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Nachdem ich die Matratze von der Mitte des Raumes in eine Ecke unter der Schräge gezogen hatte, lasse ich mich schließlich auf mein provisorisches Bett fallen. Meine Haare sind noch nass und mit dem frischen, nach dem Lieblings-Waschmittel meiner Mutter duftenden Schlafanzug könnte ich mich jetzt auch einfach in das Bett kuscheln, die Augen schließen und eindösen, aber ich hatte mir unter der Dusche bereits ein paar Gedanken über die Grabrede gemacht, sodass ich noch einige Passsagen vor dem Schlafengehen niederschreiben wollte, um sie nicht zu vergessen. Ich nehme mein Handy, welches mir so hell ins Gesicht scheint, damit ich meine Augen etwas zukneifen muss, öffne meine Notizen und erstelle ein neues Dokument...

Ich bin mit den Zwischenergebnissen bis jetzt recht zufrieden, obwohl ich keine Ahnung von Grabreden habe. Ich habe zwar ein paar an der Beerdigung meiner Oma gehört, aber daran kann ich mich kaum erinnern. Vielleicht kann ich einmal Paddy fragen, ob er drüberlesen möchte, nachdem ich sie fertiggestellt und überarbeitet habe, denn  ich möchte, dass sie gut wird. Ich ziehe die Decke noch fester um mich, als ich erneut realisiere, dass Mama tot ist. Bloß nicht dran denken!, sage ich mir immer wieder selbst, als ich mit Hilfe der Wärme des Bettes langsam wegdrifte.

Im Halbschlaf bekomme ich durch die angelehnte Tür mit, wie  das Licht auf dem Flur angeht. Ich höre ein leises Klopfen und das kaum wahrnehmbare Knarzen der Tür, als sie ein Stück weiter aufschwingt, aber meine Augen sind zu schwer, um sie zu öffnen. Vor meinen Augen wird es heller und ich höre Paddy entfernt flüstern.

"Jessi, bist du noch wach?" Er war die erste Person neben meiner Mutter, die mich Jessi genannt hatte, was mich wie ein Stich ins Herz traf. Als ich nicht antworte, schließt sich die Tür wieder vorsichtig und ich denke Paddy ist gegangen, als ich Schritte höre, die durch den Raum auf mich zukommen. Neben mir senkt sich die Matratze etwas, vermutlich hat er sich zu mir gesetzt. Ich spüre seinen Blick auf mir, schaffe es aber immer noch nicht die Augen zu öffnen, der Schlaf hält mich fest. Entfernt bekomme ich mit, wie er mir sanft eine Haarsträhne aus der Stirn streicht, welche neben mir auf das Kopfkissen fällt. 

"Es tut mir so leid, dass ich die ganzen Jahre nicht für dich da war.", seufzt er in die Stille hinein. 

"Ich hoffe du kannst mir verzeihen." Am liebsten würde ich ihn umarmen und sagen, dass es mir nichts ausgemacht hatte, aber ich bin ans Bett gefesselt, meine Gliedmaßen zu schwer, um sie auch nur einen Zentimeter zu bewegen. 

"Du siehst deiner Mutter so ähnlich.", fährt er fort. 

"Auch wenn ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen kennengelernt,  bin ich froh, dass du nun hier bist, und ich dich wieder habe." Es tut gut zu hören, dass ich keine Last für ihn bin, dennoch kann ich das Gefühl nicht vertreiben, ich hätte mich bei ihm aufgedrängt, auch wenn ich ihn erst seit ein paar Stunden kenne. Eine gefühlte Ewigkeit sitzt er schweigend neben mir und ich weiß genau, er beobachtet mich. Ich merke, wie mich die Müdigkeit immer weiter mit ihrem Sog von ihm entfernt. 

"Schlaf gut, meine Kleine.", flüstert er und bricht damit die Stille. Ich bekomme gerade noch mit, wie er mir einen vorsichtigen Kuss auf die Stirn gibt, aufsteht und anschließend die Tür hinter sich ins Schloss zieht, bevor ich endgültig von der Müdigkeit verschluckt werde.

Bigger Life || Michael Patrick Kelly | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt