Kapitel 8

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"Heute ist dein letzter Tag als Mensch. Möchtest du irgendwas besonderes unternehmen?"
Tiranda hatte sich neben mich an den Speisetisch gesetzt. Am anderen Ende der Tafel saßen sonst nur noch Thranduil und Legolas. Ich weiß auch nicht, warum ich mich nicht zu ihnen gesetzt hatte. Wahrscheinlich wegen des kalten Blickes des Königs.
"Ich weiß nicht.", murmelte ich. Doch dann fiel mir doch noch etwas ein.
"Gibt es hier eine Bibliothek?", fragte ich die Elbe. "Ja, wenn du gerne dort hin möchtest. Sie liegt ganz weit oben."
Nachdem ich zu Ende gegessen hatte, machten wir uns auf den Weg zur Bibliothek des Waldlandreiches. Allmählich hatte ich mich an das viele Treppen steigen gewöhnt. In den obersten Gemächern des Palastes machten wir halt und Tiranda öffnete eine schwere Tür aus Holz und Bronze.
In den Saal flutete Sonnenlicht. Es gab mehrere Zugängen zu dem Zimmer. Wir waren nicht die Einzigen. Überall tummelten sich Elben zwischen den Bücherregalen, die bis zur Decken reichten.
Gemeinsam schlenderten wir hindurch. Tiranda wurde hier und da begrüßt, ich allerdings nur merkwürdig angesehen.
"Suchst du etwas bestimmtest, dann könnte ich dir helfen.",meinte Tiranda. Ich zögerte:"Ich suche Aufzeichnungen zu den Symbolen der Elben." Tirandas Augen weiteten sich, doch dann lächelte sie."Also das hat dir Legolas gestern Abend gezeigt. Die Lichtung."
Sie überlegte kurz, dann eilte sie auch schon zwischen den Regalen umher. Ich konnte nur da stehen und zusehen.
Nach kurzer Zeit kam die Elbe mit einigen Büchern und Pergamentrollen zurück. Wir setzten uns an einen kleinen Tisch.
Tiranda sah mich von der Seite an." Was möchtest du denn wissen?" Ich musste nicht lange überlegen:" Alles."
Sie seufzte und machte sich daran, das erste Buch zu lesen.
Ich öffnete eine Pergamentrolle und überflog mit den Augen den Text. Das meiste, was dort stand, wusste ich schon und den Rest verstand ich nicht. Wie so ziemlich alles, was hier passierte.
Tiranda tauchte nach langer Zeit aus ihrem Buch hervor:" Wenn du etwas über die Entstehung der Symbole wissen möchtest, dann würde ich dir das hier empfehlen.", sagte sie und reichte mir ihr Buch. Ich schlug es auf und begann zu lesen:' Die Glückssymbole sind bis heute ein ungeklärtes Mysterium. Woher sie stammen, wissen nur die ältesten Elben. Viele in Mittelerde gehen davon aus, dass die Symbole dazu dienen, den Elben Dinge vorherzusagen. Doch das ist nicht bestätigt. Es könnte sich auch einfach um eine alte Tradition handeln'
Ich schaute Tiranda an. Diesem Buch zu folge, waren die Symbole sinnlos. Meine Mutter hatte sich umsonst aufgeregt.
"Was hältst du davon?",fragte ich die Elbe.
"Ich weiß es nicht, ehrlich. Bis jetzt habe ich an so etwas nicht geglaubt."
"Welches Symbol bist du?", fragte ich sie.
"Lilie. Du weißt schon, diese kelchförmige Blume."
Ich nickte. Wollte ich mich weiter damit beschäftigen? Es gab wichtigere Dinge. Doch da kam mir eine Idee. "Ich könnte doch mal mit Thranduil reden. Er ist schließlich schon sehr alt." Tiranda schüttelte den Kopf:" Ich glaube, er würde dir nichts erzählen. Er traut dir nicht. Aber so war schon immer. Zu jedem."
"Wahrscheinlich sogar zu seinem eigenen Sohn. Legolas hat wirklich Pech mit seinem Vater." Ich starrte auf die Tischplatte." Kein Wunder, wenn Legolas da weg geht. Für ein ganzes Jahr.
Tiranda lachte. Ich konnte es nicht fassen. Was war daran lustig? Doch Tiranda stand auf, ging zum nächsten Bücherregel und zog ein Buch heraus. Es war dick und ziemlich verstaubt.
"Du irrst dich. Thranduil liebt seinen Sohn, mehr als alles andere. Nur er zeigt es nicht nach außen, weil er seinen Liebe für eine Schwächen hält. Du darfst es niemandem zeigen, noch nicht einmal Legolas."
Sie schlug das Buch auf. Der Einband war an einer Ecke leicht umgeknickt. Tiranda knickte die Ecke weiter um und zog einen Zettel hervor. Das beste Versteck, was ich je gesehen hatte. Dort hätte ich nie etwas vermutet.
Sie reichte mir den Zettel. Es war eine Zeichnug. Ich erkannte Thranduil, der einen kleinen blonden Elbenjungen in den Armen hielt. Der Junge schlief.
Ich konnte es nicht glauben. "Ist das etwa..."
Die Elbe lächelte ganz leicht:"Thranduil hat nach all der Zeit vergessen, wie sehr er seinen Sohn liebt. Legolas Gefühle wurden dadurch verstümmelt. Er nie richtig erfahren, was Liebe ist. Diese Zeichnung hab zufällig gefunden und hier versteckt."
"Aber er hat sich mit Gimli angefreundet und mit dir.", erwiderte ich. Ich wollte das alles nicht glauben.
"Ein paar lockere Freundschaften hat er schon, aber aus tiefster Seele geliebt hat er noch niemanden. Und daran ist allein Thranduil schuld."
Sie sah wütend und traurig zugleich aus.
"Ich glaub, wir sollte gehen. Darf ich die Zeichnung behalten?" Tirandas Züge entspannten sich ein wenig. "Wenn du sie niemandem zeigst, dann darfst du sie haben."
Ich nickte und erhob mich:"Ich muss jetzt los. Legolas wartet sicher schon auf mich." Ohne Tirandas Antwort abzuwarten, rannte ich in Richtung Haupttor, die Zeichnung sicher in der Tasche verstaut.
Der Elbenprinz wartete wie üblich neben seinen Wachen. Seinen Mine war steinhart, sodass ich nicht erkennen konnte, an was er gerade dachte. Wenn es stimmte, was Tiranda gesagt hatte, warum war dann so nett zu mir gewesen. Als ich bei angekommen war, nickte er mir nur kurz zu und ging mit großen Schritten hinaus. Als wäre nichts gewesen.
Verwundert stolperte ich ihm hinter her. Eine gefühlte Ewigkeit kletterten wir im Geäst des Waldes umher, ohne ein Ziel und ohne Rast. Langsam kam ich wirklich aus der Puste.
Endlich drehte sich Legolas um und sah mich an. Ich starrte verärgert zurück:"Was soll das? Ständig führst du mich durch die Gegend ohne eine Erklärung."
"Morgen bist du bei den Wachen dabei und das bedeutet jeden Tag eine morgendliche Patrouille. Du wirst einige Kraft dafür benötigen. Ich wollte dich nur darauf vorbereiten."
Wirklich sehr freundlich, der Herr.
"Danke, aber ich brauche deine Hilfe nicht!", sagte ich giftig und drehte ihm den Rücken zu. Doch das war ein Fehler.
Legolas schleuderte sich von seinem Ast und landete vor mir.
"Dann wollen wir mal sehen, was du von gestern im Gedächtnis behalten hast.", meinte er und zückte sein beiden Messer. Mit langsamen Schritten kam er auf mich zu.
Ohne zu zögern, zog ich auch meine Messer aus der Scheide.
Die Wut auf meinen Paten gab mir Kraft:" Von mir aus."
Ich holte mit voller Wucht aus und dachte schon, ich hätte ihn getroffen. Doch der Elb wich geschickt aus und trat mir heftig in den Bauch. Vor Schmerz krümmte ich mich zusammen und viel beinah vom Baum. Doch ich fing mich rechtzeitig, denn Legolas' Messer sausten haarscharf an meinem Kopf vorbei.
Würde das ein Kampf um Leben und Tod werden?
Ich sprang einen Ast tiefer, natürlich dicht gefolgt vom Elbenprinz. Weglaufen konnte ich nicht, das sah ich ein. Mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, ging ich zum Gegenangriff über. Mit einer gleichgültigen Leichtigkeit packte mich Legolas am Arm und schleuderte mich herum.
Aber diesmal war ich vorbereitet. Mein linkes Bein schoss nach vorne und traf meinen Paten am Rücken. Sofort lies Legolas meinen Arm los und kippte nach vorne. Gerade wollte ich ein zweites Mal zutreten, da rollte er sich vom Ast und krachte auf den Boden.
War ich zu weit gegangen. Voller Sorge ihn verletzt zu haben, sprang ich ebenfalls auf den Boden. In diesem Moment rappelte sich Legolas wieder auf die Beine. Es war nur eine Täuschung gewesen. Ich war zu erstaunt, um zu handeln. Also warf sich der Elb auf mich und schnitt mir gleichzeitig die Hand auf. Augenblicklich lies ich mein Messer fallen und Legolas trat es in einen Busch. Er wand sich nun wieder mir zu, sein weiße Messer an meiner Kehle.
In meinen Augen brannten Tränen." Warum tust du das? Ich dachte, du wolltest mir helfen!" schluchzte ich. Mir war egal, dass ich schwach wirkte. Schließlich war ich es auch. Legolas Augen starrten mich an. Eisblau. Manche Leute sagen, dass die Augen die Fenster zur Seele sind. Ab diesem Moment glaubte auch ich daran.
Plötzlich war jede Verzweiflung in mir verschwunden und kalter Hass breitete sich in mir aus. Mit einem energischen Schups drückte ich das Messer von meiner Kehler, schenkte Legolas einen letzten kühlen Blick und stürzte mich in die Dunkelheit des Waldes. Noch lange spürte ich Legolas' Blick im Nacken, doch ich drehte mich nicht mehr um.

IsmeneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt