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"Michael Patrick Kelly?", frage ich nochmal nach, da ich glaube mich verhört haben zu müssen.

"Ja, der Musiker." Ich nicke nur abwesend. Das erklärt die Reaktion von Mama auf seine Musik.

"Er ist ... mein Vater?" Ich muss erneut schlucken.

"Ja. Aber das mit deiner Mutter kann er dir vermutlich besser erklären als wir.", sagt die Beamtin. Ja, vermutlich. Ich nicke gedankenverloren. Wenn er mein Vater ist, was war mit meiner Mutter und ihm? Warum wollte er mich nicht oder wollte meine Mama nicht, dass er bei mir ist? Wie wird es sein, bei ihm zu leben? Ich verdränge die tausend Fragen in meinem Kopf und konzentriere mich weiter auf das Gespräch. 

"Du wirst Morgen früh den Zug nehmen, um nach Bayern zu kommen. Dein Ticket haben wir schon organisiert, geben es dir aber erst morgen, wenn wir dich zum Bahnhof bringen. Gegen späten Nachmittag wirst du wohl dort ankommen. Herr Kelly wird dich am Bahnhof abholen. Mit deiner Schule ist auch schon alles geklärt. Du gibst uns Morgen einfach die Bücher mit.", erklärt sie mir.

"Ist das okay für dich?" Stumm nicke ich und sehe auf den Boden. 

"Ist auch gut so, denn du hättest keine richtige Wahl gehabt!", lacht der Beamte um die Situation aufzulockern, aber sie bleibt doch angespannt. Meine Gedanken driften ab, als die beiden vom Jugendamt mit Anja, welche sich für mich sichtlich freut, noch einige Dinge besprechen. 

Bayern. Das ist ziemlich weit weg von hier...

Ich wische meine, vor Aufregung, schweißige Hand schnell an meiner Hose ab und gebe sie der Dame vom Jugendamt, um mich zu verabschieden. Zumindest bis morgen früh, wenn sie mich abholen und zum Bahnhof bringen. 

"Also fang schonmal an eine Sachen zusammen zu packen.", zwinkert mir der Mann noch zu und ich lächele ihn freundlich an. Eigentlich habe ich nie ausgepackt, was den Teil wohl überflüssig wirken lässt. Die beiden verabschieden sich noch kurz von Anja und ziehen schließlich die Tür hinter sich zu. 

"Schade, dass du nicht länger bleibst. Du hättest uns eine große Hilfe sein können. Ach was rede ich da. Es ist super, dass du ein Zuhause gefunden hast und dann auch noch bei deinem Vater!", führt Anja ihr Selbstgespräch, das irgendwie doch wohl an mich gerichtet ist. 

"Hilfst du mir noch beim Essen machen oder möchtest du lieber alleine sein, zumindest bis die Kleinen kommen?"

"Nein, ich helfe dir gerne. Die Ablenkung kann ich glaub ich gerade ziemlich gut gebrauchen.", gestehe ich ihr und folge ihr sogleich in die Küche, wo wir einen großen Topf Nudeln kochen.

Nachdem die anderen von der Schule wieder kamen, wir essen und Anja ihnen die "freudige" Nachricht unbedingt mitteilen musste, gehe ich endlich mit vollgeschlagenem Bauch auf mein Zimmer. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich seit gestern früh kaum gegessen hatte, auch wenn es sich anfühlt als wäre seitdem ein Jahrhundert vergangen. Es ist einfach zu viel passiert.

"Hey!", begrüßt mich Maja und setzt sich prompt zu mir auf mein Bett. 

"Michael Patrick Kelly ist dieser Sänger, oder? Wie ist er denn so in echt?", fragt sie mich aufgeregt. 

"Meine Mutter war ein Fan der Kelly Family.", fügt sie etwas traurig hinzu und nun kann ich ihre Einstellung verstehen. Sie möchte noch möglichst viel über ihre Mutter erfahren, sodass sie ihr näher sein kann. Mir geht es genauso.

"Ich kenne ihn nicht und hatte bis heute keine Ahnung wer mein Vater ist.", gebe ich zu und kann sofort die Enttäuschung in Majas Augen sehen. 

"Oh. Na dann. Du solltest ihn mal Googlen. Es gibt bestimm viel über ihn!", schlägt sie mir anschließend vor. Ich hole sofort ein Handy heraus, mache ein Album von ihm im Hintergrund an und gebe seinen Namen in Suchzeile ein. Warum bin ich da nicht selber drauf gekommen?

Mein Handy erhellt den Raum in einem blauen Glanz, als ich mir eine Doku über die Kelly Family ansehe. Meine, vom duschen, nassen Haare durchtränken das Kopfkissen und ich kann meine Augen kaum offen halten. Kein Wunder. Es ist inzwischen schon ziemlich spät, die Kinder und auch Anja sind inzwischen alle schon im Bett. Maja schläft auf der anderen Seite des Zimmers, das Gesicht zur Wand gedreht. Ein paar Mal, habe ich gedacht im Hintergrund der Doku meine Mutter zu erkennen, aber wenn ich zurück spule ist dort niemand, oder lediglich ein anderes Mädchen mit braunen Haaren, dass wie verrückt "Paddy!" ruft. Also fange ich an zu halluzinieren. Aber es wäre unmöglich gewesen für mich, meine Mutter wieder zu sehen. Meine Tränen füllen sich mit Tränen und ich versuche vergeblich sie wegzublinzeln. Was wäre, wenn er bei uns geblieben wäre? Er wusste doch, dass er eine Tochter hat. Hat er meine Mutter wegen Joelle verlassen oder war es, weil es ihm nicht gut ging? Von der Zeit würde es passen, als er ins Kloster ist. Und vor allem, wie würde es mit Joelle werden? Wird sie ein Kind von ihm, das nicht ihr eigenes ist, akzeptieren?

Ich schalte endlich mein Handy aus und schlafe mit diesen Fragen in meinem Kopf herumschwirrend, unruhig ein. In nicht einmal vierundzwanzig Stunden werde ich einige Antworten dazu bereits haben. 

Am nächsten Morgen verabschiede ich mich von den anderen Kindern, ganz besonders von Maja, bevor diese einer nach dem anderen zu ihren Schulen aufbrechen. Derweil helfe ich Anja noch die Küche nach dem Essen ein wenig aufzuräumen, ebenso wie das Spielzimmer und stelle anschließend meine Tasche in den Flur.

"Ach ja. Das Jugendamt hat angerufen.", informiert mich Anja. 

"Du wirst noch einmal zu deinem Haus gehen, bevor ihr zum Bahnhof fahrt. Aber sie haben auch gesagt, dass du nicht so viel mitnehmen musst, da du theoretisch das Haus erben würdest. Du bist zwar noch etwas jung dafür, aber es wird vermutlich nicht verkauft werden, sondern darauf warten, dass du achtzehn bist. Sie hatten keine anderen Möglichkeit, also fällt das alles dir zu. Du solltest dich auf ein bis zwei Taschen, mit Dingen die du mitnehmen willst beschränken, da du natürlich immer zurück kommen kannst und alles später holen, als es im Zug mitzuschleppen. Vermutlich wird dich ja jemand zur Beerdigung deiner Mutter begleiten."

"Beerdigung?", frage ich in ihrer Atempause. Mir hatte noch niemand etwas darüber gesagt und um ehrlich zu sein war es auch nicht die erste Sache, an die ich nach Mamas Tod gedacht habe. 

"Ja, nächste Woche. Am Dienstag glaube ich. Hat dir denn niemand Bescheid gesagt?" Ich schüttele meinen Kopf. 

"Eine Freundin deiner Mutter hat schon angefangen sie zu organisieren. Ich dachte. sie hätte sich mit dir in Verbindung gesetzt."

"Nein, hat sie nicht. Ist es Angela?", frage ich nach. Sie war die beste Freundin meiner Mutter, seit die beiden auf die weiterführende Schule gingen. Angie ist die einzige neben meiner Mama und Oma, die wusste, wer mein Vater ist. 

"Ja, ich glaube so heißt sie. Vielleicht solltest du sie mal anrufen."

"Ja, mache ich." Sobald ich den Tag hinter mich gebracht habe und in meinem neuen Zuhause bin.

Bigger Life || Michael Patrick Kelly | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt