23. One Shot

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Es ist Anfang Dezember.
Von Ace seit 17 Tagen kein Lebenszeichen.

Ich starre aus dem Fenster.
Als Tony und ich von unserem Ausflug nach New Orleans wieder kamen, dauerte es keinen zwei Tage, bis Liam mich doch noch dazu überreden konnte, zur Polizei zu gehen.
Er und sein Onkel, der Chief von dem Police Departement ist, hatten mir versprochen, dass Ace nicht ins Gefängnis kommen würde.
Wenn die beiden nur wüssten, was damals geschah.

In dieser Oktobernacht.

Doch es sind jetzt schon zwei Wochen her, und es gibt immer noch keine Spur von ihm.
Liams Onkel versucht mich immer damit zu beruhigen, dass er vielleicht über die Grenze  nach Mexiko gegangen sei, oder auch einfach nur bei einem Freund sein könnte, der ihn gut versteckt.
Doch er kennt Ace nicht.
Alle seine Freunde sind hier, und die kann man an einer Hand abzählen.

Mein Blick fiel plötzlich auf einen blonden Jungen, ein paar Jahre jünger als ich.
Bei genaueren Hinsehen erkannt ich ihn, es war der Junge aus der Gasse, der Junge dem ich einen Tag nach dieser Nacht auf dem Schulhof wieder begegnet war.
Er war zu weit weg um es genau zu erkennen, doch es schien als hätte er wieder eine Prügelei abbekommen.
Sein ganzes Gesicht hatte viele rote und blaue Stellen, außerdem merkte ich dass er die ganze Zeit in einer Sporttasche herum kramte.
Er Strich sich seine etwas längeren Haare hinter die Ohren, als er aufsah.

Direkt in meine Augen.

Für ein paar Sekunden blieben wir standhaft, doch dann griff er seine Tasche, hiefte sie über seine Schulter, drehte sich um und ging davon.

Wieder kehrte dieses miese Schuldgefühl in meinen Magen zurück, und ich musste kräftig schlucken. Es fühlte sich an als würde  sie mir die Atemwege blockieren.

Ich nahm mir vor, in der Pause zu ihm zu gehen.
Er schien es wirklich nicht leicht zu haben an dieser Schule.
Vielleicht erhoffte ich mir auch, dadurch ein bisschen selbstvergebung zu bekommen, dafür dass ich ihm nicht geholfen hatte.
In dieser Gasse.

Passend zu diesem Gedanken klingelte es, und ich stand auf und ging direkt zur Tür raus.
Mein Unterrichtszeug hatte ich nicht einmal ausgepackt.
Zwischen all den Schülern erkannte ich Liam der am Türrahmen stand, und ich gab ihn zur Begrüßung einen Schubser mit meiner Hüfte.
Er taumelte ein wenig zur Seite, doch dann lachte er.

„Dir auch Hallo“ Er schüttelte mit dem Kopf und reihte sich neben mir ein. Ich winkte lächelnd ab.

„Schon was neues von deinem Onkel?“
Das fragte ich ihn jedes Mal wenn wir uns zum ersten Mal am Tag sahen.
Er seufzte.

„Nein leider nicht“
Und jedes Mal bekam ich die selbe Antwort.
Ich nickte nur.

„Hast du für den Test noch gelernt Gestern Abend?“ fragte Liam und versuchte damit vom Thema abzulenken.

„Welcher Test? Achso, der Test. Nein hab ich nicht, aber ist auch egal, weil ich dieses Schuljahr eh nicht bestehen werde“
Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern.

„Du machst es dir aber ziemlich einfach“

„Nein, ich widersetze mich nur dem System, und dafür müssen manchmal Opfer gebracht werden. Schule ist sowieso reine Zeitverschwendung, schon mal aufgefallen, dass man nur nur Gute Noten haben will, um eine gute Arbeit zu bekommen? Und eine gute Arbeit, damit man später, wenn man dann nicht mehr arbeitet, ein erfülltes Leben haben kann, kurz bevor man abkratzt. Ist doch bescheuert“

„Das stimmt schon, aber was würdest du denn anstatt dessen machen wollen?“

Ich drehte mich zu ihm und grinste breit.

„Um die ganze Welt reisen und jeden Fleck sehen, den es zu sehen gibt“

„Aber zum reisen brauchst du Geld. Und das Geld bekommst du nur, wenn du einen guten Job hast. Und den, wenn du gute Noten schreibst“

Ich warf ihm einen bösen Blick zu, und er machte eine „Was soll man machen?“ Geste. Wir drängelten uns weiter durch die Massen der Schüler, die einfach nicht enden wollte.

„Ich Tramp' einfach, da brauch man nichts bezahlen“
Liam sah mich misstrauisch an.

„Trampen ist doch total unsicher, wer weiß zu welchem Serien killer du da ins Auto steigen würdest“

„Also bis jetzt bin ich keinem begegnet“
Mit einem Ruck drehte er sich zu mir und stellte sich vor mich, sodass ich kurz gezwungen war, ebenfalls anzuhalten. Doch es machte nicht viel aus, da es eh im Schneckentempo voran ging.

„Erzähl mir nicht du Trampst“

„Dann eben nicht“

„Das ist total gefährlich!“

„Ja genau. Du bist echt paranoid was das angeht“

Je weiter wir zur Tür gingen, desto enger wurde es. Alle Schüler standen plötzlich dicht aneinander und keiner kam mehr vor und zurück.

„Was ist denn hier los? Warum geht denn keiner zur Tür raus?“ fragte ich.
Liam stellte sich auf Zehenspitzen und versuchte über die Köpfe der anderen Schüler zu sehen.

„Keine Ahnung. Sieht so aus als wäre die Tür zu oder sowas“

Wir sahen uns um, in die ebenfalls verwirrten und fragenden Gesichter der anderen Schüler.
Liam griff plötzlich nach meiner Hand und deutete in die Richtung, aus der wir gekommen waren.

„Lass es uns am Westausgang probieren, hier scheints echt nicht vorwärts zu gehen und ich habe keine Lust hier die ganze Pause zu stehen und zu warten“
Ich nickte als Antwort, doch als wir uns umdrehten, Knallte es laut und alle schrien plötzlich. Ich zuckte zusammen und sah mich panisch um.

„Verflucht Was war das?!“ raunte Liam und versuchte ebenfalls zu schauen woher das Geräusch stammte.

Wieder ein Knall.
Noch einer.
Liam zog mich nach unten, ich hatte die Hände schützend über den Kopf gelegt, wie die meisten.
Kurze Ruhe kehrte ein, und ich sah vorsichtig hoch, zwischen den Lücken der geschockten und verängstigten Schülern, sah ich ihn.
Den blonden Jungen, mit seiner Sporttasche.
Er hatte seinen Arm in die Luft gestreckt, in seiner Hand eine Waffe.

„Niemand bewegt sich, sonst knall ich verdammt noch mal den nächsten ab der mir vor die Knarre läuft!“

Er versuchte ruhig zu sprechen, doch man merkte ihm seine Nervosität an.
Sein Hand zitterte und er schwitzte.
Es herrschte für kurze Zeit Totenstille, und ich konnte mich nicht rühren. Ich war wie erstarrt, das einzige was sich bewegte, war mein rasendes Herz.
Ganz langsam,
Ganz ganz langsam,
Drehte ich meinen Kopf zu Liam, er wählte die Polizei, stellte seinen Ton aber so leise wie möglich.

Wieder ein Schuss, dieses Mal in die Menge. Liam ließ vor Schreck sein Handy fallen.
Alle schrien und schluchzten um uns herum.

„Keiner ruft irgendwen an! Ich hoffe das war deutlich, denn... Denn den nächsten, den werde ich auch töten. Ihr seht dass ich das kann!“

Ich sah in die Richtung woher der Schuss kam.
Ein Mädchen hielt sich mit Tränen in den weit aufgerissenen Augen ihren Mund zu.
Ein Junge lag direkt vor ihren Füßen,
Und er war tot.

And Her Heart Is Falling Apart Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt