Kapitel 8

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Ich weiß, mir wurde gesagt, ich soll ihn in Ruhe lassen. Aber ich kann nicht.
Ihn so heruntergezogen zu sehen, ist komisch. Wir kennen uns noch nicht lange und auch nicht besonders gut, aber seine freche Art ist mir trotz der Nervigkeit ein bisschen and Herz gewachsen. Es ist wie eine Gewohnheit.
Solche Sachen würde ich nie über ihn denken, aussprechen oder jemals ihm gegenüber äußern, wäre er jetzt nicht so abweisend.

Schließlich sind schon 3 Tage vergangen.
3 Tage ohne Kommentare.
3 Tage ohne Verführungen.
3 Tage ohne Blicke.
3 Tage ohne Taylor.

Am Samstag Abend beschließe ich dann, endlich mit ihm zu reden.
Ich bleibe vor seiner Zimmertür stehen.
Was will ich denn überhaupt sagen?
Ich beiße mir nervös auf der Unterlippe herum und tippe von einem Fuß auf den anderen.
Dann klopfe ich schließlich an.
„Taylor?"
Keine Antwort.
„Taylor, bist du da drin?", frage ich, etwas sanfter, obwohl ich ihn vor 5 Minuten herein gehen gesehen habe.
Ich drücke die Klinke hinunter und öffne die quietschende Tür langsam. Taylor sitzt oberkörperfrei - wie eigentlich immer - auf seiner Bettkante und starrt aus dem Fenster.
Auf seinem Rücken sind noch einige Wassertropfen und auch seine Haare sind noch leicht nass.
Er war wohl gerade duschen.
„Alles ok?"
Schon wieder keine Antwort.
„Ich weiß wir beide haben uns nie gemocht, aber ich dachte.."
„Darsy, lass es."
Ich stocke.
Was?
„Taylor, was.."
„Ich will nicht drüber reden."
Ich atme schwer aus, um meine Wut zu kompensieren und drehe mich dann wieder um, um zu gehen.
Sofort merke ich, dass es nicht richtig wäre zu gehen und drehe mich ihm wieder zu.
„Nein, Taylor. Nein. Ich werde es nicht lassen. Seit 3 Tagen schmollst du herum, redest nicht mit mir, ignorierst mich und hockst in deinem Zimmer herum. Abgesehen davon dass du somit deine Arbeitspflichten nicht erfüllst, dachte ich, dass wir mittlerweile da angekommen waren, wo man sich respektvoll gegenüber stehen kann. Oder zumindest miteinander reden. Dieses Ignorieren ist doch albern."
Er steht auf und stellt sich nah vor mich.
Wie gewohnt grinst er mich lüstern an und ich spüre seinen warmen Atem auf meiner Haut, als er spricht.
„Du machst dir also Sorgen um mich?", sagt er grinsend.
Wow. Was für ein Arsch.
„Das ist nicht witzig.", sage ich mit einer erstaunend starken Stimme.
Sein Grinsen vergeht, als er merkt, dass ich es ernst meine. Er lässt sich wieder auf sein Bett sinken.
„Sie ist tot."
„Wer?"
„Meine Schwester."
„Du hast eine Schwester."
„Ich sollte bald eine bekommen, ja."
Ich verziehe missverständlich das Gesicht.
Was meint er?"
Warte..
„Valerie? Was ist mit ihr??", sage ich panischer als beabsichtigt:
„Fehlgeburt. Das Baby ist gestorben."
Ich schlucke.
Ich hätte mit allem gerechnet.
Einem kaputten Motorrad, einer gebrochenen Beziehung, aber nicht damit.
„Wie geht's ihr denn?"
„Wie soll's ihr gehen? Sie ist tot."
„Ich meine nicht das Baby, ich meine Valerie."
„Nicht gut. Abgesehen von den psychischen Schäden haben sich auch ihre Eileiter infiziert und sie wird vielleicht unfruchtbar."
Ich bin stumm.
Was soll man dazu auch sagen.
Ich tue also das einzige, was mir einfällt.
Ich setze mich neben ihn und lege meinen Arm um ihm.
„Es tut mir leid.", sage ich mitfühlend und erwarte irgendeine abweisende Reaktion aber er legt nur eine Hand auf meinen Arm und zieht mich näher zu sich.
Ich höre, wie er anfängt zu schluchzen und sehe kurz danach die ersten Tränen.
„Ist ok, ist ok..", sage ich und streichle seinen Arm etwas.
So verharren wir etwa 5 Minuten ohne etwas zu sagen. Als ich dann merke, dass sein Weinen gestoppt hat, nehme ich sein Gesicht in die Hände.
„Brauchst du noch was?"
Er überlegt.
„N Blowjob wär jetzt schon ganz geil."
Er fängt anzulachen und ich lache mit. Vielleicht wäre ich unter anderen Umständen sauer oder beleidigt, aber mittlerweile kenne ich seinen Humor und in so einer Situation kann ich ihm ja auch nicht böse sein.
Dann reißen wir uns zusammen und er schaut mir tief in die Augen.
„Danke, Darsy."
Ich nicke nur abwinkend.
„Kein Problem."
Ich lasse von ihm ab und gehe zur Tür.
„Wenn du noch etwas essen oder trinken willst sag Bescheid. Und falls dir kalt ist liegen da vorne im Schrank Decken. Ich kann sonst auch.."
„Darsy, Danke.", sagt er und betont das letzte Wort so sehr, dass ich merke, dass er will, dass ich mich verziehe.
„Schon verstanden. Gute Nacht.", grinse ich.
Ich schließe die Tür, nur damit sie Sekunden später wieder von innen aufgerissen wird.
Taylor stürmt quasi auf mich zu und umarmt mich so kräftig, dass ich nur schwer Luft kriege.
„Du bist keine Nutte.", flüstert er mir ins Ohr.
Ich lächle und erwidere seine Umarmung.
Er kann nett sein, wenn er will..
Er löst sich von mir und drückt mir dabei noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
Dann geht er rückwärts in sein Zimmer und sagt, kurz bevor er die Tür schließt.
„Gute Nacht, Darsy."
Ich stehe nun alleine im Gang und starre grinsend eine verschlossene Tür an.
Ich weiß nicht, was mich mehr freut.
Die Tatsache, dass er endlich wieder mit mir geredet hat, dass ich ihn trösten und aufheitern konnte, dass er sich mehr oder weniger entschuldigt hat oder dass er mich auf die Wange geküsst hat.
Ich finde keine Antwort.
Ich würde es einfach alles in allem als einen gelungen Abend bezeichnen.
Vielleicht ist er ja doch garnicht so scheiße wie gedacht.
Mit diesem Gedanken begebe ich mich in mein Zimmer und schlafe lächelnd ein.

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