Am nächsten Morgen dämmert mir erst, was ich getan habe. Ich habe Fynn verloren, meinen ehemals besten Freund. Ich habe getrunken. Ich habe mit Henri herumgeknutscht und weiß nicht, wie ich wieder ins Bett gekommen bin. Ich taste nach meinem Kopf. Er fühlt sichan als sei ein Laster darübergefahren. Vorsichtig setze ich mich auf und wanke ins Bad. Dort spritze ich mir kaltes Wasser ins Gesicht.
Es fühlt sich an wie kleine Eissplitter und schneidet in meine Haut. Als ich aus dem Bad komme, endlich wieder halbwegs ansprechbar, nehme ich mein Handy von der Kommode. Ich habe zehn neue Nachrichten von Mandy. Zwei von Madita, drei von Eva-Lotta. Und vier von Henri. Henris Nachrichten öffne ich zuerst. Er schreibt, dass er mich treffen will. Und, dass er mir eine gute Nacht wünscht. Und, dass er wissen will, was das zwischen uns jetzt ist. Ist es Liebe? Ich bin mir sicher, dass es Liebe ist. Ja, es ist Liebe. Echte, wahrhaftige Liebe, oder?
Ich verabrede mich mit ihm für morgen. Von Fynn habe ich keine Nachricht. Natürlich habe ich keine Nachricht. Ich knabbere mir auf meiner Lippe herum und gehe dann aus unserem Chat raus.
Es hilft nichts- ich habe es versaut. Ich schaue durch mein Fenster in Fynns Zimmer hinein. Ich sehe ihn nicht. Ich bringe den ganzen Vormittag damit zu, die Anrufe meiner Freundinnen zu ignorieren und zu lesen. Was soll ich ihnen denn sagen? Ich habe an einem einzigen Tag mit zwei Jungs herumgeknutscht! Ich beginne, mich zu schämen. Für das, was ich zu Fynn gesagt habe und dafür, dass ich meinen Freund an einem Tag gewechselt habe. Ich lese ein ganzes Buch fertig, nehme den Inhalt aber nur teilweise auf. Nachmittags klopft es an meiner Zimmertür und Mama betritt mein Zimmer. „Hallo, meine Maus."„Hallo, Mama."
Als ich Mamas Gesicht sehe, weiß ich, dass sie über gestern Abend reden will. Ich will aber nicht reden. Also lehne ich mich nur an sie und sie streicht mir über den Kopf.
„Wenn du mir nicht sagen kannst, was dich bedrückt, verpasst du aber einen tollen Mama-Rat." Ich lächle in mich hinein. „Okay." Also erzähle ich. Von der Fake Beziehung, von mir und Henri, von mir und Fynn und von gestern Abend.
„Bin ich ein schlechter Mensch?"
„Nein, meine Maus", Mama streichelt mir über die Haare, rutscht neben mich und wartet. Ich weiß, dass sie will, dass ich ihr von selbst erzähle, was das war. Also hole ich tief Luft und erzähle. Ich erzähle von dem Tag, an dem Fynn und ich uns angefreundet haben, dem Tag, an dem Henri zum ersten Mal mit mir geredet hat und dem Tag, an dem Fynn und ich beschlossen, unserem Glück durch eine Fakebeziehung etwas auf die Sprünge zu helfen. Und dann ende ich mit dem gestrigen Abend.
Natürlich schildere ich ihr nicht Henris Kuss. Ich glaube, das geht nur mich was an- und höchstens noch Mandy.
„Irgendwie fühlt es sich so an, als hätte Fynn sich wirklich von mir getrennt...", ich kaue mir auf der Lippe herum. „Aber das macht doch keinen Sinn! Ich bin doch in Henri verliebt und alles sollte gut sein. Warum fühlt es sich dann trotzdem so mies an?"
Mama nimmt mich in den Arm. Draußen beginnt es zu regnen. Schwere Sommerregentropfen klatschen gegen mein Fenster und bilden Rinnsale, deren Verlauf ich beobachte, bis sie hinter dem weißen Fensterrahmen verschwinden. „Ich glaube, dass du und Fynn euch nun mal nicht egal seid. Ich glaube ihr solltet euch aussprechen.", sagt meine Mutter nachdenklich. „Was ist eine Fakebeziehung aber auch nur für eine Idee?!"Leise prustet Mama in mein Haar. „Das hast du doch bestimmt wieder aus irgendeinem Buch, Maus." Da hat sie gar nicht mal so Unrecht. „Geh doch mal bei Gelegenheit zu ihm hinüber und schaue, ob ihr nicht wieder Freunde sein könnt. Ich bin mir sicher das renkt sich wieder ein. Ihr seid doch noch jung."
„Aber warum muss ich den Anfang machen?", protestiere ich. Mich hindert nicht nur mein Stolz, sondern auch Hochmut. „Ich meine, eigentlich ist doch alles gut. Ich frage mich nur, ob sich das nicht eigentlich besser anfühlen sollte."
Mama schaut ebenfalls raus in den Regen.
„Mama! Ich habe dir doch gesagt, dass Henri und ich jetzt zusammen sind! Naja, ich glaube das zumindest."
Mama kneift mich liebevoll in die Wangen. „Am liebsten würde ich Papa erzählen, dass du jetzt einen richtigen Freund hast! Wenn du was brauchst, falls ihr irgendwann..."
„Mama!"
„Ist ja gut. Ihr Teenager seid doch alle gleich! Sieh zu, dass du das mit Fynn weder hinbekommst."
Mama verlässt zwinkernd mein Zimmer und ich starre grübelnd aus dem Fenster in den Regen. Ich sollte mich wunderbar fühlen. Absolut wunderbar und verliebt. Aber Fynns und mein Streit lässt mir keine Ruhe. Vielleicht soll ich wirklich rübergehen? Was soll ich sagen? Nachdem ich ein paar Minuten lang hoffnungslos gegrübelt habe, raffe ich mich auf. Ich gehe hinunter und streife mir einen Regenmantel über. Dann schlüpfe ich in meine braunen Clogs und verlasse das Haus. Vorsichtig versuche ich, nicht in die Regenpfützen vor dem Haus zu treten. Ich klingele bei Fynns Familie und warte nervös darauf, dass mir geöffnet wird. Fynns Mutter öffnet mir. „Hallo, Nicole. Willst du zu Fynn?"
„Ja bitte."
„Der ist gerade nicht da. Bei so einer Mitschülerin. Joana oder Janine oder so. Soll ich ihm etwas ausrichten?"
„Jasmin.", murmele ich.
„Stimmt, so war der Name! Möchtest du hier auf ihn warten?"
„Nein danke. Ich komme ein Andermal wieder. Auf Wiedersehen."
Fynns Mutter zuckt mit den Achseln und verschwindet wieder im Haus. Etwas niedergeschlagen stapfe ich zurück nach Hause. In dem Moment tut sich der Himmel auf und der Regen gießt in Strömen auf mich herab. Schnell beeile ich mich, wieder nach Hause zu kommen. Als ich in mein Zimmer komme, sehe ich Fynns Päckchen auf dem Nachttisch liegen. Ich beschließe, es noch nicht zu öffnen. Ich schiebe das, in buntes Papier eingewickelte Päckchen hin und her. So lange, bis mein Handy piepst. Es ist Henri, der mir ein Foto von sich schickt, wie er in die Kamera lächelt. „Hi, Hübsche"
Ich unterdrücke ein Grinsen. Ich richte meine Handykamera auf mich und drücke ab. Hm. Das sieht blöd aus. Nach ein paar Versuchen habe ich ein passables Selfie geschossen, auf dem ich in die Kamera grinse. Bevor ich es mir anders überlegen kann, schicke ich es ab.
Ich warte nervös auf seine Reaktion. Was, wenn er das Bild albern findet?
Ich kaue auf meiner Unterlippe herum und drehe das Handy in meinen Händen.
Endlich piepst es. Schnell lese ich, was er geschrieben hat.„Jetzt kann ich nicht mehr klar denken. Willst du zu mir kommen?"
Beinahe lasse ich mein Handy fallen. Am liebsten würde ich durch mein Zimmer tanzen.
„Am Montagnachmittag im Kino?"
Meine Antwort wird ein Smiley.
Nach ein paar Minuten, ich räume gerade unruhig mein Bücherregal um, klingelt es erneut. Ich stürze wieder an mein Handy. „Kann es kaum erwarten", lese ich und strahle wie ein Honigkuchenpferd.
Fynn und der gestrige Abend sind fast vergessen. Nur ab und zu starre ich zu ihm herüber und frage mich, wo er ist und ob er mir irgendwann verzeiht.
Irgendwann hoffentlich...Abends, als ich durch mein Zimmer tappe und durch meine Playlist auf dem Handy zappe, nehme ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr. Nervös husche ich zum Fenster.
Fynn ist gerade in sein Zimmer gekommen. Neben ihm steht Jasmin, ein Plakat in der Hand, und sieht sich darin um.
Ich verstecke mich hinter dem Vorhang und linse durch das Fenster.
Jasmin breitet das Plakat auf seinem Bett aus, lacht und zeigt auf etwas darauf. Fynn beugt sich auch darüber, sagt was und lächelt sie an.
Das ist der Moment, in dem ich mich für ihn freuen sollte, doch ich kann es nicht. Im Gegenteil. Es tut verdammt weh. In Nullkommanix habe ich das Fenster geschlossen und so auch Jasmin und Fynn aus meinem Blickwinkel ausgeschlossen, bevor sie mich sehen.
Nicht einmal auf mein Buch kann ich mich konzentrieren, fahre nervös mit den Fingern über das raue Papier und schlafe irgendwann erschöpft ein.
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Liebe sieht aus wie eine Wolke (Band 1) ✔️
Teen FictionDie fast 16-Jährige Schwedin Nicole lebt ihr Leben eher in Büchern als im Real life. Ansonsten hätte sie ihren Schwarm Henri längst angesprochen. Doch der hat mittlerweile eine Freundin... Als der 16 Jährige Fotografienerd Fynn das Haus neben Nicol...