Kapitel 11

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Ich spürte harten Boden unter mir. Noch sehr benommen setzte ich mich auf. Alles war wieder wie vorher. Kein weißes Licht, keine bunten Farben und kein Zittern. Und trotzdem fühlte ich mich ganz anders als vorher. Irgendwie leichter, als könnte der kleinste Windstoß mich davon wehen. Aber auch stärke, nicht mehr so schutzlos.

Ich sprang auf die Füße. Auf einmal nahm ich jede kleine Bewegung war. Ich stellte mich an das Geländer der Terrasse und schaute in die Tiefe. Unten im Wald konnte ich eine Maus sehen, die im Laub wühlte. Es war eine Entfernung von mindestens 20 Metern.

All meine Sinne waren geschärft. Es war, als wäre ich mein ganzes Leben blind herum gelaufen. Erst jetzt sah ich die Welt richtig. Wie ein kleines Kind hüpfte ich durch die Gegend und machte mir einen Spaß daraus, die Wassertropfen auf dem Geländer, viele Meter vor mir zu zählen.

Doch dann fiel mir ein, dass unten im Palast alle Elben darauf warteten, dass ich wieder herunter kam. Geschwind lief ich zur Treppe und schwebte sie beinah hinunter. Ohne Vorwarnung warf sich Tiranda um meinen Hals. Früher wäre ich sicher umgefallen.

"Oh, Ismene, lass dich ansehen. Jetzt kannst du nicht mehr bestreiten, dass du deiner Mutter nicht ähnlich siehst. Du bist so wunderschön!"

Tiranda musste fast schreien, so laut war es im Saal. Alle Waldelben hatten ihre Plätze verlassen und kamen auf mich zu, die Hände voll mit Blumen. Sie reichten mir ihre Sträuße und gratulierten mir noch ein Mal.

Thranduil bahnte sich eine Weg durch die Menge. Mit einem Lächeln, welches dies mal nicht ganz so kalt wirkte, überreichte er mir ein Päckchen.

Etwas schüchtern lächelte ich zurück:" Warum bekomme ich Geschenke?"

Thranduil runzelte die Stirn. "Heute ist doch dein Geburtstag, oder nicht? Es ist nur eine Kleinigkeit."

Ich öffnete die Schachtel. Darin lag ein Haarreifen, aus vielen goldenen Bänder und Blumen aus Edelsteinen geflochten. Es war gewiss keine Kleinigkeit. Vielleicht für den reichen König.

"Danke.", sagte ich freundlich.

"Ich habe auch etwas für dich.", meinte Tiranda ganz aufgeregt. Sie hielt mir einen kleinen silbernen Rahmen hin, in dem ein Bild steckte. Ein Bild von Arwen, Aragorn, Frodelos und mir. Meine Familie. Jetzt merkte ich wieder schmerzlich, wie sehr ich sie vermisste.

"Vielen Dank, Tiranda! Es ist wunderschön!"

Tiranda lachte:" Ich wusste, es würde dir gefallen."

Thranduil klatschte energisch in die Hände:" Und nun wollen wir essen! Wo bleiben die Speisen?!"

Alle setzten sich wieder an die Tafel, als sich plötzlich jemand aus der Menge löste und auf mich zu kam. Legolas. Er war also nur zu spät gekommen.

Mit aller Kraft versuchte ich ihn möglichst böse anzufunkeln.

" Oh, der Herr ist auch noch eingetroffen! Es wundert mich ehrlich, dass du überhaupt kommst."

Ich wollte mich schnell an ihm vorbei schlängeln, da hielt Legolas mich zurück.

"Bist du jetzt immer so unfreundlich oder nur zu mir. Wahrscheinlich willst du noch nicht mal mein Geschenk annehmen."

Er reichte mir einen Gegenstand, der in ein Tuch eingewinkelt war. Während ich es auswinkelte, betrachtete Legolas mich von Kopf bis Fuß.

In dem Tuch lag ein schöner Dolch mit einem silbern-grünen Griff. Er gefiel mir und trotzdem blieb ich stur:" Soll ich damit Selbstmord begehen oder stiehlst du ihn bald und erledigst mich selbst?"

Das war natürlich nicht besonders nett.

Legolas Augen wurden zu schmalen blauen Schlitzen und sofort tat es mir leid.

"Wenn er dir nicht gefällt, wirf ihn einfach in den nächsten Graben. Er ist ja auch kein Einzelstück und nicht extra für dich angefertigt worden."

Mit diesen Worten ließ mich Legolas stehen und setzte sich an die Tafel, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen.

Trotz allem ging ich mit erhobenem Kopf zu meinem Stuhl neben dem König. Ich konnte es allerdings nicht vermeiden, Legolas noch ein paar mal anzusehen. Doch der Elb schien sehr mit dem Salat beschäftigt zu sein. Also häufte ich mir auch riesige Mengen an Essen auf den Teller. Und wie immer verschlang ich sie in wenigen Bissen. Das tat ich vor allem, wenn ich traurig war.

Während des gesamten Essens hatte ich Gewissensbisse. Vielleicht war das Geschenk wirklich lieb gemeint. Und ich hatte es vermasselt. Legolas würde mir wohl jetzt nicht mehr vertrauen.

Ismene, du bist so ein Narr, dachte ich die ganze Zeit.

Als die Nacht schon weit fortgeschritten war, konnte ich endlich auf mein Zimmer gehen. Dort schaute ich als aller erstes in den großen Spiegel. Tiranda hatte recht gehabt.

Meine feinen Gesichtszüge waren gleich geblieben, aber sonst hatte sich so viel verändert. Mein Haut war noch bleicher als vorher, mein Haarlänge hatte sich verdoppelt und meine Locken waren nicht mehr so ungebändigt. Außerdem leuchteten meine Augen in grün-blau und ich musste gewachsen sein. Mein Kleid saß nun perfekt an meinem immer noch zierlichen Körper.

Das wichtigste hatte ich beinah vergessen. Vorsichtig strich ich meine Haare nach hinten. Mit einem kleinen Lächeln betrachtete ich meine spitzen Ohren. Sie gefielen mir.

Mit einem langen Seufzen legte ich mich in mein Bett. Es hätte alles so gut werden können. Doch ich musste mal wieder so stur sein. Mit einem letzten Blick auf den Dolch von meinem Paten schlief ich ein.

Ich hatte in dieser Nacht einen sehr merkwürdigen Traum.

Ich sah, wie eine dunkle Gestalt im Düsterwald umher huschte. Sie lief auf die Lichtung mit den Abendsternen. Im Licht der Blumen erkannte ich, dass es Legolas war. Er bückte sich und pflückte eine der weißen Blüten. Ihr Licht erleuchtete sein Gesicht. In seinen Augen glitzerten Tränen,während seine Finger die Blüte streichelten.

Ich wünschte, ich hätte das alles nicht gesehen.

IsmeneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt