände könnte sein Anliegen möglicherweise tatsächlich von Vorteil für uns sein."

"Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr Thomas Howard vertrauen könnt?"

"Wie könnte ich? In der Politik kann man sich nie etwas ganz gewiss sein, doch seine Vorfahren waren den meinen seit jeher treu ergeben und die Familie der Howards hat mir nie einen Anlass dazu gegeben ihre Loyalität anzuzweifeln. Doch trotzdem möchte ich hinzufügen, dass Thomas Howard der katholischen Kirche angehört und somit bedauerlicherweise nicht mein vollstes Vertrauen besitzt."

"Ich verstehe... Wie wäre es, wenn Thomas Howard Maria zuerst nur umwerben soll und wir beobachten wie es sich entwickelt und brechen das Vorhaben ab, falls es nicht das in die Wege leitet was wir erhofft hatten. Nämlich Marias Fortgang aus England und ihr Aufbruch nach Schottland, um dort den Thron zu besteigen, ob ihr dieses Vorhaben gelingt oder nicht ist für uns vorerst nicht weiter von Belang."

"Das ist ein vortrefflicher Vorschlag Sir Cecil. Ich werde sofort Thomas Howard zu mir rufen lassen, um ihn über unser Vorhaben in Kenntnis zu setzen."

"Und ich werde Euren Staatssekretär Francis Walsingham von der Situation unterweisen und unsere Sicherheitsmaßnahmen für einen möglichen Komplott der Katholiken wappnen."

"Ich danke Euch, Sir Cecil."

"Ich verdiene keinen Dank für solche Minuzien°, Eure Majestät."

Bevor ich die Chance hatte etwas zu erwidern oder ihm zu widersprechen, hatte Sir Cecil bereits den Garten verlassen. Ich stand für einen Moment still und wägte erneut ab, ob es wohl ein guter Einfall wäre Thomas Howard mit Maria allein zu lassen, doch mir schien als hätte ich keine andere Wahl, also machte ich mich schweren Herzens dazu auf Thomas Howard an den königlichen Hof zu beordern.



*Für alle die Schach spielen: Ja, für gewöhnlich wird der Bauer sobald er das gegnerische Ende des Spielfeldes erreicht hat in eine Dame umgewandelt, doch im Mittelalter und bis ins 17. Jahrhundert war dies nur möglich, sofern die ursprüngliche Dame bereits vom Feld genommen werden musste.

°Minuzien= Kleinigkeiten

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 11, 2020 ⏰

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Verpflichtungen oder Liebe? (Girl X Girl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt