Kapitel 4 ~ Schulhofträume

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„Also, kommst du jetzt mit?", fragt Madita mich zum millionsten Mal.

„Wohin?", frage ich, wahrscheinlich ebenfalls zum millionsten Mal. Madita stöhnt auf und wirft Eva-Lotta, die grinsend neben uns steht und an einem Bagel knabbert, einen Blick zu. Es ist große Pause und ich bin wieder einmal mit meiner Lieblingsbeschäftigung beschäftigt: Henri möglichst unauffällig zu beobachten, der nur ein paar Meter weiter steht. Er sieht kein einziges Mal in meine Richtung, obwohl ich heute extra ein neues T-Shirt, goldene Kreolen und eine kurze schwarze Shorts trage und sogar etwas mehr Mascara als sonst aufgelegt habe. Irgendwann muss er doch zufällig in meine Richtung schauen!

„In die Mensa", wiederholt Madita, „ich habe Hunger und wollte dich fragen, ob du mir acht Kronen leihen kannst."

„Klar", ich krame den Schein aus meiner Hosentasche und schaue unauffällig zu Henri rüber.

„Kommst du vielleicht auch mit?", kichert Eva-Lotta.

Ich zucke mit den Schultern. Da! Hat Henri gerade etwa zu mir rüber geschaut? Nein, bestimmt nicht.

„Wohin?", Mandy taucht mit einem Croissant neben mir auf.

„In die Mensa. Kommst du mit?", quengelt Madita. „Da muss man immer ewig anstehen und allein ist das langweilig!"

„Nee, lass mal, da komme ich gerade her", winkt meine Freundin ab, daraufhin verschwinden Madita und Eva-Lotta allein und laufen dabei an Henris Gruppe vorbei, der lässig die Hände in die Hosentaschen seiner Replay-Jeans geschoben hat und über irgendeinen Witz, den einer seiner Freunde gerissen hat, lautlos lacht. Dabei legt er den Kopf in den Nacken und zeigt hübsche Lachfalten und weiße Zähne. Ich schmelze beinahe dahin, während ich ihn beobachte, wenn er doch nur über einen Witz von mir so lachen würde, oder gar mit mir reden würde. Bis jetzt habe ich nur einmal mit ihm geredet und zwar im Drogeriemarkt, als ich dummerweise vor den Tampons stand und er mich fragte, ob ich ihn kurz durchlassen könnte, weil nebenan die Kondome lagerten. Ich will mir gar nicht ausmalen, für wen er die brauchte. Da kommt noch ein Problem hinzu: ich bin noch Jungfrau, was ich auch ganz normal finde, und er nicht.

„Jetzt schau mal woanders hin! Das merkt der doch sonst!", flüstert Mandy plötzlich und sofort wende ich mich ihr zu. Als es klingelt, quetscht sein Freund Jonas sich in der Tür an mir vorbei, wobei Henri hinter ihm herwill, und ich plötzlich seinen Atem in meinem Nacken spüre, als er in der Schlange in Richtung der Klassenzimmer hinter mir steht. Mein Nacken prickelt und ich versuche krampfhaft, mich nicht zu ihm umzudrehen, während ich mich weiterschiebe. Nach ein paar Sekunden ist der Zauber auch schon vorbei und ich kann mich durch eine langweilige Stunde Mathe hindurch quälen.

„Hallo Nicimäuschen!", begrüßt meine Mutter mich zuhause „ich habe gesehen, dass wir neue Nachbarn haben." Ach nee. Gespielt gelangweilt zucke ich die Schultern. Meine Familie muss ja nicht gerade wissen, dass ich meinen neuen Nachbarn längst aus dem Baum beobachtet habe und kein großer Fan von ihm bin.

„Ach ja?"

„Ja, seit einem Monat! Wusstest du das?"

Ach nee, nein, ich habe die Umzugswagen vor einem Monat nicht gesehen und nein, ich habe nicht die Rundmail an alle Bewohner dieser Straße gelesen, in der alles über die neuen Nachbarn stand und die an die Mailadresse meiner Eltern geschickt wurde.

„Nein, habe ich nicht mitgekriegt", flunkere ich und will mich in den lauschigen Garten verdrücken, der einladend in der warmen Nachmittagssonne funkelt.

„Am besten gehen wir bald mal rüber und stellen uns vor."

Schnell verdrücke ich mich in den Garten, damit meine Mutter dieses Vorhaben nicht jetzt ausleben kann.

Liebe sieht aus wie eine Wolke (Band 1) ✔️ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt