Kapitel 54

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"Du wolltest mich sprechen?", fragte ich als Sabrina in ihr Büro reinkam. Mir wurde eben von Schwester Fiona gesagt, dass Sabrina mich sprechen möchte und ich doch bitte in ihrem Büro warten sollte.
"Genau. Du warst gestern bei der Selbsthilfegruppe nicht anwesend. Und als du gestern Besuch bekommen hast, wurdest du gar nicht mehr gesehen. Geht es dir gut?"
"Nein.", antwortete ich ehrlich.
"Willst du mit mir darüber reden?"
Ich zuckte mit den Schultern.
"Okay. Deine Schwester Caro ist gekommen. War sie... gemein?"
"Nein. Sie war sehr nett. Sie möchte mich wieder zu Hause haben."
"Okay hat es was mit seinen Eltern zu tun? Deinem Vater?"
"Nein, Papa kümmert sich auch um mich. Meiner Mutter geht es nicht gut. Sie hat eventuell Depressionen und denkt, dass ich sie hasse, weil sie mich hierher geschickt hat."
"Du sagtest sie denkt das. Also stimmt es nicht?"
"Eher nicht. Nein. Ich hasse sie nicht. Ich verstehe irgendwo, dass sie mich hierher geschickt hat, damit ich gesund werde. Caro befürchtet dass ich sterben könnte, ich glaube meine Mutter dann auch."

"Genau. Deine Mutter liebt dich, und sie will nur das Beste für dich. Und das wäre diese Klinik."
Wir schwiegen kurz.
"Das musst du ihr sagen. In einem Brief am besten, damit sie sich das immer wieder durchlesen kann, wenn es ihr nicht gut geht."
Ich fand das eine sehr gute Idee.
"Kann ich dann gehen?", frage ich. "Um den Brief zu schreiben?"
"Ja, kannst du. Gibt es denn sonst noch etwas, was ich wissen muss?"
"Nein." Ich wollte ihr nicht von dem Deal mit den fünf Kilos erzählen. Ich spielte ja was vor und nahm für mich ab. Und außerdem wollte ich gerade echt nicht von Jonas erzählen.

"Okay gut. Wenn es dir nicht gut geht, kannst du immer zu mir kommen."

"Ja danke."
Ich ging in mein Zimmer, kramte Stift  und Papier raus und fing an zu schreiben.

Hallo Mama.
Ich hoffe dir geht es gut.
Gestern kam Caro zu Besuch und sie hat mir erzählt, dass es dir nicht so gut geht und dass du denkst ich würde dich nicht ausstehen können.
Aber das stimmt nicht.
Du bist meine Mutter und ich liebe dich.
Auch wenn es in letzter Zeit nicht so gut zwischen uns gelaufen ist, und du mich gegen meinen Willen hierher geschickt hast, kann ich es verstehen.
Du willst mir helfen und mich retten.
Es läuft gut hier übrigens. Ich habe Freunde und ich esse. Ich bin seit langem wieder die Klassenbeste und die Sachen, die wir in der Selbsthilfegruppe machen, sind eigentlich ganz interessant.
Du brauchst dir also keine Sorgen über mich zu machen. Und auch nicht über Papa.
Caro sagte mir, dass du dich immer noch nicht von dem Vorfall erholt hast, obwohl sich das jetzt echt in die Länge zieht!
Mama geh raus und leb dein Leben! Such dir einen Mann und treff dich wieder mit deinen Freundinnen! Viele Frauen lassen sich scheiden und bei Außenstehenden wird Papa dann verachtet, nicht du. Er war derjenige, der den Seitensprung gemacht hat, ihm muss es peinlich sein nicht dir.
Bei Veranstaltungen wird es überhaupt nicht gut ankommen, wenn er mit diesem Flittchen hingeht anstatt dich, Caro und mich an seiner Seite zu haben.
Was ich dir mit all dem sagen möchte, Mama, ich habe dich lieb.
Mir geht es gut, und du musst Papa vergessen.
Was du auch dringend machen musst: kümmre dich etwas um Caro. Ihr geht es nicht gut und du ziehst sie mit runter.
Hier gibt es Leute die sich um mich kümmern, also brauche ich deine Zuwendung in erster Linie nicht, aber Caro braucht sie.
Ich hoffe du nimmst zu Herzen was ich dir sage.
In liebe
Elena

War das zu kitschig? Zu schnulzig?
Oder einfach nur die Wahrheit?
Ich tippe auf letzteres, da ich echte Tränen weinte. Heiße Tränen, die über meine Wange kullerten. Ich las meinen Brief weitere dreimal und tat es dann in den Umschlag.
Mama würde sich freuen, dessen war ich mir sicher.
Ich faltete den Zettel und ging wieder zu Sabrina. Eigentlich dachte ich, sie würde es sich durchlesen, stattdessen gab sie mir gleich eine Briefmarke und schickte mich zu einer Frau, die sich darum kümmern würde.
"Danke.", sagte ich, als sie den Brief entgegen nahm und dann wusste ich nicht was ich tun sollte.
Ganz sicher würde ich mich nicht wieder in mein Zimmer verkriechen und schweigend gegenüber von Sophia sitzen. Also suchte ich Sebastians Zimmer auf und verbrachte den restlichen Tag mit ihm.
Auch wenn es schön mit ihm war, meine Gedanken kreisten nur um Jonas und dem mysteriösem, neuen Mädchen und den fünf Kilos die ich zunehmen musste um das herauszufinden.

*

Woche für Woche verging, ich verbrachte die meiste Zeit mit Sebastian und damit fünf Kilos zuzunehmen. Ich hätte niemals gedacht, dass ich es jemals wieder aktiv zunehmen würde, aber die Neugierde brachte mich dazu.
"Treffen wir uns draußen?", fragte Sebastian, nachdem er mich zu dem Raum begleitete, in dem man sich wiegen musste.
"Jap, ich komme gleich."
Er lächelte mich ein letztes Mal an und ging dann.
"Oh, Elena du bist schon da.", sagte Schwester Fiona als sie um die Ecke kam. Sie öffnete die Tür und ließ mich rein.
"Dann zieh bitte alles außer Unterwäsche aus."
Ich weiß nicht, wie oft sie das wiederholen möchte, weil sie das jede Woche sagte. Kurz nachdem ich mich auf die Waage gestellt habe, klatschte sie gleich fröhlich in die Hände.
"Du hast fünf Kilo zugenommen!"
Jetzt waren meine Schauspielkünste gefragt, ich musste mich freuen.
Okay eigentlich freute ich mich wirklich, ich wollte gleich Caro anrufen und ihr das mitteilen.
"Das machst du wirklich super, Elena. Du machst gute Fortschritte. Wenn du noch ein bisschen so weiter machst, dann darfst du bald Medien wie dein Handy und das Telefon benutzen."
"Okay.", antwortete ich. Das freute mich wirklich.
"Dann kannst du dich jetzt anziehen und wieder zu Sebastian." Sie lächelte mich dabei vielsagend an.
Gab es hier schon Gerüchte...? Ich hakte nicht nach, weil ich einfach raus wollte.
"Und?", fragte Sebastian als ich mich draußen auf die Bank zu ihm saß.
"Ich hab fünf Kilo zugenommen.", sagte ich und schaute ihn an.
"Wow super!", sagte er und wirkte wirklich glücklich.
"Findest du das echt gut?", fragte ich ihn und hoffte auf eine aufrichte Antwort.
"Ja. Ich... ich will zunehmen um... du weißt schon, gesund zu werden und hier raus zu kommen."
Ich schaute ihn für eine Zeit lang nur an und fragte mich, ob ich nicht das gleiche wollte.
"Findest du das blöd?", fragte er vorsichtig.
"Nein, nein.", antwortete ich schnell. "Ich weiß nur nicht, was ich davon halten soll.", gestand ich ehrlich.
"Du solltest das auch tun. Ich war hier sehr lange und weiß wovon ich rede. Das ist es nicht wert hier wertvolle Zeit der Jugend zu verbringen."
Ich verdaute das, was er sagte und dachte drüber nach und im Moment fand ich nichts was dagegen sprach. Ich schaute von ihm ab und mein Blick schweifte über das Außengelände, wo viele Magersüchtige waren und sich so unterhielten, als wäre es das normalste auf der Welt, hier zu sein. In einem Käfig, in dem die Erziehungsberechtigten dich einstecken, damit du wieder normal wirst.
"Ich glaube es ist Zeit, dass ich dir etwas sage." Ich schaute wieder zu ihm auf, aber er schaute mich nicht an. Es müsste ihm schwer fallen, was ich sagte, da er mich nicht anschauen konnte.
"Nächste Woche werde ich von hier gehen."
Dieser Satz schlug mich heftiger als erwartet. Ich wusste, dass er bald gehen würde, weil er große Fortschritte macht und die Schwestern der Meinung sind, dass er nicht zwingend hierbleiben muss, um sein Ziel zu erreichen. Dennoch war ich gerade sehr geschockt, weil ich mir diesen Ort nicht ohne Sebastian vorstellen konnte.
Ich war so geschockt, dass ich Tränen in den Augen hatte und nicht imstande war irgendwas zu erwidern.
Und dann spürte ich plötzlich seine Arme um mich, bis ich anfing zu weinen und seine Umarmung innig erwiderte.

Federleicht Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt