Kapitel 46

3.5K 134 20
                                    

Die Sache war beschlossen. Mama war auf der Suche nach einer Klinik und versuchte mich anzumelden. Ich habe auch mitbekommen, dass sie das zusammen mit Papa regelte. Zwar flüsterte sie stets beim Telefonieren, und wollte nicht, dass Caro und ich etwas bemerken, jedoch war es so.
Naja, anders wäre es eigentlich gar nicht möglich gewesen, weil die Kosten zu hoch waren. Mama brauchte Papas finanzielle Unterstützung, diese Kliniken sind nämlich sauteuer.
Im Moment war das aber die kleinere Sorge für mich. Und zwar war ich gerade auf dem Weg zur Schule. Es war der erste Tag nach der Klassenfahrt.

Alle waren braungebrannt und erzählten sich immer noch rege von der schönen Zeit.
Da die Fahrt reflektiert werden musste, hatten wir zur ersten Stunde mit Herrn Schröder Unterricht. Und wie ich auch erwartet habe, kam er gleich zu mir um zu fragen, wie es so gelaufen ist. Ich zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung."
"Wirst du in eine Klinik verwiesen?"
"Dafür haben Sie ja gesorgt.", antwortete ich.
"Es ist besser so. Gesundheit geht vor das weißt du doch."
Ich zuckte erneut mit den Schultern und setzte mich an meinem Platz.
Und sobald es ruhig wurde, sollte sich jeder mit ein paar Sätzen zur Fahrt äußern.
"Also ich fand es sehr schön. Man könnte sich mit ein paar Bewohnern da unterhalten. Ich finde auch es hat die Gemeinschaft zwischen uns gestärkt. Schade fand ich, dass es vorkam, dass jemand wegen ungeklärten Gründen gehen musste.", so Julia. „Ich hätte gerne gewusst, worum es geht, damit man sich nicht unnötig Sorgen machen muss."
Ich könnte ihr den Kopf umdrehen.

"Ähm ja.", sagte Herr Schröder. Er war selbst überfordert mit der Situation. "Darum geht's hier nicht." Er wand sich den Klassenkameraden. "Lisa? Möchtest du dich äußern?"

*

Mathe. Meine Konzentration war am Ende. Ich konnte wirklich nicht mehr. Mir wurde auch plötzlich wieder total schwindelig und ich fragte mich, warum es ausgerechnet jetzt so kommen musste? Dann fragte ich mich auch, Warum mich alle auf einmal anschauten?
Oh. Auch der Lehrer. Ich hatte nicht gehört, was er sagte.
"Elena, könntest du den Graphen für die Funktionsgleichung an die Tafel schreiben?", wiederholte er seine Frage Nein. Warum ausgerechnet ich, warum ausgerechnet jetzt?
Okay, ich konnte verstehen wieso er mich nach vorne bat. Denn ich hatte nichts gesagt seit einiger Zeit, obwohl ich früher kaum meine Hand unten hatte.
Ich stand auf, und der Schwindel wurde schlimmer. Dann ging ich die Schritte nach vorne und sah ich am vorbei gehen Lisa zwei mal? Fest schloss ich die Augen um Klarheit in meinem Kopf zu schaffen, aber das hat nicht funktioniert. Mir ist stets schwindelig und schlecht.
Um den Graphen überhaupt anzeichnen zu können, gab es tausende Schritte, die man vorher machen musste. Wie zum Beispiel die Funktionen ab- sowohl auch aufleiten.
Wie ging das noch mal? Die Potenz musste man doch mit der Zahl dividieren? Oder war es doch die darauffolgenden Potenz? Als ich die Kreide an der Tafel aufsetzte, sah ich sie zweimal. Und langsam fing alles an zu verblassen. Meine Hand sah ich kaum noch, nur etwas Hautfarbe. Ich drehte mich zum Mathe Lehrer, um ihm zu sagen, dass es mir nicht gut ging, aber vorher verlor ich den Halt auf den Boden. Meine Beine waren nicht stark genug um mein Gewicht zu halten. Auch mit den Händen und Armen konnte ich mich nicht fangen. Ich spürte nur noch wie ich mit den Kopf auf den harten Boden aufschlug. 

*

Sobald ich meine Augen wieder öffnete, schossen die Kopfschmerzen los und ich fühlte mich elend.
"Ich gebe schon mein Bestes." Das war Mamas Stimme. Sie saß neben mir in der Krankenstation in der Schule.
Kurze Stille.
"Ja, ja. Ich weiß."
Sie war am telefonieren.

Solange sie das tat, schaute ich mich um. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals hier liegen müsste.
Eigentlich verbrachten hier nur die Sportler die Zeit, oder wenn zu Hause niemand erreichbar war.
Warum lag ich noch mal hier? Weil ich umgekippt bin.
Vor der ganzen Klasse. Mal wieder.
"Elena du bist wach.", sagte Mama.
"Ja.", antwortete ich nur.
"So geht das nicht weiter.", sagte sie nun strenger. "Letzte Woche bist du erst umgekippt, und jetzt gleich wieder!"
"Mama, ich habe Kopfschmerzen, schrei mich bitte nicht an." Sie seufzte und wand den Kopf ab.
"Ich kann das nicht mehr.", sagte Mama plötzlich. Und obwohl ich nicht so ganz da war, bemerkte ich, dass ihre Stimme zitterte.
"Du machst mich fertig." Sie seufzte tief und ihre Augen waren glasig. Oh nein.
Das schnürte mir den Hals zu. Sie sollte nicht meinetwegen weinen. Aber trotzdem würde ich jetzt nicht Einsicht zeigen und einknicken. Doch jedes Mal, wenn sie schluchzte, versetzte es mir einen schrecklichen, unerträglichen Schmerz.
Mama war am Ende und ich verstand ehrlich gesagt auch wieso.
Aber daran etwas zu ändern, kam nicht in Frage.

*

Es war unerträglich zu hören, wie Mama sich mit Telefonaten darum kümmerte, dass ich in eine Klinik untergebracht werde. Ich lag in meinem Bett und gammelte einfach nur. Keine Hausaufgaben. Nicht lernen. Gar nichts. Aber auch nichts zu essen, was mich ehrlich gesagt wunderte. Ich dachte Mama würde mir jetzt Essen in den Mund schaufeln. Jedoch kümmerte sie sich lieber um die Kliniken. Die werden doch ohnehin dafür sorgen, dass ich esse.
Es klopfte an der Tür meines Zimmers und Jonas betrat gleich darauf unerwartet mein Zimmer.
"Hey.", sagte er. Ich lächelte ihn warm an, denn auf seine Anwesenheit freute ich mich wirklich sehr.
"Hi.", antwortete ich nach dem Kuss.
"Ich bin so schnell es ging gekommen."
"War doch nicht nötig gewesen."
Sein Lächeln verschwand und er schaute mich ernst an.
"Du bist jetzt das zweite Mal umgekippt. Ich habe das volle Recht mir Sorgen zu machen."
"Jonas, es ist wirklich nichts dramatisches."
Er seufzte. "Also stimmt das was deine Mutter sagt? Du siehst dich nicht als krank an?"
Das war echt schmerzhaft. "Du findest ich bin krank?", fragte ich fassungslos.
"Ja. Und ich finde es schlimm, dass du das nicht siehst."
"Ich bin nicht krank! Und ich finde es schlimm, dass du mich so nennst."
"Elena, du bist magersüchtig."
"Das bin ich nicht!"
"Doch. Du nimmst ab. Fühlst dich zu dick. Und kippst um. Alles Anzeichen für die Magersucht."
Ich konnte ihm nichts ins Gesicht schauen, weil er mich mit jedem Wort verletzte. Was sollte das denn alles? Warum war er nicht so süß und zärtlich wie sonst immer und konfrontierte mich mit Beleidigungen. Ich sei krank. Sehr nett.
"Es kann nicht so weiter gehen."
"Wie soll es nicht weiter gehen?", fragte ich etwas gereizt.
"Dass du abnimmst. Ich kann das nicht länger ertragen."
"Das brauchst du auch nicht!"
Er schwieg. "Dein Ernst?"
"Ja, es ist mein Ernst. Es ist mein Leben und mein Körper. Wenn ich abnehmen möchte dann tue ich das."
Er war sprachlos, denn er erwiderte für eine Zeit lang nichts.
"Okay.", sagte er dann doch und stand von meinem Bett auf. "Solange du keinen in dein Leben lässt, brauche ich mich ja auch nicht mehr einmischen."
Ich hatte zu viel Stolz um ihm vom Gegenteil zu überzeugen. Doch tief in mir drinnen, schrie ich nur danach ihn zu behalten.
"Also ist es aus?", fragte ich.
"Ja.", sagte er. "Es ist aus."
Und damit verließ er mein Zimmer.
Und kam für eine Woche nicht mehr. Selbst als Mama mich zur Klinik fuhr kam er nicht. Ich hatte mich nicht mal von ihm verabschiedet, obwohl jetzt ein neuer, anstrengender Abschnitt kam.
Die Klinik.

Federleicht1: Keine Sorge @Anele123. Wir geben dir Tipps wie du es in der Klinik aushältst und wie du die Leute dort hinters Licht führst. Ich sorge dafür, dass du schon bald wieder raus kommst. Denn das tun #Ana#Schwestern

Federleicht Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt