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Am Dienstag packe ich meine Mathesachen erleichtert in meinen Rucksack, denn auch wenn ich meine Klassenlehrerin echt mag und mit den Themen gut klarkomme, hat sich der Schultag dann doch gezogen. Ich kann es kaum erwarten, endlich aus dem stickigen Klassenzimmer zu kommen, zudem Joelle mir versprochen hat, mich heute von der Schule abzuholen, sodass wir gemeinsam Mittagessen und danach einen kleinen Stadtbummel machen können, da ich noch immer wenige Klamotten habe. Außerdem wollte Paddy nach Berlin, weil er mit irgendjemandem etwas klären muss und wir sind ohnehin alleine zu Hause. Joelle und ich sind in den letzten paar Tagen zu richtig guten Freunden zusammen gewachsen, was auch meinen Vater sehr gefreut hat, obwohl er von Anfang an dachte, dass wir beide uns super verstehen würden und nur ich einige Bedenken hatte. Durch ein ungeduldiges Schnipsen vor meinem Gesicht, werde ich schließlich wieder aus meinen Gedanken geholt. 

"Erde an Jessi!", ruft Finn, während seine grauen Augen mich mustern. Chiara und Sophia stehen hinter ihm und müssen sich das Lachen verkneifen und auch unsere Lehrerin, die das Spektakel von der anderen Seite des Pults beobachtet, scheint mich anzugrinsen.

"Tschuldigung, was?", frage ich schnell verwirrt nach und stehe anschließend auf, schiebe meinen Stuhl unter den Tisch und schlendere mit den anderen auf den Gang. 

"Wir machen am Freitag bei Sophia eine kleine Übernachtungsparty! Kannst du kommen?", klärt Chia mich schnell auf. Inzwischen weiß ich, wo Sophia wohnt und habe auch schon auf einen Sprung in das Cafe  am Dorfplatz ihre Oma kennengelernt.

"Sicherlich! Ich muss nur Paddy und Joelle fragen. Aber die haben sicherlich nichts dagegen!", antworte ich schnell und prompt steigt die Vorfreude auf Freitag, trotz des Biotests, an. 

"Super! Dann sind wir mal endlich nicht mehr nur zu dritt!", freut sich auf Sophia, woraufhin sie sich kurz von uns verabschiedet und die Treppen nach oben eilt, da sie noch Unterricht hat. Ich begleite Chia und Finn wie jeden Tag zu ihren Fahrrädern, bis ich ihnen ein "Bis Morgen!" hinterher rufe, wie sie mit ihren Fahrrädern sich einen Weg durch das Gewirr von Schülern bahnen. In diesem Moment vibriert mein Handy in meiner Hosentasche und neugierig ziehe ich es hervor, um zu überprüfen, wer mir geschrieben hat. Es ist Joelle, welche mir mitteilt wo sie geparkt hat, sodass ich die Straße hinunter und um die Hausecke laufen muss, bis vor mir auch schon ihr Auto steht, in welches ich fröhlich einsteige und meinen Rucksack auf die Rückbank werfe.

"Hallo. Wie war dein Tag?", lacht sie und nachdem ich meine Tür wieder geschlossen habe, lässt sie den Wagen an und begibt sich zurück ins Getümmel der Straßen.

"Gang gut. Darf ich am Freitag bei Sophia übernachten?", frage ich direkt nach.

"Also ich habe nichts dagegen und Paddy bestimmt auch nicht. Was möchtest du essen? Italienisch oder Chinesisch?"

"Chinesisch."

Eine Stunde später und mit vollgeschlagenem Magen schlendere ich mit Joelle die mit Kopfstein gepflasterten Gassen der Altstadt entlang. An den Seiten sind kleine Läden, da wir das große Kaufhaus gerade hinter uns gelassen haben. 

"Schauen wir da mal rein?", schlägt Joelle vor, zieht mich aber ohne eine Antwort abzuwarten in einen Secondhandladen. 

"Probiere das Kleid hier doch mal an. Ich glaube, das würde dir gut stehen.", sagt sie sofort, als wir den Laden betreten und geht auf ein dunkelblaues Kleid zu.

"Kleider sind nicht so meins. Ich hab die kaum an.", gebe ich zu.

"Ach komm, anprobieren schadet doch nichts.", bittet sie mich und nachdem wir ebenfalls eine Jeans und zwei Shirts gefunden haben, die uns beiden gut gefallen und die in meiner Größe zu sein scheinen, verschwinde ich in die Umkleidekabine und mache mich daran die Sachen anzuziehen. Mit den T-Shirts bin ich schnell durch und als ich mir den einzigen Spiegel des Ladens, der vor den Kabinen steht, vorgenommen und sie somit auch Joelle vorgeführt habe, sortiere ich eines aus. Die Hose ist mir zu enganliegend oder ich bin einfach zu dick, sodass sie auf den Stapel mit dem ungewollten T-Shirt kommt und ich mich dem Kleid widme. Es besitzt unterschiedliche dunkelblaue Farbtöne und hat kaum merklich Blumenmuster am Oberteil eingraviert, bevor der Rock in sanften Wellen nach unten fällt. Schnell schlüpfe ich in das Kleid, welches mir bis etwas über die Knie reicht und lege anschließend meine braunen Haare über meine Schultern zurück. Ich ziehe den Vorhang der Kabine ein Stück zurück und trete heraus, um vor den Spiegel laufen zu können. Joelle hat recht: das Kleid steht mir wirklich gut. Es erinnert mich jedoch stark an das Kleid meiner Mutter, das sie pflegte an Weihnachten zu tragen. Seit ich denken kann hat sie jeden Heiligabend dieses Kleid getragen und sich dann auf dem Weg zum Gottesdienst immer beschwert, dass es ihr zu kalt wäre und warum sie nicht doch einfach eine Hose, sondern wie jedes Jahr das Kleid trug. 

"Du siehst wunderschön darin aus!", sagt Joelle leise, als ihr Spiegelbild neben dem meinen erscheint. 

"Wir sollten das Kleid kaufen. Auch wenn du es nur einmal im Jahr trägst."

"Aber das ist doch viel zu teuer!", beschwere ich mich sofort. 

"Soll ich Paddy auch noch fragen, ob wir es kaufen sollen?", fragt sie mich mit erwartungsvollem Gesicht, aber uns beiden ist klar, dass auch er es sofort für mich kaufen würde. 

"Ich will nur nicht, dass ihr so viel Geld für mich ausgebt." 

"Ich weiß. Aber du brauchst nun mal was zum anziehen!" Mit einem Seufzen gebe ich schließlich nach und ziehe mich wieder um, bevor wir anschließend mit den passenden Klamotten an die Kasse gehen und das Geschäft verlassen. Innerlich bin ich doch froh, dass wir das Kleid gekauft haben, da es mich so sehr an Mama erinnert und ich darin ihr ein wenig ähnlicher sehe. Ich bedanke mich noch einmal bei Joelle, bevor wir auch schon im nächsten Laden verschwinden.

Bigger Life || Michael Patrick Kelly | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt