Kapitel 4

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„Ámbar?" Der Mexikaner sah sie abwartend an.

„Ich kann nicht." Sie war noch nicht bereit dafür, ihm zu gestehen, dass sie in seiner Nähe sein wollte. Dass sie ihn vermisste und brauchte. Dass sie ihn liebte.

***

Kaum waren Simón und Ámbar zurück im Roller, trafen sie auf Emilia und Benicio. Natürlich waren sie sich in den letzten Tagen schon mehrmals über den Weg gelaufen und hatten ihre üblichen Sticheleien ausgetauscht, doch gerade hatte Ámbar wirklich absolut keine Lust auf ihre Teamkammeraden.

„Wen haben wir denn da?", fing Emilia sogleich in einem provozierenden Tonfall an. „Wie ist es denn so beim Loser-Team?"

Simón und Ámbar tauschten einen kurzen Blick aus, ehe die Argentinierin in einem ähnlichen Ton antwortete: „Hm, eigentlich ist es gar nicht so schlecht wieder hier zu sein. Ich fange langsam an, mich wieder an das Roller-Team zu gewöhnen, also passt besser auf, dass ich nicht wieder zurückkehre."

Natürlich meinte Ámbar das Gesagte nicht ernst und obwohl Simón sich dessen bewusst war, verstärkte sich bei ihren Worten seine Hoffnung, dass tatsächlich alles wieder wie früher werden könnte.

Emilia und Benicio sahen das Mädchen fast schon feindseelig an. Sie befürchteten ebenfalls, dass ihre Teamkameradin sie verlassen könnte, und Emilia warf ihr diese Bedenken auch sogleich an den Kopf: „Ach ja? Du würdest uns also wirklich hängen lassen? Und das nur wegen einem Jungen?"

Simón stutzte. Wegen einem Jungen? Meinte sie ihn? Weil Ámbar wegen ihrem Deal eine Woche lang beim Training fehlte? Oder womöglich... Sein Herz schlug bei dem Gedanken automatisch schneller. Konnte es sein, dass Ámbar ebenfalls noch Gefühle für ihn hatte? Dass sie in seiner Nähe das gleiche oder zumindest etwas Ähnliches fühlte, wie er in ihrer? Aber vielleicht ging es hier auch gar nicht um ihn. Emilia hatte schließlich keinen Namen gesagt.

„Meinst du das ernst, Emilia? Als ob ich...nein, wisst ihr was? Dieses Gespräch ist doch vollkommen unnötig! Komm, Simón." Damit zog Ámbar den Mexikaner an der Hand mit zu einem freien Tisch. Sie ließ seine Hand wieder los und setzte sich auf einen der Stühle, hoffend, dass Simón nicht verstanden hatte, wovon Emilia gesprochen hatte.

„Alles okay?", fragte Simón als er Ámbars Blick sah. Er konnte zwar nicht sehen, was in dem Mädchen vor ging, aber er meinte in ihrer Mimik mehrere Gefühle zu sehen, die definitiv nicht positiv waren. Nachdem der Mexikaner die Frage gestellt hatte, setzte sie allerdings sofort wieder ihr Fake-Lächeln auf und antwortete: „Ja, natürlich. Alles gut." Sie hatte sich zwar vorgenommen bei Simón wieder mehr sie selbst zu sein, es fiel ihr aber noch schwer, sich dazu zu überwinden. Zu groß war die Angst, wieder verletzt zu werden; wieder allein zu sein.

„Ámbar, du musst mir nichts vormachen." Simón sah sie eindringlich an. Ámbar haderte mit sich; dann nahm sie ihren Mut zusammen, um dem Jungen zumindest einen Teil der Wahrheit zu sagen. „Es verletzt mich, was sie mir unterstellen. Dass sie mir sagen ich ließe das Team im Stich und sei egoistisch. Naja, ganz unrecht haben sie damit wahrscheinlich nichtmal." Zum Ende hin senkte sie die Stimme und für einen Moment bevorzugte sie es, den Tisch zu betrachten.

Simóns Blick hatte sich zu keinem Augenblick von ihren Augen gelöst und jetzt konnte er die Emotionen klar aus ihnen herauslesen. Schmerz, vermischt mit Trauer. Etwas konnte er Ámbar aber nicht ansehen, und das war, wie leid sie es war, dass Emilia und Benicio ihr vorschreiben wollten wen sie mögen durfte und mit wem sie ihre Freizeit verbringen sollte. Sie versuchten aktuell sogar, ihr eine Beziehung mit Benicio aufzudrängen, um mehr Aufmerksamkeit im Internet zu bekommen.

Sanft legte Simón seine Hand auf Ámbars und schmunzelte. Seine Augen funkelten kurz auf, bevor er sagte: „Mir hat mal jemand gesagt, dass man manchmal ein bisschen egoistisch sein muss."

Nun bildete sich auch auf Ámbars Lippen ein kleines Lächeln.

„Und außerdem", fuhr der Junge fort, „glaube ich, dass sie nur Angst haben, eine so talentierte Skaterin wie dich zu verlieren."

„Danke, Simón", erwiderte Ámbar, während Simóns Hand ein warmes Gefühl, sowie ein angenehmes Kribbeln durch ihren Körper schickte.

„Aber ich lasse das Team ja wirklich hängen. Und das nur weil ich-" Abrupt unterbrach sie sich selbst. Fast hätte sie Simón den Grund gesagt, warum sie zugestimmt hatte, die Woche bei seinem Team zu verbringen.

Die Argentinierin sah ihn erschrocken an und presste für einen Moment die Lippen aufeinander.

„Weil du...?" Der Junge blickte ihr aufmerksam in die Augen, versuchte, ihr mit seinem Blick Mut zu machen, während sein Daumen beruhigend über Ámbars Finger strich.

„Nein, nichts. Ist nicht so wichtig, wirklich." Sie war nervös, eindeutig. Aber warum? Simón schmunzelte. „Wann wirst du endlich damit aufhören?", fragte er. „Womit?" Verwirrt sah die Argentinierin den Jungen an. „Damit, ständig zu sagen es sei nicht wichtig, denn das stimmt nicht. Mir ist es wichtig, deine Gedanken und Gefühle zu erfahren." Nun schob er seine zweite Hand unter die des Mädchens, sodass seine Hände die ihre umschlossen. Er hob sie sanft an und Ámbar umschloss bei dieser Bewegung seine untere.

Für einen Moment ließ sie sich von den Gefühlen, die Simón in ihr auslöste, mitreißen. Ließ sich von der Geborgenheit umhüllen, die sie empfand, wenn sie bei ihm war, und wünschte sich, dass es für immer so bleiben könnte.

„Ámbar..." An dem intensiven Blick des Mexikaners hatte sich nichts geändert und Ámbar fiel es schwer, sich zu konzentrieren. Alles in ihr wünschte sich, ihm näher zu kommen. Ihn zu berühren und zu küssen, aber das ging nicht, also zog sie, in der Hoffnung, dass es ihr Verlangen mildern würde, ihre Hand aus seinen und senkte ihren Blick auf diese. Simón wandte ebenfalls den Blick ab, nur um sie wenige Sekunden später wieder anzusehen. Er konnte nichts dagegen tun; sie zog seine Augen an wie ein Magnet.

Kurz darauf hob Ámbar den Blick ebenfalls wieder und ihre Blicke trafen sich erneut. 

„Warum fällt dir das so schwer?", fragte Simón leise. 

„Warum fällt mir was so schwer?", wollte Ámbar ebenso leise wissen.

„Dich zu öffnen."


Simbar-The other sideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt