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Die junge Frau fällt ihrem vermutlich Freund in die Arme und nach einer ausführlichen, mir definitiv zu schlabberigen, Begrüßung, machen beide sich auf ihren Weg vom Bahnsteig.

 Ich sehe mich genauer um. Hinter dem Bahnsteig scheint das Hauptgebäude des Bahnhofs zu liegen, eine große Uhr prangt über dessen Eingang. Kurz vor fünf. Neben einem Fahrkartenautomaten sind ein paar Bänke, sonst gibt es auf dem menschenleeren Bahnsteig nichts zu entdecken. Auch kein Michael Patrick Kelly. Und durch meine Recherche bin ich mir ziemlich sicher, dass ich ihn sogar mit langen Haaren erkennen würde. 

Ich schaue mich noch einmal um, vielleicht wartet er im Gebäude? Ich lasse meine beiden Koffer hinter mir entlangrollen, einer links, einer rechts und gehe ins Bahnhofsgebäude. Ein paar Stühle und Bänke zum warten, ein geschlossener Bäcker, ein weiterer Fahrkartenschalter, aber keine menschliche Seele. Um ehrlich zu sein ist die Stimmung hier ziemlich gruselig, aber es hilft doch nichts. Ich schließe meine Jacke und lasse mich mit einem Seufzer auf eine der Bänke fallen. 

Hat er mich vergessen oder sich gar umentschieden? Oder bin ich falsch ausgestiegen? Nachdem ich die Fahrkarte aus meiner Jackentasche ziehe, vergleiche ich den Namen meiner Endstation mit der, wo ich mich befinde. Nein, ich bin richtig. Hat mir das Jugendamt falsche Informationen gegeben, oder nicht mir sondern ihm?

Als ich nach draußen sehe , hat es angefangen leicht zu nieseln und der Himmel ist grau geworden. Obwohl das Wetter super gut zu meiner Stimmung der letzten Tage passt, fände ich ein bisschen Sonnenschein um mich aufzumuntern doch ganz passend. Vor dem Gebäude, an dessen Fenster kleine Wassertropfen hinunterlaufen, fahren Autos mit wedelnden Scheibenwischern, an dem leeren Parkplatz vorbei. Ihre Lichter brechen sich in den Regentropfen und streifen kurz mein Gesicht, bis sie von der Kurve scharf nach rechts gelenkt werden.

Doch ein Auto weicht ab. Ich recke meinen Kopf, um besser durch die Fenster sehen zu können. Der Wagen hält direkt vor dem Gebäude, eine Person, eher ein Schatten, in einem dunklen Mantel gekleidet steigt aus und läuft gebückt, um sich vor dem Regen zu schützen, zum Eingang des Gebäudes. Die große Türe schwingt auf und die Person bleibt kurz stehen und sieht sich um. Ich kann bereits sagen, als er die Kapuze abstreift, dass es mein Vater ist, wage es aber nicht mich auch nur einen Zentimeter zu rühren. Als seine Augen sich an das dämmrige Licht, dass noch durch die hohen Fenster fällt, gewöhnt haben, fällt sein Blick sofort auf mich und er kommt zielstrebig auf mich zu. Kein Wunder, ich bin ja auch die einzige Person hier. Erneut steigt Panik in mir auf, aber zum weglaufen ist es jetzt zu spät. Und außerdem würde es ziemlich bescheuert wirken.

 Als näher  kommt, wird er langsamer und bleibt schließlich direkt vor mir stehe, wo er mich erstmal mustert. Ein, recht klein geratenes, sechzehnjähriges Mädchen, dass in dem Berg von Koffern fast untergeht. Die Knie angezogen, in der noch trockenen, aber etwas zu großen Regenjacke. Auch ich sehe ihn an, wie er vor mir steht. Eigentlich so wie immer. Der schwarze Mantel, darunter ein T-Shirt, Jeans. Seine Haare stehen feucht in alle Richtungen. Er lächelt mich an und hält mir seien Hand hin, welche ich schüchtern, aber dankbar annehme. 

"Du bist bestimmt Jessica!" Ich nicke nur und er redet sofort weiter.

"Michael Patrick Kelly. Aber für dich bitte Paddy! Du kannst natürlich auch Papa zu mir sagen, wenn du willst, aber das wird für uns beide wohl eher komisch!", lacht er fröhlich und ich kann nicht anders als mich anstecken zu lassen. Na endlich, der Bann ist gebrochen. 

"Na komm. Wir gehen nach Hause. Du hast hier ja bestimmt schon länger gewartet." Ich nicke wieder nur und stehe auf. Meine Beine sind steif von der Kälte, die langsam durch meine Kleidung kriecht. Er nimmt einfach meine beiden Koffer und ich schnappe mir schnell meinen Rucksack, damit ich ihm zum Ausgang folgen kann. Ich hole ihn ein, die Tür schwingt auf und wir eilen durch den Regen zum Auto, werfen mein Gepäck mehr in den Kofferraum, um uns ins Trockene zu flüchten. 

Ich lasse mich neben ihn in den Beifahrersitz fallen und merke wie er mich seitlich anstarrt. 

"Was?", frage ich ihn. 

"Nichts. Du bist nur so groß geworden, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe.", lächelt er mich an. 

"Wann war das denn?", frage ich leise nach. 

"Ich erzähl dir das alles wann anders, okay? Ich will dich erstmal kennen lernen." Ich nicke wieder nur und er startet den Wagen und macht die Musik ein bisschen lauter. 

Die nächste halbe Stunde verbringen wir in einem unangenehmen Schweigen, als wir von einer Landstraße auf einen, mehr oder weniger, asphaltierten Feldweg abbiegen. 

"Magst du Tiere?", fragt er mich plötzlich.

"Ja?", antworte ich. Normalerweise würde man eine derartige Frage eher einem zehnjährigen Kind stellen und keinem Teenager.

"Warum fragst du mich das?"

"Naja, Joelle und ich leben mehr auf so einer Art Mini-Farm."

"Ah, cool. Was für Tiere habt ihr denn so?"

"Ganz verschiedene. Ich stell sie dir gleich alle vor!", freut mein Vater sich und wir fahren auf einen großen Hof, an dessen Seite ein altes Landhaus steht. 

"So, hier sind wir. Joelle wirst du aber erst in drei Wochen kennenlernen. Sie ist zur Zeit auf Geschäftsreise."

"Was macht sie denn so?"

"Sie ist Journalistin."

Er zieht den Schlüssel vom Auto und öffnet seine Türe. 

"Na dann komm mal mit! Willkommen in deinem neuen Zuhause."

Ich muss bei diesen Worten erstmal schlucken, überwinde mich dann aber und beschließe auszusteigen. Von dem Regen, welcher zum Glück vor einigen Minuten nachgelassen hat, ist der Hof etwas aufgeweicht und einige Meter vom Wagen entfernt ist eine große Pfütze, in der sich das Geäst einer Eiche spiegelt. Auf der anderen Seite des Hofes war eine kleine Scheune, das zweistöckige Haus mit Veranda schraubt sich vor mir in den Himmel. 

"Also unser Grundstück geht bis zu dem Wald dort hinten bis zu der großen Wiese da drüben." Er dreht sich einmal um seine eigene Achse und zeigt mir das riesige Grundstück. 

"Theoretisch kannst du machen was du willst, aber sag bitte Bescheid, wo du hin gehst, denn es ist doch schon ziemlich groß.", bittet Paddy mich und bekommt genauso wie ich einen Regentropfen ab. 

"Lass uns reingehen. Du hast sicherlich seit Stunden nichts mehr gegessen und möchtest dich etwas ausruhen." 

Er nimmt meine Koffer, legt eine Hand auf meinen Rücken und schiebt mich vorsichtig in Richtung Haus.

Bigger Life || Michael Patrick Kelly | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt