Kapitel 8

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Im Park angekommen, setzte Ámbar sich auf eine der Bänke und schloss die Augen. Langsam lichtete sich das Durcheinander in ihrem Kopf und eine Erkenntnis wurde mit jeder Sekunde deutlicher. Simón hatte versucht sie zu küssen, also musste er noch etwas für sie empfinden. Unkontrolliert begann sie zu lächeln. An Ámbars innerem Auge zogen Ausschnitte ihrer Gemeinsamen Zeit vorbei. Womit hatte sie jemanden wie Simón verdient? Sie hatte ihn schwer enttäuscht und trotzdem...

Leise begann sie Catch me if you can zu singen. Den Song, mit dem alles begonnen hatte. Durch den sie die Möglichkeit gehabt hatte Simón näher zu kommen. Gut, zu der Zeit hatte sie den Jungen nur benutzen wollen, um Luna zu verletzen, doch sie bereute es mit keiner Faser ihres Körpers. Und auch wenn sie es damals noch nicht gewusst hatte, passte das Lied perfekt zu Simón und ihr.

Er hatte sie aufgefangen, dann für einen Moment wieder fallen gelassen und war nun dabei, sie ein weiteres Mal zu fangen. Und dieses Mal würde Ámbar es bewusst zulassen.

*

Simón konnte seine Gedanken ebenfalls nicht von der Blondine lösen. Er war meist so sehr in ihnen versunken, dass sowohl Pedro als auch Nico ihn schon mehrfach gefragt hatte, ob wirklich alles in Ordnung war. Er bejahte dies zwar jedes Mal auf's neue – vorausgesetzt er hörte die Frage -, doch wirklich überzeugt schienen die beiden Argentinier nicht zu sein. Wer konnte es ihnen auch verübeln? Erst fanden sie ihren Freund und Ámbar vollkommen durch den Wind vor, was sie vor allem bei dem Mädchen noch nie zuvor erlebt hatten, und jetzt war Simón geistig total abwesend. Im Stillen sprachen sie sich ab, den Mexikaner am Abend nochmal in Ruhe darauf anzusprechen.

***

Als die Schicht der Jungs vorbei war, saß Ámbar gerade an den letzten Zügen ihres neuen Liedes. Den Text hatte sie bereits fertig, nur bei der Melodie war sie sich noch nicht ganz sicher.

„Ámbar." Sie blickte auf, als sie Simóns Stimme direkt vor sich vernahm. „Bist du beschäftigt?"

Die Argentinierin sah zu dem Zettel und wieder zurück. „Nein, nein. Was gibt's?"

„Wir wollten skaten. Und ich hätte jetzt Zeit. Also?" In freudiger Erwartung grinste Simón sie an.

„Einen Moment. Ich packe das hier nur noch eben weg und dann können wir." Ámbar verstaute ihren Songtext in ihrer Tasche und machte sich anschließend mit Simón zusammen auf den Weg zu den Spinden.

Kurz darauf waren sie mit ihren Skates in der Hand auf dem Weg in den Park. Es war wirklich blöd, dass sie die Bahn nicht benutzen durften. Als Gary dies verkündet hatte, war Ámbar voller Schadenfreude gewesen, doch nun merkte sie, dass sie mit dieser Regelung nur unnötig die Zeit der anderen verschwendeten. Was hatten die Red Sharks überhaupt davon, wenn die Bahn außerhalb ihres Trainings unbenutzt war? Das brachte doch niemandem etwas.

„Woran denkst du?", wollte Simón mit sanfter Stimme wissen. So nachdenklich kannte er Ámbar gar nicht.

Das Mädchen drehte den Kopf. „Daran, wie lächerlich Garys Regelung ist, dass niemand auf die Bahn darf, der kein Red Shark ist."

Überrascht sah Simón sie an. Er hätte nicht gedacht, dass Ámbar das so sah, aber es freute ihn, dass sie diesbezüglich der gleichen Meinung waren. „Ich verstehe ihn einfach nicht. Was habt ihr davon, wenn wir nicht auf die Bahn dürfen? Sieht er das Rollerteam als so große Konkurrenz, dass er uns Steine in den Weg legen muss oder was soll das?"

„Ich weiß es auch nicht, aber Simón..." Sie blieb stehen, was der Junge ihr augenblicklich gleichtat. „Ihr wisst doch hoffentlich, dass ihr für uns nicht wirklich ernst zu nehmende Konkurrenz seid, oder?"

Konzentriert versuchte Ámbar ein ernstes Gesicht aufrecht zu erhalten. Dieses Mal war ihre Aussage nämlich nicht ernst gemeint, sondern sie wollte Simón damit nur ein bisschen aufziehen.

Als der Junge sie daraufhin mit einem seltsamen Blick ansah, wurde der Argentinierin klar, dass ihm das wirklich nicht aufgefallen war. „Simón, das war ein Scherz. Ihr wisst doch, dass ihr gut skatet."

Innerlich atmete er erleichtert auf. Simón hatte schon befürchtet, dass Ámbar die Maske des bösen Mädchens wieder aufgesetzt hätte. Er genoss es viel zu sehr, ihren wahren Charakter zu sehen, als dass er bereit dafür wäre, dass das Mädchen ihn wieder versteckte.

*

Es gab kaum etwas auf der Welt, das Ámbar glücklicher machte, als das Skaten. Wenn sie ihre Rollschuhe trug, war sie befreit. Befreit von ihren Problemen und von ihrer Patentante, die ständig Druck auf sie ausübte, damit Ámbar immer und überall die Beste war. Wenn es um das Skaten ging tat sie es zwar ebenfalls, aber längst nicht so sehr wie bei allem anderen, denn Sharon hielt die Hobbies ihrer Adoptivtochter für reine Zeitverschwendung.

Beim Skaten konnte das Mädchen alles vergessen, was sie belastete. Wenn sie sich vom Boden abdrückte, konnte sie für einen Moment fliegen. Und sie skatete wirklich gut. Vor allem mit Simón als Partner.

Dieser fuhr bereits ein paar Runden über den Platz, um sich aufzuwärmen, während die Argentinierin noch damit beschäftigt war, ihren zweiten Schuh zu schließen. Anschließend schloss sie sich ihm an, schließlich wollte sie sich nach Möglichkeit nicht verletzen.

Als sie einige Minuten später anfingen richtige Schrittfolgen zu fahren, merkten beide, dass dieser Nachmittag eine Herausforderung für sie werden würde, da sie ziemlich oft nur einen geringen Abstand zueinander hatten. Diese Tatsache störte zwar keinen der beiden, doch besonders Simón wusste nicht, wie lange er es schaffen würde, diesen Abstand beizubehalten. Alles in ihm wollte Ámbar so nah wie möglich bei sich haben und es viel ihm zunehmend schwerer, die kleine Lücke zwischen ihnen nicht zu schließen. Doch da war dieser kleine Teil in ihm, der Angst hatte, dass die Argentinierin das nicht wollte. Dass sie danach auf Abstand ging. Denn das war das letzte, was Simón wollte.

Erneut vollführten sie eine Hebefigur. Erneut waren ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, als er sie wieder auf dem Boden abstellte. Erneut drohte er in ihren wunderschönen blauen Augen zu versinken. Erneut kam das starke Bedürfnis in ihm auf, sie zu küssen. Erneut versuchte er, dagegen anzukämpfen. Doch dieses Mal wusste er nicht, ob er es schaffen würde.

Ámbars eine Hand lag auf Simóns Schulter, während die andere auf seinen Brustkorb gerutscht war. So standen sie da, mit schnell klopfenden Herzen. Keiner konnte sich von dem anderen lösen. Keiner wusste, was als nächstes passieren würde, doch beide hatten den gleichen Wunsch.

„Simón." Ámbars Stimme war nicht mehr als ein Hauch. Die Anspannung in Simóns Brustkorb wuchs erneut. Sein Atem vermischte sich mit dem des Mädchens und er verlor jegliches Gefühl für Raum und Zeit. Umso länger sie sich in dieser Position befanden, desto schwerer wurde es für sie, den Abstand zueinander beizubehalten. Beide lehnten sich ein kaum merkliches Stück nach vorne, wodurch sich ihre Nasenspitzen leicht berührten. Simón schloss die Augen und füllte seine Lunge noch einmal mit Sauerstoff, ehe er die letzten Zentimeter überbrückte und seine Lippen sanft auf die des Mädchens legte.


Und das war der Moment, in dem die Handlung sich verselbstständigt hat XD. Ich weiß noch, wie ich damals verzweifelt nach einer Möglichkeit gesucht habe, den Kuss doch noch zu verhindern, weil der für viel später geplant war, aber gut. Bis nächsten Samstag.

Simbar-The other sideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt