Kapitel 27 ~ Yes, I love you

148 12 0
                                    

Der Bahnhof befindet sich dreißig Fußminuten von meinem Haus entfernt im Stadtzentrum von Stockholm. Ihn ziert eine große Glaskuppel, durch die die Sommersonne auf die Bahngleise scheint. Nervös trete ich von einem Fuß auf den anderen. Es ist neun Uhr dreißig und um zehn Uhr kommt der Zug vom Flughafen hier an. Ich bin aufgeregt, weil ich Henri wiedersehe.
Die Zeit vergeht quälend langsam und der Bahnsteig füllt sich mit der zeit immer mehr mit Leuten, die ihre Geliebten aus den Ferien abholen wollen. Nach einer gefühlten Ewigkeit rollt der Zug auf den Gleisen herein. Mein Herz klopft, als würde eine Horde Elefanten durch meinen Körper galoppieren. Der Zug kommt zum Stehen und die Türen öffnen sich. Familien mit Kindern, ältere Ehepaare, Alleinreisende und Teenager kommen heraus, begrüßen ihre Verwandten und machen sich auf den Heimweg. Ich halte Ausschau nach einem großen Jungen mit braunen Haaren und hübschen dunklen Augen, den ich aber nicht entdecke. Das Gleis leert sich und es kommt kein Henri. Nach ein paar Minuten wird mir klar, dass der Zug leer ist und niemand mehr herauskommen wird.
Wo steckt Henri bloß? Habe ich mich in der Zeit oder der Zugnummer geirrt? Ich krame mein Handy hervor und rufe den Screenshot von der Homepage des Bahnhofes auf. Die Zeit, die Zugnummer und das Gleis stimmt. Ich habe alles richtig gemacht. Naja, nur, dass ich wohl das falsche richtig gemacht habe. Enttäuscht mache ich mich auf den Rückweg.
Vielleicht ist Henri bereits zuhause und ich habe ihn nur nicht gesehen.
Ich durchquere die Halle zurück zu meinem Fahrrad, als ich eine Stimme meinen Namen rufen höre. Ich drehe mich um, um zu sehen, wer mich ruft. Da steht Henri, neben sich seinen Koffer und lächelt mich schief an.
„Was machst du denn hier, Nic?"
„Ich wollte dich abholen, aber du warst nicht da", antworte ich kleinlaut. Seine Haare sind ein wenig verwuschelt und seine dunklen Augen blitzen vergnügt. „Unser Zug ist schon vor zwei Stunden angekommen. Du hast doch wohl nicht immer noch die falsche Uhrzeit eingestellt?" Kleinlaut vergleiche ich die Anzeige meiner Armbanduhr mit der der großen Bahnhofsuhr. Tatsächlich geht meine Uhr zwei Stunden nach. Das kann doch nicht wahr sein! Ich habe die Uhr seit dem Morgen, an dem ich zu spät zur Schule kam, nicht mehr getragen. Und somit habe ich vergessen, dass ich sie noch umstellen wollte. Warum ist mir das nicht aufgefallen? Kleinlaut und zerknirscht schaue ich zu Henri hoch.
„Woher weißt du, dass ich hier bin?"
„Fynn hat mir geschrieben, dass ich lieber zwei Stunden warten soll, weil du bestimmt vergessen hast, deine Uhr umzustellen. Und das habe ich auch gemacht. Das Team ist bereits weg."
Mit offenem Mund starre ich Henri an. „Fynn?"
Henri zuckt mit den Schultern. „Er scheint dich gut zu kennen. Immerhin hatte er Recht."
„Es tut mir so leid", murmele ich kleinlaut. Warum passiert immer mir so etwas? Ich glaube ich sollte mich bei Fynn bedanken, später, wenn ich ihn wiedersehe.
Henri überwindet endlich den letzten Zentimeter zu mir und beugt sich zu mir. „Ich habe dich vermisst, Nicole."
Ich antworte nicht, weil ich keine Worte finde. Ich bin viel zu aufgeregt, was jetzt kommt. Wird er mich küssen? Henri schaut mich an, als gäbe es nichts schöneres auf der Welt als mich. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ausgerechnet Henri, mein heimlicher Traum seit Kindertagen, mit mir zusammen sein will. Es fühlt sich unwirklich an und zugleich echt. Ich weiß nicht, was ich will, ob ich mich wirklich traue, seine Freundin zu sein, jetzt, wo er wieder in Schweden ist. Es fühlt sich zugleich neu und vertraut an, als er sich zu mir beugt.
Ich weiß nicht, wie lange das hier anhalten wird und was mich noch erwarten, aber ich überwinde den letzten Zentimeter und küsse ihn mitten in der großen Bahnhofshalle des Hauptbahnhofes von Stockholm, während viele Menschen an uns vorbeiziehen, als wären wir in einem Liebesfilm.
Vielleicht ist das Leben ein Liebesfilm und mir wird erst jetzt so wirklich klar, dass ich auch will, dass Henri darin die Hauptrolle spielt. Henri und ich. Ich und Henri. Mir ist egal, wie lange das anhält und ob wir zusammengehören aber ich will es ausprobieren. Er löst sich von mir und grinst mich verschmitzt an. „Lass uns nach Hause gehen. Meine Großmutter hat Kuchen gebacken. Und meine Eltern wollen meine Freundin kennenlernen."
„Bin ich deine Freundin?"
„Willst du denn meine Freundin sein?" Natürlich will ich das! Mein Herz klopft wie verrückt. Zugleich habe ich aber auch ein wenig Angst davor, zusammen zu sein. Wie wird das sein? Werden wir uns am Ende aus den Augen verlieren? Werden wir uns irgendwann trennen?
Ich weiß es nicht. Aber genau das ist der Grund, warum ich es einfach ausprobieren will.
Als Antwort ziehe ich seinen wuchtigen Koffer in Richtung des Haupteingangs. „Du schuldest mir was. Was hast du denn alles da drin?!"
Lachend folgt er mir durch den Haupteingang in die warme Sommerluft Stockholms.

(Band 2 folgt...)

Liebe sieht aus wie eine Wolke (Band 1) ✔️ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt