29. Kleine, zarte Schwalbe

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Der nächste Morgen ist herrlich. Heute verspüre ich tatsächlich keine Schwindelgefühle wegen des Giftes mehr, also muss es wohl vollständig neutralisiert sein. Na endlich.

Des Weiteren wache ich in Olgierd von Everecs Armen auf. Im Schlaf habe ich mich zur Seite gedreht und er hat mir einen Arm unter den Kopf geschoben, der andere drückt mich an ihn. Zugegeben, er riecht wie eine Kneipe, aber das ist schon okay.

Der dritte Grund, warum dies so ein herrlicher Morgen ist lautet, dass Olgierd mir, wenn er aufwacht, nüchtern erzählen kann, was in dieser Höhle genau passiert ist. Ich habe ihm gestern Abend angesehen, dass er sich trotz des Alkoholeinflusses sehr angestrengt hat, mir alles wichtige mitzuteilen. Dass das in so einem Zustand klappt ist nämlich gar nicht mal gesagt.

Ciri soll also eine Zeitreisende sein...und eine Hexerin noch obendrein. Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Wenn Olgierd wach ist, werde ich ihn fragen, ob das wirklich wahr ist. Wer weiß, vielleicht war er ja auch so betrunken, dass er Ciri mehrere Male vor sich hat stehen sehen.

Doch andererseits...er hat auch behauptet, Ciri hätte die charakteristischen Hexeraugen gehabt. Schlitzförmige Katzenaugen. Oder hat Olgierd während er getrunken hat nur ein kurzer Nickerchen eingelegt und all das geträumt?

Wenn Ciri wirklich in der Lage ist, die Kräuterprobe zu bestehen dann brechen wir heute noch auf. Hexerin zu werden ist momentan ihr größter Wunsch, und ich schaffe es eigentlich kaum, ihn ihr auszuschlagen.

In dem Versuch, Olgierd nicht zu wecken, klettere ich vorsichtig aus dem Bett und strecke mich. Ach, was hab' ich mich wenig bewegt in den letzten Tagen. Es wird Zeit, mal wieder das Schwert zu schwingen und ein paar Monster zu schlachten.

Aber zuerst wird gebadet und der Bart wieder in Form gebracht.

Nachdem das erledigt ist und ich nur mit einem Handtuch um den Hüften zu Olgierd zurückkehre, liegt dieser wach im Bett und hat die Hände unter dem Kopf verschränkt. Als er mich sieht, pfeift er.

„Nicht schlecht, Meister Hexer!"

Ich lache auf. „Ach, sei bloß still."

Er sieht nicht weg, als ich mich wieder ankleide und nach einer gefühlten Ewigkeit die Rüstung wieder anlege.

„Gefällt dir, was du siehst?"

„Hmm...kann ich nicht abstreiten," murmelt er, während er mich betrachtet. Aber ich muss zugeben, das mir das gefällt. Olgierd zu gefallen ist fantastisch.

„Also gehts dir wieder besser?" fragt er dann und kommt langsam auf mich zu. Seine Augen leuchten.

„Ging mir nie besser," antworte ich und beobachte ihn dabei, wie er auf mich zukommt wie ein stolzer Adeliger, obwohl er nichts als seine Unterhose trägt. Dieser schöne, schöne Kerl. Ich kann gar nicht anders, als die Hände zu heben und sie seinen Körper erforschen lassen. Er ist gut gebaut, stählerne Muskeln überziehen ihn, seine sinnlichen Lippen finden meine. Er beißt mir in die Unterlippe und zieht sanft daran, wir geben uns dem Kuss hin.

„Darauf habe ich gewartet, Hexer," seufzt er, und ich ziehe ihn fest an mich.

„Ganz meinerseits," gebe ich zurück und erneut verschmelzen wir in dem Kuss, durch den die nächsten sinnlichen Minuten vergehen wie in einem Rausch. Dann zieht Olgierd eine sanfte Spur aus kleinen Küssen meinen Hals hinab und ich erzittere unter der Berührung.

Die Jacke, die zu meiner Rüstung gehört reißt er einfach wieder herunter von mir und führt seine Spur aus Küssen an meinem Schlüsselbein fort.

Als ich beinahe glaube, den Verstand zu verlieren, lässt er von mir ab, und das bringt mich noch weiter an den Rand der Verzweiflung.

Ein strahlendes Lächeln, dass die dunkle Nacht zum Leuchten bringen könnte, legte sich auf seine Lippen.

„Das freut mich sehr," antwortet mir nun und küsst mich erneut.

Olgierds Kuss ist jenseits von den vorsichtigen Küssen, mit denen wir angefangen haben. Dieser Kuss ist jenseits von aller Schüchternheit oder Zurückhaltung. Er ist voll verzehrender Sehnsucht, Leidenschaft, Verlangen.

Liebe.

Zu meiner Verwunderung sitzt Ciri tatsächlich im Rosmarin und Thymian an einem Tisch und starrt in ihren Tee, so wie Olgierd es erzählt hat. Versucht sie wirklich, die Geheimnisse der Zeit zu ergründen?

Auf dem Weg hierher erzählte Olgierd mir noch einmal seine Geschichte von den Ciris aus der Zukunft. Dieses Mal nüchtern.

„Sie hatte Augen wie du. Hexeraugen. Ich habe es gesehen, Geralt. Sie altert langsam wie wir beide, es ist bereits passiert. In der Zukunft ist sie hundertprozentig Hexerin. Ich habe sie in verschiedenen Abschnitten ihres Lebens gesehen. Geralt, sie hat mich als ihren Vater bezeichnet."

Ich habe verträumt in den Himmel gesehen, und Olgierd fragte:"Alles in Ordnung?"

„Ciri als Hexerin mit zwei Vätern...die Vorstellung gefällt mir. Aber ich habe trotzdem Angst um sie. Ich weiß, dass Zeitlinien durchbrechbar sind. Es gibt eine Möglichkeit, die Zukunft zu ändern. Keine Ahnung, wie das funktionieren soll geschweigedenn wie ich es vor vier Jahren geschafft habe...aber ich kann sie nicht einfach der Kräuterprobe unterziehen. Das ist schrecklich. Grausam. Es fühlt sich an, als zerbarst dein Körper, es ist die Hölle. Ich kann ihr das nicht antun. Schon gar nicht wenn ich weiß, dass es schiefgehen könnte weil wir irgendwie die Zeitlinie verändern."

„Du liebst sie wirklich sehr," stellte Olgierd fest, ich konnte nur nicken.

Jetzt sitzt sie da und springt auf, als sie uns sieht.

„Geralt! Oh Geralt!" ruft sie und hechtet auf mich zu, schließt mich stürmisch in die Arme. „Du bist wieder gesund!"

Ich hebe sie hoch und drehe mich um mich selbst, Ciri kreischt vor Glück.

Sie begrüßt auch Olgierd grinsend, sie schlagen lässig die Hände ein, als seien sie alte Freunde. Ciri scheint sich gut mit ihm zu verstehen. Olgierd sagte, sie habe auch ihn einen Vater genannt...

Grübelnd setzen wir uns.

„Ich hätte dich besucht, Geralt, aber Avallac'h..." erklärt sie dann und verzieht missmutig das Gesicht. Ich winke ab. „Mach dir keine Gedanken. Ich habe sowieso die meiste Zeit verschlafen."

Eine Bedienstete bringt uns ein Frühstück, mal wieder auf Rittersporns kosten. Aber so oft wie ich ihm in seinem Leben schon den Arsch gerettet habe, geht das schon klar. Jedenfalls hat Rittersporn sich noch nie beschwert. Obwohl es noch morgens ist, geht es im Rosmarin und Thymian schon wieder hoch her. Ich höre grölende Kerle, beim Gwint bescheißende Zwerge, höhnendes, dreckiges Gelächter, zersplitternde Gläser...

Aber all das rückt schnell in den Hintergrund, während meine Gedanken mich einholen. Alles wird leise um mich herum, als ich mir eine Ciri mit Hexeraugen vorstelle.

Die Kräuterprobe...sie wurde ewig nicht mehr durchgeführt. Das letzte Mal, als wir Avallac'h von diesem grässlichen Fluch befreiten. Und das war auch nur eine halbe Kräuterprobe. Sie wurde nicht vollständig durchgeführt. Ob der alte Vesemir das gutheißen würde?

Ich habe Angst um Ciri. Sie ist eine Frau, noch nie wurde eine Frau dieser Prozedur unterzogen. Schon gar nicht in diesem Alter. Die Kräuterproben werden an Kindern durchgeführt, an kleinen Jungs, die noch im Wachstum sind. Ihre Körper sind leichter zu formen. Aber wie ist es um eine junge Dame bestellt? Um meine kleine Schwalbe? Was, wenn es sie zerbricht? Das würde ich mir nie verzeihen.

Yennefers Verlust war schon heftig genug. Wir alle, die Loge der Zauberinnen, Zoltan, Roche, Avallac'h, wir sind sowieso alle nur knapp mit dem Leben davongekommen, als wir gegen die Wilde Jagd antraten. Vesemir starb, als wir Ciri beschützten. Wir haben sie mit allem was wir hatten beschützt, und jetzt soll ich ihr Leben so leichtfertig auf's Spiel setzen?

„Hallo? Erde an Geralt?"

Ich schrecke auf. Ciri lacht, Olgierd grinst nur in seinen schwarzen Kaffee.

„Alles klar?"

„Ich...muss mal an die Luft."

Mit den Worten stehe ich auf und gehe hinaus.

Die Seelen der HexerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt