Kapitel 15

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Als Ámbar am nächsten Morgen aufwachte, waren ihre Gefühle dem heutigen Tag gegenüber gemischt. Auf der einen Seite freute sie sich, wieder richtig zu trainieren – und dann auch noch mit Simón zusammen –, auf der anderen hatte sie jedoch nicht die geringste Lust auf Emilia und Benicio. Die beiden waren zwar offiziell ihre Freunde, doch für Ámbar waren sie nicht mehr als Teamkollegen. Sie war Emilia dankbar, dass sie sie im letzten Jahr in ihr Team aufgenommen hatte, aber als richtige Freundin konnte sie die Mexikanerin trotzdem nicht bezeichnen. Ámbar wusste, dass sie demnächst eine schwierige Entscheidung würde treffen müssen, die ausschlaggebend für ihre weitere Karriere als Skaterin sein würde. Doch erst würde sie die kommende Woche abwarten.

Als die Argentinierin das Jam and Roller betrat, war von Simón noch nichts zu sehen. Stattdessen traf sie zu ihrem Bedauern ziemlich schnell auf Emilia und Benicio.

„Na, wo hast du denn deinen kleinen Freund gelassen?", begann das Mädchen sie sogleich zu provozieren.

„Hallo, Emilia. Ich freu mich auch, dich wiederzusehen", gab Ámbar mit falscher Freundlichkeit zurück. Genau solche Verhaltensweisen waren der Grund, warum sie die Mexikanerin nicht als ihre Freundin bezeichnen konnte. Sobald die Blondine etwas tat oder dachte, was der anderen nicht gefiel, gab es Stress mit ihr. Emilia konnte einfach keine Meinungen neben ihrer eigenen akzeptieren. Und genau so wenig akzeptierte sie Ámbars Gefühle für Simón, was sie die Argentinierin auch fast täglich spüren ließ.

„Sag bloß, er hat gekniffen", lästerte Emilia weiter und legte gespieltes Bedauern in ihre Mimik.

„Wie lustig du heute wieder bist, Emilia. Wo wir schon bei fehlenden Personen sind; wo habt ihr eigentlich Ramiro gelassen?", versuchte Ámbar vom Thema abzulenken. Sie hatte nicht die Nerven, sich dafür zu rechtfertigen, dass ihr Freund wahrscheinlich noch schlief oder einfach keine Lust hatte, Benicio länger als nötig zu ertragen.

„Ich bin hier", ertönte es hinter ihr und Ámbar drehte sich augenblicklich um. Ramiro. Der Junge übernahm im Team öfter mal die Rolle des Streitschlichters, weshalb die Blondine wirklich froh war, ihn zu sehen.

Emilia gab noch ein „Na hoffentlich ist er pünktlich zum Training da" von sich, ehe sie mit Benicio verschwand. Die beiden waren seit sie sich kannten fast nur noch im Doppelpack zu finden, stellte Ámbar fest. Ihre Teammitglieder waren wohl ein Fall von 'nicht gesucht, aber trotzdem gefunden'.

Die Argentinierin überbrückte die Zeit bis zum anstehenden Training, indem sie sich mit Ramiro unterhielt und Gary erklärte, dass sie Simón überzeugen konnte, eine Probewoche bei den Red Sharks zu machen. Der Mexikaner tauchte eine halbe Stunde vor Trainingsbeginn endlich auf und schließlich ging es los.

Juliana schien nicht glücklich darüber, Simón bei den Red Sharks zu sehen, weshalb Ámbar beschloss, ihre Trainerin nach dem Training darüber aufzuklären, was Sache war.

An diesem Tag sah Gary ausnahmsweise beim Training zu und bat Juliana, die Partner einmal komplett durchzutauschen, so dass jedes Mädchen mit jedem Jungen die Choreographie einmal gefahren war. Dabei stellte er fest, dass Ámbar recht hatte. Sie skatete mit beiden, Ramiro und Simón, besser als mit Benicio. Er sah auch, dass dem Italiener noch einiges an Technik und Teamgeist fehlte, weshalb er anordnete, dass Ámbar mit Simón und Emilia weiterhin mit Ramiro skaten sollte. Benicio sollte währenddessen seine Technik verbessern. Das passte dem Jungen überhaupt nicht. Innerlich brodelnd begann er, einen Plan zu schmieden, wie er es Simón heimzahlen konnte, dass dieser ihm sowohl Ámbar als auch den Platz im Team streitig machte.

Ámbar hingegen genoss den Partnerwechsel in vollen Zügen. Natürlich war ihr bewusst, dass Benicio deswegen Probleme machen würde, doch im Moment zählten nur sie, Simón und die Bahn.

Auch Juliana gefiel es, dass die Argentinierin nun endlich ihr volles Potenzial ausschöpfen konnte. Benicio hatte sie oftmals gebremst und jetzt musste er mit anhören, wie ihre Trainerin voller Lob für Ámbar und Simón war. Wütend ballte er die Fäuste. Ihn hatte sie niemals gelobt. Den Rest des Tages war der Italiener schlecht gelaunt und ließ es an jedem aus, der seinen Weg kreuzte.

Simón musste nach dem Training arbeiten, weshalb Ámbar sich ebenfalls in den Cafeteria-Bereich begeben wollte; jedoch wurde das Mädchen von Emilia aufgehalten, die ihr vorwarf, Benicio hintergangen zu haben und mit ihrer Aktion das ganze Team zu gefährden. In diesem Moment platzte Ámbar endgültig der Kragen und sie sagte der Mexikanerin klipp und klar was sie von allem hielt. Von ihr, von Benicio, von den Red Sharks und von Simón. Als die Blondine geendet hatte lachte Emilia ironisch auf. „Du hast dich echt ganz schön verändert in der letzten Woche", meinte sie und wandte sich zum Gehen.

„Nein", stellte Ámbar klar. „Ich habe nur aufgehört, mich zu verstellen. Das hier ist mein wahres Ich und wenn du damit nicht klar kommst, ist das dein Problem und nicht meins."

Damit ließ sie Emilia stehen und machte sich auf die Suche nach Juliana. Ihr war bei dem Gespräch mit der Mexikanerin wieder eingefallen, dass sie ihrer Trainerin ja noch erklären wollte, warum Simón wirklich bei den Red Sharks war. Sie wollte nicht, dass der Junge sich deswegen unwohl fühlte oder Juliana ihretwegen schlecht von ihm dachte.

Erleichtert war Ámbar knapp zehn Minuten später erneut auf dem Weg in Richtung Cafeteria. Juliana war wie erwartet nicht begeistert von der Idee gewesen, auf der anderen Seite aber froh, dass der Mexikaner nicht ernsthaft überlegte, das Team zu wechseln. Außerdem war sie positiv überrascht von Ámbar. Das Mädchen war den ganzen Tag schon ungewohnt unkompliziert und dass es extra zu ihr gekommen war, damit sie nicht schlecht von Simón dachte, rechnete Juliana der Argentinierin hoch an.

Die dicke Luft zwischen den einzelnen Teammitgliedern hielt trotz Ramiros Versuchen, sie friedlich zu stimmen, den Rest des Tages an. Irgendwann gab der Junge es auf und setzte sich zu Ámbar, die seiner Meinung nach als einzige zu recht genervt war. Die Blondine freute sich über seine Gesellschaft, denn ihr war ziemlich langweilig und Ramiro war ihr inzwischen echt sympathisch. Sie redeten über dies und das und der Chilene war überrascht von der ungewohnten Offenheit des Mädchens.

Ámbar konnte überhaupt nicht mehr nachvollziehen, wie sie sich am Anfang des Jahres an der Seite von Emilia und Benicio hatte wohlfühlen können. Tief in ihrem Herzen spürte sie, dass ihre Entscheidung eigentlich bereits gefallen war.

Simbar-The other sideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt