13. Like Deer Eyes

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Immer wieder schossen mir Flashbacks von gerade eben durch den Kopf.

Was war gerade passiert?
Warum habe ich nichts getan?

Weil du egoistisch bist, Menschen sind egoistisch.
Das hast du selbst gesagt.

Ich fing an zu schluchzen.
Ich war nicht besser als einer von den Typen die ihn zusammengeschlagen hatten.
Ich hätte etwas tun können.
Ich hätte die Polizei rufen können, schreien können dass sie aufhören sollen. Sie auf mich lenken.
Doch ich habe nichts von all dem auch nur in Erwägung gezogen.

Ich war ein schlechter Mensch.
So wie jeder andere auch.

Langsam schlenderte ich die letzten Meter bis zu unserem Neubaublock.
Ich sah runter auf meine dreckigen Chucks, meine Haare umrahmten mein Sichtfeld.
Eine Weile ließ ich meinen Blick so gesenkt, welcher dann weiter wanderte zu dem Ableitungs Gitter.
Ich ging in die Hocke und hob es an, fischte den Schlüssel zu unserer Wohnung heraus (der wie versprochen darin lag) und schloss die schwere Tür auf.

Auch diese Treppen stapfte ich nur langsam hoch.
Meine Gedanken waren immer noch ein komplettes Chaos welches sich einfach nicht ordnen lassen wollte.

Ich hatte zwar das Gesicht nicht richtig erkennen können von dem Jungen, doch ich habe seinen flehenden Blick gespürt. Als ich daran dachte bekam ich eine Gänsehaut und mir lief es kalt den Rücken runter. Ich schüttelte mich kurz.

Ich atmete tief ein, dann stieß ich frustriert die Luft aus.
Wieso konnte ich nicht einfach an etwas anderes denken als an diesen Jungen?
Ich schloss die Tür zur Wohnung auf und streifte mir meine Schuhe mühsam von den Füßen.

Ich blieb kurz inmitten der Stille stehen und genoss Sie.
Ich hörte zum ersten Mal das ticken der Küchenuhr, welches sonst immer von mir ausgeblendet wird.
Doch schon bald beunruhigten mich die Silhouetten von den Gegenständen in dem dunklen Raum, und so schaltete ich dann doch das Licht an.

Ich ging in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir.

Mein Blick wanderte durch den Raum und blieb an dem Nirvana "In Utero" Poster wieder hängen. Ich stellte meine Tasche auf meinem Schreibtisch ab und kramte darin nach meinen Kopfhörern, Handy und meiner Packung Zigaretten + Feuerzeug.

Meine Kopfhörer waren ein einziges Wirrwarr und ich stöhnte genervt. Während ich also mit der einen Hand halbherzig versuchte diese auseinander zu bekommen, machte ich mich mit der anderen daran zu schaffen meine - verdächtig leichte - Kippen Packung zu öffnen.
Als ich es geschafft hatte, bestätigte sich meine düstere Vermutung.

Ich hatte nur noch 5 Zigaretten und überlegte wann ich die restlichen 28 geraucht haben sollte.
Ich rauchte viel - aber nicht 28 Stück innerhalb von ca. drei Tagen.

Also entweder war ich mittlerweile komplett Dement und die Kippen hatten wirklich alle Zellen in meinem Kopf getötet, oder Ace hatte...

Ich schluckte.
Ace hatte so viele wie möglich aus der Packung raus genommen, als er sie vor mir versteckt hat.
Das sah ihm ähnlich.
Ich musste bei dem Gedanken daran ein wenig Lächeln, obwohl ich ebenfalls sehr sauer war. Schließlich haben sie mich neun Dollar gekostet und das war in meiner Welt nicht gerade wenig.

Ich biss mir auf die Lippen.
Mir stiegen Tränen in die Augen.
Ich habe aufgehört zu zählen wie oft ich schon geweint hatte, seit dem Ace verschwunden war.

Ich holte mein Portemonnaie aus der Tasche und klappte es auf.
Darin lag ein Bild von Ace und mir.
Wir waren auf einer Feier gewesen, das Bild wurde vor 2 Jahren gemacht. Dort hatte ich noch längere, ungefärbte dunkelblonde Haare.
Meine Augen waren schwarz umrahmt von Lidschatten und Mascara, ich lächelte breit in die Kamera.
Ich stand seitlich und Ace hatte mir seinen einen Arm um die Schultern gelegt.
Er lächelte ein wenig und hatte seinen Kopf leicht in den Nacken gelegt, seine Augen waren nur halb offen, doch man konnte deutlich erkennen dass er etwas genommen hatte. Für Leute die keine Ahnung von so etwas haben, würde er vermutlich einfach nur müde aussehen. Trotzdem strahlte sein Blick eine solche Ruhe und Sanftheit aus, was der eigentliche Grund war, warum ich dieses Bild so gerne mochte.
Sie fesselten mich.

Wie Rehaugen.

Wenn du sie einmal angesehen hast, willst du nie wieder etwas anderes anschauen.
Man ertrinkt förmlich in ihnen.

Ich zog das Bild heraus, steckte mir eine Zigarette zwischen die Lippen, stöpselte mir meine (noch nicht ganz entwirrten) Kopfhörer ins Ohr und drückte auf meine Lieblingsplaylist,
Von Ace und mir.

Sofort ertönte die Gitarre von
„About a Girl" - Nirvana - in meinem Ohr.
Ich setzte mich aufs Sims, öffnete das Fenster und zündete die Zigarette an.
Mein Blick war wieder auf das Bild gerichtet.

Vor circa zwei Jahren, hatte alles angefangen.
Ace traf sich mit den falschen Leuten, fing an Drogen zu konsumieren. Damals war er sechzehn und ich fünfzehn.
Da ich nicht gut darin war, neue Leute kennenzulernen, hing ich an Ace wie ein treuer Hund.
Wo er hinging, ich ging mit.
Wen er mochte, versuchte ich auch zu mögen, auch wenn es mir manchmal schwer fiel.
Vor allem als ich merkte wie weit er abrutschte, wurde es immer schwerer diese Menschen in seiner Gegenwart zu akzeptieren, ich hatte versucht die Vernünftige zu bleiben. Ich hatte am Anfang auch Drogen genommen, weil ich nicht als die "verklemmte kleine graue Maus" dastehen wollte.
Doch zum Glück merkte ich schnell, was das anrichtete. Ich sah es jedes Mal an Ace, wenn er nur mehr als 12 Stunden nichts nahm. Er war nicht derselbe.
Er Schrie rum, ihm war kalt, er bekam Fieber.
Es war kaum auszuhalten.
Natürlich ist Rauchen nicht unbedingt besser, aber trotzdem spielt beides auf einer unterschiedlichen Liga.

Ich wünschte, ich hätte damals das Selbstbewusstsein gehabt, dass ich heute Besaß. Vielleicht hätte ich dann etwas unternehmen können und nichts von alldem wäre geschehen.

Seit wann bist du Selbstbewusst Elena? Nur weil du jetzt öfter deine Meinung sagst bist du nicht Selbstbewusster. Du bist es erst wenn du dich selbst akzeptieren kannst.

Doch du kannst es nicht. Du kannst dich nicht ertragen, wie denn auch?

Wie soll dich überhaupt irgendwer jemals ertragen können?

Ich massierte mir mit einer Hand die Schläfen, während ich meine Augen zusammen kniff.
Wo ist der Ausschalter für meine Gedanken?

Die Einzige Person die dich solange ertragen hat, ist jetzt fort.

Du hast sie vertrieben.

Meine Tränen kamen wieder hoch.
Nein, nein, nein.
Ace ist nicht deswegen gegangen.
Er wollte sich schützen.

Ich fuhr mir durch die Haare und als ich die Augen wieder öffnete sah Ace mich vom Foto aus an.
Meine Sicht verschwamm und ich fing wieder an zu schluchzen.
Meine Arme schlungen sich um meine angewinkelten Beine und ich vergrub den Kopf in ihnen.

„Bitte komm zurück Ace"

Meine Stimme war fast tonlos.
Ich drehte meinen Kopf in Richtung Fenster, und sah zu den mir so gut bekannten Lichterkegeln der Laternen.
Er war irgendwo da draußen.

„Ich vermisse dich so"

Doch meine Worte gingen in den tiefen der trüben November Nacht verloren.

And Her Heart Is Falling Apart Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt