Kapitel 19

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Simón und Ámbar standen noch immer bei den Spinden und unterhielten sich. Der Junge hatte seiner Freundin bereits einen Teil ihrer Schuldgefühle ausreden können; nun beschlossen sie, die verbleibenden dreißig Minuten bis zum Trainingsbeginn schon einmal auf der Bahn zu verbringen und holten ihre Rollschuhe aus ihren Spinden, um diese anschließend anzuziehen.

Als sie auf der Bahn ankamen und Ámbar sich zu ihrem Freund umdrehte, fiel ihr sofort sein Gesichtsausdruck auf. Der Junge schien sich über irgendetwas den Kopf zu zerbrechen.

„Was ist los, mein Schatz?", fragte sie interessiert.

„Ich glaube irgendwas stimmt nicht mit meinen Rollen. Sie drehen sich schlechter als sonst, hab ich das Gefühl. Vielleicht kommt es mir aber auch nur so vor."

Ámbar kam das seltsam vor. „Fahr mal eine Runde", bat sie den Mexikaner, was dieser ohne zu zögern tat. Das Mädchen bemerkte, dass Simóns Bewegungen tatsächlich schwerfälliger aussahen als sonst. Als er sich an einer Drehung versuchte, schien es, als wäre bei seinen Rollen eine Bremse angezogen, wodurch der Junge unsanft auf dem harten Boden landete.

Innerhalb weniger Sekunden kniete Ámbar neben ihm und erkundigte sich, ob es ihm gut ginge, was zum Glück der Fall war. Sie fuhren vorsichtig zu der Tribüne. Simón setzte sich auf einen der Stühle, während Ámbar sich vor ihm auf den Boden kniete. Sie bat ihn, seinen Fuß auf ihr angewinkeltes Bein zu legen und drehte anschließend probeweise erst an einer seiner Rollen und dann an einem ihrer, wofür sie hinter sich greifen musste. Konzentriert wiederholte sie das Ganze und sah ihren Freund anschließend ernst an.

„Wie es aussieht hat sich jemand an deinen Rollen zu schaffen gemacht und sie fester gezogen", teilte Ámbar dem Mexikaner das Ergebnis ihres Versuches mit. Sie ergriff sein Fußgelenk und stellte Simón Fuß wieder auf den Boden, bevor sie sich neben ihn setzte.

„Aber warum?" Der Junge verstand nicht, warum ihm jemand etwas böses wollen könnte, er hatte seiner Meinung nach niemandem etwas getan. Ámbar hingegen wusste genau was Sache war.

„Benicio. Er fühlt sich erniedrigt, weil du sozusagen seinen Platz eingenommen hast und will sich dafür rächen", klärte sie den Mexikaner auf.

***

Ámbar und Simón hatten es gerade noch geschafft, die Rollen an Simóns Skates wieder zu lockern, bevor Benicio und Emilia den Raum betraten. Ámbar sah das überlegene Grinsen der Mexikanerin, als sie und Simón mit den Skates in der Hand an ihr vorbei in Richtung Bahn gingen. Damit fühlte sie sich mit ihrem Verdacht, dass Emilia Benicios Komplizin bei der Sabotageaktion war, bestätigt.

Die Argentinierin freute sich schon ungemein auf die Gesichter der beiden, wenn sie herausfanden, dass Simón keinerlei Probleme beim Training haben würde. Sie biss sich grinsend auf die Unterlippe und ihre Augen blitzen spitzbübisch.

„Was grinst du denn so?", wollte Simón wissen.

„Ich stelle mir nur die Reaktion von Emilia und Benicio vor", antwortete Ámbar.

Simón nahm ihre Hand in seine. Er liebte dieses Mädchen so sehr. Sie sahen sich in die Augen, waren in ihrer eigenen Welt; bis die restlichen Red Sharks kamen.

Der Junge ließ Ámbars Hand nur ungern wieder los, doch er hielt sein Versprechen, dass Emilia und Benicio nichts erfahren sollten. Und heute war ihm nochmal klarer geworden, warum seine Freundin diesen Wunsch geäußert hatte.

Das Training verlief normal. Zu normal für den Geschmack von Emilia und Benicio. Damit kehrte die schlechte Laune des Italieners zurück, der die meiste Zeit des Trainings damit verbrachte, den anderen zuzuschauen. Reine Zeitverschwendung, wie er fand.

Sie hatten sich beide darauf gefreut, dass Simón sie an diesem Tag gut unterhalten würde und mussten nun feststellen, dass ihr Plan nicht aufgegangen war.

Nachdem Juliana Emilia mehrfach wegen mangelnder Konzentration kritisiert hatte, beschloss diese, das Grübeln auf später zu verschieben. Benicio hingegen dachte gründlich nach, um zu dem Schluss zu kommen, dass es jemand vorher gemerkt und die Rollen wieder etwas gelöst hatte. Die Frage war nur wer. Außer Emilia hatte niemand davon etwas mitbekommen. Oder etwa doch? Zumindest schloss der Junge es aus, dass er die Rollen einfach nicht fest genug gezogen hatte. Er machte keine Fehler! Noch im selben Gedankengang entschied er, einen weiteren Versuch zu starten, es Simón heimzuzahlen. Und zwar dort, wo es ihm am meisten wehtat. Beim Open.

***

Zwei Tage später war es dann soweit. Die Mitarbeiter des Jam and Rollers liefen geschäftig herum und bereiteten alles für das anstehende Event vor. Waren wurden eingeräumt, das Gebäude dekoriert und natürlich wurden die Auftritte noch einmal geprobt, damit auch wirklich nichts schief gehen würde.

Bei all dem Treiben achtete niemand auf Emilia und Benicio. Die beiden nickten sich zu, als Zeichen, dass der Plan beginnen konnte.

Schließlich war es soweit; das Open Music begann. Die Red Sharks eröffneten es mit einem einwandfreien Auftritt. Simón applaudierte begeistert und Ámbar schenkte ihm ein warmes Lächeln, als ihre Blicke sich trafen.

Das Team verließ die Bühne, um Platz für Jazmín zu machen. Simón begab sich während des Auftrittes in den Backstage Bereich. Er und Luna waren als nächstes dran, weshalb er zur Sicherheit nochmal seine Gitarre nachstimmen wollte. Mit Schrecken stellte der Junge jedoch fest, dass diese verschwunden war. Als er hilfesuchend die Red Sharks fragte, ob jemand von ihnen seine Gitarre gesehen hätte, führte das erst zu einer Menge Anschuldigungen und anschließend zu einer hektischen Suchaktion, an der sich allerdings nur Ámbar und Ramiro beteiligten. Benicio und Emilia blieben im Backstage Bereich zurück und erfreuten sich an ihrem Erfolg, wie sie es nannten.

„Und du bist dir auch wirklich sicher, dass du sie nicht doch woanders gelassen hast?", fragte Ámbar zum wiederholten Male, während sie mit den beiden Jungs das Jam and Roller absuchte. Eine Gitarre konnte nicht einfach so verschwinden, deshalb musste sie hier irgendwo sein. Und bei der Größe müsste sie eigentlich auch leicht zu finden sein. Die Betonung lag auf eigentlich.

Von der Bühne her hörten sie die Leute klatschen, was bedeutete, dass Jazmín ihren Auftritt beendet hatte. Jetzt mussten sie hoffen, dass die anderen gut improvisierten.

Simbar-The other sideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt