Nach dem Treffen [Meine Sicht]

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Ich wischte mir die letzten Tränen aus dem Gesicht, während ich geistesabwesend die Treppen hinauf zur Wohnung stieg. Ich bemerkte nicht einmal mehr, in welchen Stockwerk ich eigentlich war, oder sonst etwas; ich hätte sonst wo sein können. Ich schlurfte zur Tür und wühlte in meiner Tasche nach dem Schlüssel, mal wieder lag er ganz unten. Als ich ihn dann endlich herraus gezogen hatte, versuchte ich ihn ins Schloß zu stecken. Mismutig, weil der Schlüssel nicht passte, ließ ich mich an der Tür hinunter gleiten und lehnte mich mit dem Rücken dagegen. "Was ist bloß los mit mir?" murmelte ich. Die Freude und der Spaß von gerade eben waren wie weggeblasen und es fühlte sich an, als wären alle Gefühle, die ich je gefühlt habe, aus meinem Körper verschwunden. Zurück geblieben war nur diese quälende Leere. Ich legte meine Arme auf meine Knie und vergrub meinen Kopf in ihnen. Ich begann den gesamten Abend zu rekapitulieren und stellte fest, dass er gar nicht so schlecht verlaufen war, wie ich es zuerst angenommen hatte. Ich war seit Jahren mal wieder in einem Club gewesen und ich hatte Jemanden kennengelernt. Roman war ein echt besonderer Mann, er war witzig, charmant und offensichtlich war ich ihm nicht egal. Immerhin hatte er sich Sorgen um mich gemacht... 

Aufeinmal wurde mir der Halt weggezogen und sprichwörtlich fiel ich mit der Tür ins Haus. Ich sah nach oben und eine junge Frau mit langen braunen Haaren sah zu mir hinunter.
"Hey... hey Katharina, was ist denn los mit dir? Alles gut?"
Ich war noch völlig in Trance, als ich mich benommen aufsetzte und irgendwas stammelte wie "Wo bin ich?" und "Ist das hier nicht das Zimmer 42?".
Offensichtlich war es das nicht, denn mir war nicht bewusst, dass Theresa bei uns wohnte.
"Oh Gott Kathi, was ist denn mit dir passiert? Hast du getrunken? Ist dir was passiert?"
Ich war so überfordert mit der Situation; benommen blickte ich mich um und brachte kaum einen vollständigen Satz heraus. Als Antwort auf ihre Fragen schüttelte ich nur den Kopf. Sie beugte sich zu mir herunter und bemerkte sofort meine halboffene Tasche, aus der der Einband des Tafelwerks herrausschimmerte.
"Wo warst du denn gewesen?" fragte sie freundlich und langsam, sodass ich sie verstehen konnte.
"Im... im Club." brachte ich hervor.
Sie sah mich ungläubig an. Sie deutete auf das Tafelwerk und ich nickte bestätigend. Ich stand auf und wollte mich gerade verabschieden, als Theresa mich besorgt ansah. "Bitte lass mich dich nach Hause bringen, ich weiß, es ist nur das eine Stockwerk, aber es ist kurz vor um vier. Ich will wirklich nicht, dass dir was passiert."
"Okay." Anscheinend kamen meine Fähigkeiten zu sprechen zurück. "Das ist wirklich sehr lieb von dir. Nicht, dass ich mich schon wieder bei der Tür irre."
Gemeinsam liefen wir die Treppen des Wohnheims hinauf. Kurz vor der Tür mit der Nummer 42 drehte ich mich zu ihr, um mich für ihre Begleitung zu bedanken, doch sie blieb nicht stehen, sondern klopfte an der Tür.
"Wieso klopfst du? Sie werden sowieso alle schon schlafen und ich möchte sie nicht unbedingt wecken."
"Du denkst doch wohl nicht ernsthaft, dass deine Mitbewohner jetzt schon schlafen." Sie lachte und drehte sich wieder der Tür zu. Diese öffnete sich und meine Mitbewohnerin Chantal öffnete die Tür.
"Ja hallo, wollt ihr mitfeiern? Ein paar Jungs und Mädels vom Wohnblock B sind noch mit hier."
Sie sah an Theresa vorbei und starrte mich mit verwundertem Gesichtsausdruck an.
"Ach? Bist du auch mal wieder hier? Wir dachten schon, du bist mit Jemandem nach Hause gegangen." sagte sie zwinkernd. Ich antwortete mit einem Kopfschütteln und schob mich an ihr vorbei in die Wohnung. Mich traf fast der Schlag. Als Chantal sagte, ein paar Jungs und Mädels wären hier, hab ich gedacht das acht, maximal zehn Leute gekommen sein, allerdings war die gesamte Wohnung voll. Schon allein im Vorraum war kaum Platz und so drängte ich mich zwischen den tanzenden und teils stark betrunkenen Menschen hindurch. Überall wurde zur Musik gegrölt, mir war es ein Rätsel, wie ich die Musik beim Betreten des Hauses überhören konnte. Ich bekam einen Schreck als ich feststellte, dass meine Zimmertür nicht mehr abgeschlossen war. Offensichtlich musste sie jemand wieder aufgeschlossen haben. Oder hatte ich sie selbst offengelsassen? Ich wusste es nicht mehr und umso vorsichtiger öffnete ich die Tür.
Mein Zimmer war komplett dunkel, allerdings regte sich etwas in meinem Bett oder besser gesagt jemand. Zitternd drückte ich auf den Lichtschalter und das Wesen, das in meinem Bett lag, schreckte nach oben. Jetzt im Licht erkannte ich, dass es ein junger Mann war. Er hatte dunkles Haar und er war zu meinem Entsetzen auch noch nackt. Wahrscheinlich, überlegte ich, war er betrunken und musste sich hinlegen, und da hatte ihm die unheimlich gastfreundliche Chantal doch glatt mein Zimmer gegeben. Wie nett. Er drehte sich zu mir um und ich erkannte sein Gesicht. Ich hatte ihn tatsächlich schon mal an der Uni gesehen,  er war sogar in einigen meiner Kurse, aber groß miteinander gesprochen hatten wir nicht. Er lächelte mich verlegen an und ich sah an ihm vorbei, als sich noch jemand anderes in meinem Bett bewegte. Es war eine Frau. Sie hatte ebenfalls dunkle Haare und war deutlich zierlicher als ich. Sie kannte ich allerdings genau; es war Jasmin, Theresas Mitbewohnerin. Auch sie lächelte mich verlegen an. Hinter mir ging die Tür auf und Theresa kam ins Zimmer, offensichtlich wollte sie nochmal nach mir sehen. "Verdammt, Yasmin, was zur Hölle tust du da?!" schrie sie. Yasmin sprang auf und schnappte sich hastisch ihre Sachen, um sich anzuziehen.  "Theresa, hör zu. Ich... ich kann dir das erklären." Sie ging auf Theresa zu, doch diese wich ihr aus. "Du musst mir hier gar nichts mehr erklären. Ich bin so durch mit dir." sagte sie und drehte sich um. Ich fühlte mich sehr fehl am Platz und sah nur zwischen den Beteiligten hin und her. Der junge Mann hatte sich inzwischen auch angezogen und hastete aus meinem Zimmer hinaus. Nun stand ich wieder alleine in meinem Zimmer. Ratlos, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte, ließ ich mich auf meinen Schreibtischstuhl fallen und starrte auf die Uhr, die an der Wand hing. Es war nach um vier und ich sollte morgen Mittag die Verteidigung meiner Arbeit halten. Es war mal wieder eine tolle Idee von den Mädchen gewesen, mich raus zu schicken und feiern zu gehen. Was hatten sie sich denn nur dabei gedacht?

Ich wusste nicht mal, wie lange ich so nachdenklich auf meinem Stuhl saß, aber irgendwann realisierte ich, dass es verdächtig ruhig war. Ich öffnete die Tür und bemerkte, dass tatsächlich niemand mehr da war, und die Wohnung komplett verwüstet aussah. Sina und Jasmina waren gerade dabei, die gröbsten Reste zu beseitigen und Chantal konnte ich nirgendwo sehen. Wahrschinlich war sie schon schlafen oder sie war sonst wo mit irgendwem. Ich realisierte, dass die Wohnungstür aufstand und ich komische Geräusche aus dem Flur hörte. "Willst du nicht nachsehen, oder wenigstens die Tür zu machen?" fragte Chantal, die scheinbar die ganze Zeit hinter mir gewesen war und deutete auf die Tür. Nickend, aber trotzdem mit einem mulmigen Gefühl im Bauch ging ich zur Tür und wollte sie schließen, als ich Theresas braunen Haarschopf auf der Treppe entdeckte. Ich zögerte keine Sekunde und lief zu ihr, um mich dann leise und vorsichtig neben sie zu setzen. Schweigend blieb ich sitzen und lauschte ihrem Schluchzen, bis ich sie schließich behutsam an der Schulter berührte. Sie schreckte auf und sah mich mit verheulten Augen an. Sie versuchte mich anzulächeln, allerdings sah es sehr schief aus. "Was ist denn los?" fragte ich vorsichtig. Sie senkte den Blick und seufzte. Nach einigen Momenten des Schweigens sah sie mich an und begann zu reden: "Es.. ist wegen Yasmin. Du hast sie ja beim...du weißt schon.." "Ja, ja ich weiß, ich hab sie beim.. Sex erwischt. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan. Den Anblick hätte ich mir gern erspart..." Ich brach ab, als Theresa wieder zu schluchzen begann. "Es hat nichts mit der Tatsache zu tun, dass sie es getan hat. Eher mit wem..." "Wer ist der Typ denn?" hakte ich nach. " Er heißt Vincent. Er ist... mein Freund. Nun ja, er war es zumindest.. bis gerade eben." Sie versuchte, sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, aber sie liefen ihr trotzdem unaufhörlich über die Wangen. Es tat mir innerlich sehr weh, dieses ältere und eigentlich sehr starke Mädchen so aufgelöst zu sehen. Sie tat mir so leid in dem Moment. Wie konnte er nur? Ich legte ihr tröstend den Arm auf die Schulter und rang nach den richtigen Worten, um sie aufzubauen, doch egal was ich mir überlgte, es klang immer schlimmer in meinem Kopf. "Weiß du, ich dachte, dass mit ihm und mir.. das wäre was Besonderes. Wir haben so gut zusammen gepasst... und jetzt das." Sie fuhr sich durch die brauen Locken.  "Bestimmt kannst du dir das gar nicht vorstellen, was ich jetzt fühle, aber das mit ihm hat sich so toll angefühlt. Und jetzt ist es vorbei." Ich sah sie an und versuchte sie durch ein herzliches Lächeln aufzumuntern. "Doch, das kann ich. Ich hab das selbst vor ein paar Jahren erlebt... deswegen versteh ich deine Wut und deinen Schmerz. Es tut mir leid." Sie sah mich erschrocken an, wahrscheinlich hatte sie nicht erwartet, das von mir zu hören. "Echt? Du?.. Oh Entschuldigung, das sollte jetzt nicht verurteilend klingen, aber ich hätte dir das nicht zugetraut." Ich lächelte sie etwas schräg an. Diese Antwort war ich mittlerweile gewohnt. Allerdngs wollte ich nicht mein gesamtes Liebesleben hier auf den Stufen des Studentenwohnheims preisgeben.  "Wollen wir nicht so langsam zurück in unsere Wohnungen gehen? Es ist schon sehr spät." Sie nickte und rappelte sich auf. "Danke. Wirklich danke." Mit diesen Worten umarmte sie mich und ich musste doch etwas schmunzeln. An der Treppe drehte sie sich nochmal zu mir um: " Katharina, pass auf wen du liebst! Dir wird das schneller das Herz gebrochen, als du 'wahre Liebe' sagen kannst. Ich möchte dich nur ungern hier auf den Stufen sitzen und weinen sehen." Ich nickte als Bestätigung und wandte mich nun der Wohnungstür zu.

Nur wenige Minuten später lag ich in meinem Bett, natürlich hatte ich es frisch beziehen müssen. Während mein Körper totmüde war, drohte mein Kopf vor Gedanken zu explodieren. Theresas letzter Satz geisterte mir immer wieder durch den Kopf: "Pass auf wen du liebst!"

Love & Tears - Arazhul Fanfiction  [Lovely_kathii]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt