City Stroll

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Wie immer hatten Kings Köche sich selbst übertroffen. Verdammte Axt, wer hätte gedacht, dass er noch einmal Waffeln essen würde? Wie immer sättigte die Nahrung nicht, aber bei Gott, es war lecker. Die Zwillinge legten eine ähnliche Begeisterung an den Tag – ihnen mochte es an Armen fehlen, doch mit Sicherheit nicht an Appetit. Sogar Benny hatte ein widerwilliges Kompliment ausgesprochen, wenngleich so leise, dass wohl kein Anderer ihn verstanden hatte.

Theodor – der Mann der Stunde – erschien erst zu Tisch, als sie fast fertig waren. Gretchen war nirgends zu sehen. Sie war entweder noch immer in ihrem Zimmer oder hatte es irgendwie geschafft sich unbemerkt aus dem Atomic zu stehlen. Alles in Allem verhielt ihr kleiner Romeo sich bemerkenswert normal. Leonora zappelte förmlich an Anskars Seite, voll von dieser besonderen weiblichen Neugierde, was geheime Liebschaften und Techtelmechtel anbelangte. Der große Mann hatte das Gefühl er müsste sie nur anstupsen und eine Tsunami-Welle aus Fragen würde über Theodor hereinbrechen.

Er grinste in sich hinein. Immer diese neugierigen Stalker ...

Es war fast Mittag, als sie das Atomic verließen. Ein vergleichsweise schöner Tag begrüßte sie, was bedeutete, dass sie einen uneingeschränkten Blick auf den wütenden Wolkenhimmel in seinen vielen bizarren Farben erhaschten. Anskar schüttelte den Kopf. Der Gott dieses Himmels musste ein depressives Kind mit einem Malkasten sein. Wenigstens hatte es aufgehört zu schneien. Sogar einige Vögel waren zu sehen, dicke schwarze Krähen, die durch die kalte Luft glitten und sie mit Krächzen begrüßten.

„Das wir euer Zeug schleppen war aber nicht Teil der Abmachung", murrte Benny, als er den Tragegurt seines Rucksacks justierte. „Das kostet extra. Wir haben nur zugestimmt Führer zu sein, nicht Packesel."

Anskar, der neben einem Seesack auch noch und einen Rucksack trug, starrte auf den kleineren Mann herab. „Für jemanden, der sich gerade auf unsere Kosten die Backen vollgestopft hat, jammerst du ganz schön ... Bro."

Denny lachte auf, was ihm einen bösen Blick seines Bruders einbrachte.

„Es widerspricht mir zwar, ihm Recht zu geben", begann Theodor, „aber können wir nicht den Schlitten nehmen? So wie bisher?"

Anskar schüttelte den Kopf. „Auch du, Brutus? Pech gehabt, Jungs. Ich habe diesen Schlitten tagelang durch das vereiste Niemandsland da draußen gezogen und will verdammt sein, wenn ich ihn jetzt auch noch durch ganz Waagen zerre. Wenn ihr wollt könnt ihr euch natürlich daran versuchen ... Nein? Dacht ich mir, also Klappe zu, sonst trägt der nächste, der jammert, auch noch meinen Seesack.

Missmutige Blicke. Grummeln. Bennys Husten.

Leonora grinste und beobachtete einige Kinder, die in einer Gasse einen grauen Schneemann bauten. „Irgendwas, das wir beachten sollten?"

Denny schüttelte den Kopf. „Bleibt einfach an uns dran, ok? Wir sorgen schon dafür, dass ihr nicht in Schwierigkeiten geratet."

Siestampften los, blind gegenüber der vermummten Gestalt, die aus einem der Häusergegenüber des Atomics trat und ihnen mit dem Surren leiser Servosystemefolgte ...

***

Sie waren noch keine zehn Minuten unterwegs, da Leonora sich in dem Straßenwirrwar hoffnungslos verloren fühlte. Finsternis ... Sie hatte Jahre damit zugebracht, die lichtlosen Wartungstunnel von Walhalla 23 zu durchwandern, doch das hier war verwirrender, mehr wie von Menschenhand erbaute urbane Schluchten.

Mal waren die Straßen fast leer, dann wieder so überfüllt, dass sie vom Gehsteig auf den Fahrweg ausweichen und sich mit dem Verkehr anlegen mussten. Eine Mischung aus archaisch und mechanisch: Reiter, Kutschen, Handkarren und die abstrusesten Automobile. Nicht selten schmetterte ihnen eine Hupe oder ein Schrei entgegen. Wenn die Zwillinge überhaupt reagierten, dann mit einem erhobenen Mittelfinger.

ARCHETYPE 2.0Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt